Grenchen zeigt „Mess up your Mind“ von Franticek Klossner. 2001

Die Zeit als Bildmaschine

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 22. Mai 2001

Obwohl als Performer, Video- und Objektkünstler einer der meistdiskutierten jüngeren Berner Künstler, ist „Mess up your Mind” im Kunsthaus Grenchen Frantiçek Klossners erste Einzelausstellung.

Die Ausstellung von Frantiçek Klossner (41) ist bereits der zweite „Carte Blanche”-Coup der jungen Grenchner Kunsthausleiterin Dolores Denaro. Gab sie schon letztes Jahr mit Victorine Müller einer schweizweit in Diskussion stehenden Video-Künstlerin freie Fahrt für eine erste Museumsausstellung mit Katalog, so ist diesmal die Brisanz gar noch grösser. Frantiçek Klossner gehört seit Jahren zu den bekanntesten Unbekannten der Berner Kunstszene.

Bekannt, weil ihn durch sein breitgefächertes kulturelles Engagement enorm viele kennen. Unbekannt, weil viele in seinen, lange Zeit vom eigenen Körper ausgehenden Arbeiten nur den romantischen Identitätssucher sahen. Und die philosophische Dimension und die Radikalität seiner Forschungen am Körper nicht in die Waagschale warfen. Erinnert sei an die in einer verspiegelten Nische gezeigten Röntgenaufnahmen seiner Stimmbänder im Centre PasquArt zu Beginn des Jahres 2000. Zu den konsequenten Kritikern gehörte unter anderem die Eidgenössische Kunstkommission, die ihm ein Stipendium konsequent verweigerte.

Allerdings ist es immer einfacher, im Rückblick zu erkennen. Und es steht ausser Zweifel, dass Klossners Schaffen in den letzten drei Jahren enorm an persönlicher Sicherheit und damit auch an Ausstrahlung gewann. Mit den in Abgüsse seines Kopfes eingefrorenen Ideen („Hidden Assets”) lieferte er letztes Jahr einen der Höhepunkte der Ausstellung „Eiszeit” im Kunstmuseum Bern. Und seine Video-„Deckenmalerei” im Rahmen des Berner „Bildersturms” begeisterte nicht nur das Kunst-Publikum.

„Mess up your Mind” ist – zumindest technisch – eine Fortsetzung der Bildersturm-Arbeit, in welcher er sich zum Ziel gesetzt hatte, den Sekunden dauernden Akt der Zerstörung sichtbar zu machen. Eine Hochgeschwindigkeitskamera, wie sie im Militär für ballistische Studien verwendet wird, führte ihn – dank der Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport – zum gesuchten Effekt der Komprimierung von Zeit. Und genau dieser Faktor von Beschleunigung und Verlangsamung ist auch der Motor für die mit 27 Mitwirkenden – von Andrea Loux bis Alexander Tschäppät – realisierte Video-Gross-Projektion, die im Zentrum der Grenchner Ausstellung steht. Die Aufgabe für die Akteure war einfach; sie hatten vor laufender High-Speed-Kamera tief einzuatmen und dann die Luft durch den locker zusammengepressten Mund auszustossen, sodass die Lippen vibrierten. Von diesem kurzen Schauspiel machte die Kamera rund 1500 Aufnahmen pro Sekunde. Durch die Verlangsamung des Films auf die uns vertrauten, Wirklichkeit simulierenden 25 Frames pro Sekunde werden bewegte Bilder sichtbar, die wir nie gesehen haben und anders nicht sehen könnten.

Schön sind sie nicht die blubbernden Mundpartien mit und ohne Bartstoppeln, weissen und gelben Zähnen mit und ohne Paradontose. Es ist als würde ein Sturm die Gesichtslandschaft durchwühlen. Auf und ab gehen die roten Lippen, die Zunge vollführt wellenförmige Tänze und die Lippen werden hin und hergeschleudert. Erkennbar sind die Menschen nicht; das ist ihnen wohl lieb so. Für die Betrachtenden aber öffnen die acht parallelen „Partituren” Bild-Erlebnisse, die das eigene Menschenbild unmittelbar betreffen. Man sieht die Bilder im Kopf und spürt sie im Bauch.

Durch die personen-, aber auch die ausschnittbedingten Bildwechsel, durch die Untermalung mit archaisch wirken Geräuschen (rückwärts gesprochene Texte) gelang Klossner eine Video-Arbeit, die Dokumentarisches, Technisches und Künstlerisches zu einem beeindruckenden Ganzen verschmilzt. Die Erfahrung von Zeit, Bild und Wirklichkeit erhält eine erweiterte Dimension. Wer glaubte, die Bilder seien längst alle erfunden, wird vom Künstler eines Besseren belehrt.

Im zweiten Teil der Ausstellung, welche den Strang der mit transparenten Materialien – sei es Glas oder Eis – arbeitenden Objekte vorantreibt, zeigt Klossner vergoldete Siebdrucke auf Glas, die im Raum oder in Distanz zur Wand hängen und dadurch als Wechsel von Bild und Schatten erscheinen. Platons Höhlengleichnis lässt grüssen. Zu sehen sind Einzelbilder aus verschiedenen Video-Projekten. Doch die im Zeitfluss angehaltenen Bilder zeigen sich nicht als materialisierte Wirklichkeit, sondern nur als Schimmer.

Es gilt die Position der Augen und des Lichtes abzustimmen, um die Figuren, die Gesichter, die Köpfe, die Stadtlandschaften wahrzunehmen. Dabei wird das aktive Erkennen des Verborgenen über das Gefühl des Entdeckens zu etwas Kostbarem. Der Künstler unterstreicht dieses Wert-Moment persönlichen Erkennens indem er die gerasterten Siebdrucke mit Blattgold – weissgold, zitronengold, dunkelgrüngold … – überlagert. Klar, dass der „Bild-Forscher” auch hier die entsprechende Technik zuerst erfinden musste, diesmal in Zusammenarbeit mit einer Vergolderin.

Bis 15.07.2001 Katalog mit Werken aus den letzten 10 Jahren.
Der Link zum Künstler: www.franticek.ch