Haus am Gern: Ein Unternehmen nach allen Regeln der Kunst

Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta

Bieler Tagblatt, 24. April 2001

Mit einem Schattenlauf zog „Haus am Gern“ vor Jahresfrist ins Atelier Robert in Biel. Was ist dieses „Unternehmen nach allen Regeln der Kunst“ fragte das BT Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta.

Man weiss nicht so recht, was man mit dem Namen „Haus am Gern“ anfangen soll. Man möchte ihn mit gern haben in Verbindung bringen, aber die Sprachlogik widerspricht. Zu Recht; denn das Künstlerpaar Rudolf Steiner (37) und Barbara Meyer Cesta (41) benannte ihr „Unternehmen nach allen Regeln der Kunst“ nach seinem ersten Standort oder zumindest fast. Gegründet wurde Haus am Gern 1999 in einem ehemaligen Gebäude der Gugelmann Garne in Roggwil-Wynau bei Langenthal. Aus vier der fünf Buchstaben von „Garne“, so ist zu lesen, sei der Namen „Gern“ entstanden.

Wer jetzt den Kopf schüttelt, wird Haus am Gern nie verstehen. Denn dieses halb reale, halb inszenierte Kunst-Netz-Werk, das dank der Stiftung Atelier Robert seit Frühling 2000 hoch über der Stadt Biel trohnt, ist immer sowohl als auch. „Es steht für Vergnügen, aber nicht nur“, steht im Manifest. Es liege zwischen Kern und Mantel, distanziere sich von allen Bemühungen und zwinge niemanden. Zu Haus am Gern gehört aber auch, dass es mit 10% seiner Überschüsse die Neuansiedlung von Störchen unterstützt. Das Problem ist nur, dass das Budget „dehnbar klein“ ist und aus dem Sackgeld von rsbmc (Rudolf Steiner/Barbara Meyer Cesta) finanziert wird. Was indes nicht heisst, dass die Patenschaft für die Jungstörche nicht real bestehen würde. Haus am Gern ist eine reale Fiktion, so möglich und unsicher wie die Frage, ob die ersten Störche dieses Jahr zurückkehren werden oder ob das am 6. April 1999 gekaufte Grundstück auf dem Mond von Haus am Gern je genutzt werden kann.

Vielleicht ist es typisch, dass der „greifbarste“ (und überzeugende) Auftritt jener im World Wide Web ist (bmc gestaltete die Site fürs Diplom als Web-Designerin). Darin findet man unter anderem ein Organigramm mit den verschiedenen Tätigkeitsbereichen von „Verlag“ und „Aktionen“ über „Bed and Breakfast“ und „Hausbar“ bis „Ideologie“ und „Rand“. Besonders aktiv ist der Rand, der „Amöbenflösschen gleicht, die über das Auge treiben beim Starren in helle Flächen…hat man sie gesehen, wird man sie nicht mehr los“. Etwas konkreter sind damit die am Unternehmen Mitbeteiligten gemeint, den „Stellvertreter“ zum Beispiel, den Zürcher Künstler San Keller, dessen öffentlichkeitsorientierte Kunstaktionen vielfach für Haus am Gern durchgeführt werden. Mitte Mai zum Beispiel werden er und „Schnittholz“ für rsbmc eine temporäre Bieler „Artplage“ bauen.

Seit kurzem gehört zu Haus am Gern auch ein Art Process Inspector. Auf ein Inserat in der Januar-Ausgabe des Schweizer Kunstbulletins hin wurde Dr. dipl. Ing. Peter Vittali angestellt; er wird Haus am Gern fortan mit kritischen Fragen begleiten. „Will das Unternehmen die Kunstprodukte von ihrer Autorschaft befreien?“, fragte er das Haus während des BT-Besuches. Die Antwort gab das Haus in Form einer Schweigeminute.

Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta betreiben Haus am Gern als künstlerisches Unternehmen, verwirklichen innerhalb der Struktur aber auch Duo-Werke. An der letzten Weihnachtsausstellung im PasquArt zum Beispiel präsentierte das Haus am Gern die beiden Unternehmenden in Form klassischer Paar-Porträts, aufgenommen in Bieler Fotogeschäften. In der Kunsthalle Bern wurde ein (realer) Toaster gezeigt, „da sein Duft die Kauffreudigkeit des Publikums animiere“. In Arbon respektive Barcelona trat Haus am Gern letztes Jahr mit dem Video „laughter“ in Erscheinung – Menschen(gruppen), die als (eventuell lachende) Zuschauende eines Trickfilms gezeigt werden.

Das Indirekte, das sich im Blick anderer, während anderen Tätigkeiten, durch Aktionen anderer Zeigende ist der rote Faden, der Haus am Gern zusammenhält; alle, die Haus am Gern betreten zu Mitspielern macht. Egal ob er oder sie da nun ein Stück Kuchen esse, sich in Dokumentationen vertiefe, während den Geschäftsreisen von rsbmc die Tiere füttere oder in einem Zelt unter der Kuppel des dreistöckig-offenen Ateliers übernachte. Der Offenheit des Hauses steht stets der konzeptuelle Aspekt der Inszenierung gegenüber. Die Non-Valeurs des Lebens werden darin in die Seifenblasen der Werbe- und Unternehmenssprache übersetzt, was nicht selten zu Non Sense mit Hintersinn führt. Etwa wenn ein Hardcore-Video-Drama mit dem Eintauchen in atemberaubende Gefühlswelten angepriesen wird, konkret aber aus 41 Sprüchen wie „Sie biss sich auf die Lippen“ oder „Sein müdes Lächeln verstärkte sich“ besteht.

Oft ist es nicht ganz einfach zu erkennen unter welchem Label Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta auftreten, ob als Unternehmende von Haus am Gern, als einzelner Künstler respektive Künstlerin oder als Künstlerpaar. Denn alles gibt es. Die aktuell an verschiedenen Orten durchgeführte Aktion „Ich schreibe das Buch der Wahrhheit“ zum Beispiel ist eine Performance der Künstlerin Barbara Meyer Cesta, die in wochenlanger Arbeit die Bibel öffentlich abschreibt. Den Bieler Fotopreis 1999 respektive das Bieler Anderfuhren-Stipendium 2000 hingegen erhielt der Künstler Rudolf Steiner für eine Fotoserie respektive die Installation „Licht einfangen“. Die Differenzierung ist umso schwieriger als sich letztlich alles in allem spiegelt und darin auch die komplementäre Struktur der beiden erkennen lässt. Barbara Meyer Cesta, die auf (Aus)Dauer und strukturelle Wiederholung abzielt, Rudolf Steiner, der das Unmögliche als sinnliche Lebensphilosophie sichtbar zu machen sucht. Beides ist – von unmittelbarer Autorschaft befreit – letztlich Haus am Gern: Die nach aussen gekehrte Seite zweier Kunstschaffender, die im Kern introvertierter sind als ihnen vielleicht selbst lieb ist.

www.hausamgern.ch