Marianne Kuhn Galerie Elisabeth Staffelbach 2001

Schraffuren werden zu Wellen und Wirbeln

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Kunstbulletin September  2001
 
Der weiche Grafitstift notiert jede Bewegung des Armes, oder der Hand. Schraffurähnlich verdichten sich Zonen zu Wellen und Wirbeln; mal ausholend mal gedrängt. Schwünge und Gegenschwünge, mal weich, mal hart. Das weisse Blatt deckend, frühere Schichten überlagernd oder Notate – eigene und aus der Literatur übernommene –  einverleibend. Felder, Decken, Wände, Räume abtastend. Marianne Kuhn zeichnet wieder auf Papier. Ihre jüngste Entwicklung zeigt sie in der Galerie von Elisabeth Staffelbach in Aarau.

Eigentlich hat Marianne Kuhn (52) immer gezeichnet, doch was heisst „zeichnen“? Richtig ist, dass sie im Gegensatz zu Vielen, die in den späten 70er und den 80er Jahren mit ihr zeichneten – Künstlerinnen insbesondere – beim Grafit blieb und nicht, zum Beispiel zur Ölfarbe, wechselte (wie ihre einstige Schulkollegin Miriam Cahn u.a.).  Kuhn weitete vielmehr das mediale Feld der Zeichnung, ähnlich und anders wie Anna Barbara Wiesendanger oder auch Silvia Bächli.

Marianne Kuhns Zeichnungen fielen früh durch ihre Grösse auf, ihren Anspruch Architektur zu sein. Utopische, oft unterirdische Architekturen waren zugleich Thema. 1990 wechselte die Künstlerin den Standort, vertauschte die Tiefe mit der Höhe und schaute von oben. Es entstanden immense „Landkarten“, manche mit lyrischen Einschüben.

Grafit war weiterhin nicht nur Mittel zum Zweck, sondern zugleich Ausdruck von Materialität. Erdverhaftet, wandelbar, nutzbar und… schwarz. Als Tochter eines Zeitungsver¬legers ist Marianne Kuhn mit Schwärze gross geworden. Mitte der 90er Jahre wurde die Zeichnung Skulptur.  Der Grafit wurde zum Block, zum Relief, an der Oberfläche zur dreidimensionalen, monochromen Zeichnung modelliert. Hand, Finger, Form, Material. Die Abstraktion war nun total, das Objekt  Gefäss, Körper.

Ein grosser Kunst am Bau-Auftrag des Kantons Aargau beim Umbau des Südflügels des einstigen Klosters Muri (98/99) bringt die modellierte Fläche und die Wand zusammen, erzhaltig-rot und grafit-schwarz. Schichten, Bewegungen, Modulationen verbinden sich auf den grossformatigen Wand-Tafeln zu Tiefe.  Es ist als wären sie Atmung, Verbindung von aussen und innen. Doch nicht die klösterliche Kargheit, sondern die an Malerei reiche Barock-Kirche, die sie während der Arbeit als eine Art Refugium nutzt,  hinterlässt Spuren im Werk.

Dabei interessiert die Künstlerin nicht die Thematik, sondern die Dynamik der Bewegungen und die Art der Pinselführung – in den Bildern ebenso wie in den Wölbungen und Drehungen der Architektur. Nicht zuletzt dem Bedürfnis Raum gebend, die formale Reduktion von Skulptur und Wandarbeiten aufzubrechen, weitet sich das zeitgenössische Interesse zurück zu Caravaggio, zu Van  Dyck, zu  Rubens usw.

Körper und Zeichen werden zu Arabesken in bewegter Umgebung. Erde und Himmel, Wind und Wasser verbinden sich, werden zur expressiven Zeichnung auf den grossen, in London eingekauften Papieren auf dem Boden des Ateliers der Künstlerin in der Aarauer Altstadt. Es fällt auf, dass Kuhn nun nicht mehr von „zeichnen“ spricht, sondern von „malen“; warum soll man mit Grafit nicht malen können? 

Und tatsächlich geht es weder um Strich, noch um Form, sondern um vibrierende Zonen, die sich, zwischen hell und dunkel changierend, zu malerisch-bewegten, abstrakten Kompositionen fügen. Dabei aber, durch die zeichnerische Technik, sehr viel unmittelbarer am Körper¬aus¬druck, am Schnittpunkt von Emotionen und Gedanken bleiben. Marianne Kuhn hat immer in grossen Serien gearbeitet. Und ähnlich den „Wüstenlandschaften“ der frühen und den  „Weltkarten“ der mittleren 90er Jahre sind ihr die „barocken Landschaften“ nicht Thema, sondern Gefäss, in denen Ganzheit in abstrakter Form Platz hat.

„Land¬schaft“ steht dabei nicht für „Natur“, sondern für „Muster“, die wir aufgrund visueller Prägungen, mit Landschaft in Verbindung bringen. Kuhn forciert dies gar, indem sie der Tendenz zum Ornament Raum gibt, in gewissen Arbeiten gar in die Nähe der „Tapete“ führt und darüber indirekt ihre Liebe zum Barock und zu dessen Raum-Malerei ausdrückt. Hätte sie einen Wunsch frei, sagt die Künstlerin, würde sie sich einen Auftrag für ein Deckengemälde wünschen.
Zusammen mit neuen Zeichnungen von Marianne Kuhn sind in der Galerie Elisabeth Staffelbach Skulpturen von Jürg Stäuble ausgestellt. Bis 15. September 2001.