Qin Yufen im Palais Besenval in Solothurn 2001

„New York“ als Zäsur für die aktuelle Kunst

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt August/September 2001

Die bildende Kunst ist gefordert. Nach „New York“ ist vieles nicht mehr möglich. Qin Yufen hat ihre Ausstellung im Palais Besenval in Solothurn kurzfristig völlig neu konzipiert.

Eigentlich war alles ganz anders gedacht. Qin Yufens Installation mit fast 300 Wäsche-Ständern, die vor der barocken Mauer des Palais Besenval aus der Aare „wachsen“ spricht ein ganz andere Sprache als die Werke im Hauptsaal ihrer Ausstellung. Waren im August, als die in Berlin lebende chinesische Künstlerin die filigrane Konstruktion baute, leise Klänge noch möglich, drängte es die 1954 in Quingdao/China geborene nun ihrer Wut, ihrem Schmerz und ihrer Angst nach den Ereignissen in New York Ausdruck spontan Ausdruck zu geben.

Drei fast raumhohe, janusköpfige, körperlose Gestalten in seidenen „Gewändern“ schweben durch den Raum. In welche Richtung ist ungewiss, ihre farbigen Masken weisen nach vorne und hinten zugleich. Zäsur. Auf dem weissen halbtransparenten Kleid der einen Figur sind Atemschutzmasken befestigt, als wären es Pailletten. Neben/unter ihr ein kleines Schlauchboot, darin und darum unter anderem dünne chinesische Nudeln wie Bündel zerrissener Glasfaserkabel und ein Lautsprecher mit Klanggewirr, das die Künstlerin vor einiger Zeit selbst im World Trade Center aufgenommen hat.

Die anderen Gestalten enthalten sich direkter Allusionen, sie tragen farbige Papiere und Stoffe mit sich. Ein viertes Objekt hingegen versammelt an und unter einem der von Qin Yufen seit Jahren immer wieder verwendeten Wäscheständer Objekte zwischen Bruch und Rettung. Und an der Wand hängen mit Stickrahmen Bild und Textpassagen einspannende Zeitungen vom 12. September. Früher schon nannte die Künstlerin gewisse Arbeiten „Peking Oper“ ohne den Begriff eng zu fassen, jetzt scheint das Theater zwischen „gut“ und „böse“ manifest geworden zu sein.

Schönheit, Rhythmus, Farben im Spannungsfeld zwischen Ost und West, die sich der Kunstverein mit der Einladung von Qin Yufen versprach, um Anregung und Diskussion in die lokale Kunstszene einzubringen, wandelte sich in eine der ersten Ausstellungen überhaupt, in der eine Künstlerin Stellung nimmt und Ausdruck sucht zu den Geschehnissen, welche die Sicht auf die Welt schlagartig und brutal veränderten. Die Enttäuschung war den Veranstaltenden an der Vorvernissage ins Gesicht geschrieben und doch waren sich alle einig, Qin Yufen hat richtig gehandelt.

Sie macht bewusst, dass gerade die Kunstschaffenden nun gefordert sind, dass „blauäugige“ Ausstellungen nicht mehr möglich sind, dass die Frage „kann man das noch oder kann man das nicht mehr“ in Zukunft allgegenwärtig sein wird. Insofern schreibt die Ausstellung von Qin Yufen, wie geplant, nur anders, lokale Kunstgeschichte.

„Ich wollte eine wilde Ausstellung machen“, sagt die Künstlerin, eine Wut und Hilflosigkeit, Trauer und doch auch Hoffnung spiegelnde. Innerhalb ihres Werkes verweist sie damit indirekt auf jene Arbeiten, die früher schon chaotische Elemente mit integrierten wie etwa die Klanginstallation „Di Lin“, eine Kombination von Bambusflöten, Kabelrollen und Lautsprechern. Nur ist jetzt alles potenziert, ausgefächert und radikaler denn je in den Dialog der Kulturen gestellt.

Qin Yufen gehört zur Generation, welche Maos Kulturrevolution aktiv erlebte – statt eine Akademie zu besuchen, musste sie als Fabrikarbeiterin aufs Land. Persönliche Ausdrucksformen war nur im Untergrund möglich und so packte sie die Chance einer Einladung nach Berlin, 1986, um im Deutschland zu bleiben. Die zahlreichen Installationen mit Wäscheständern – oft auch einzelne, die sie mit Stoffen behängt – zeigt wie unbelastet die Künstlerin uns als „Un-Dinge“ erscheinende Objekte rein formal betrachtet; eine feministische Lesart der Wäscheständer zum Beispiel wäre ihr völlig fremd. Dennoch ist es – wie bei anderen im Westen tätigen Künstler/-innen aus dem asiatischen Raum – die eine Kultur in der andern, welche die Substanz ausmacht. Das gilt auch für die aktuelle Ausstellung von Qin Yufen in Solothurn, obwohl sie in ihrer betonten Gegenständlichkeit für uns paradoxerweise schwieriger verständlich ist, als die abstraktere und damit offenere Installation in der Aare vor dem Palais.