Roman Signer Filme Zeichnungen KM SO

Vom Freisetzen poetischer Energie

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 11. April 2001

 

Seit der „documenta 87“ stehen Roman Signer (63) alle Türen offen. Wie Zeichnungen und frühe Filme im Kunstmuseum Solothurn zeigen, wurzeln die Feuer-, Wind- und Wasseraktionen des Ostschweizers in den 70er Jahren.

Seine Naturkräfte kontrolliert einsetzenden Aktionen mit Feuer, Wasser und Wind sind spektakulär. Seit Peter Liechtis Film „Romans Koffer“ (1997) sogar populär. Doch der heitere Event-Charakter täuscht. Signers Kunst wurzelt in Grundfragen des Lebens. Was ist Lust und was ist Angst. Wo sind die Grenzen zwischen Kraft und Körper. Nichts zeigt Signers Welt zwischen Triebkraft und poetischer Umsetzung so eindrücklich wie die frühen Zeichnungen und Filme. Entstanden in einer Zeit als Signer – im Gegensatz zu heute, da er bei Hauser&Wirth unter Vertrag steht – noch keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen, um grössere Projekte umzusetzen. Eine markante Zahl von Blättern sowie ein dreistündiger Film mit ge- und missglückten Filmdokumenten sind zur Zeit im Kunstmuseum Solothurn zu sehen.

Den Schlüssel zeigen die durchwegs mit Texterläuterungen versehenen Aquarell-Zeichnungen der 70er Jahre. Signer ist zu dieser Zeit bereits zwischen 35 und 40 Jahre alt. Erst 1969 entschloss sich der als Bauzeichner in der Metallbranche tätige Appenzeller, die „Bildhauerklasse“ der Schule für Gestaltung in Luzern zu besuchen. Der Schulausflug nach Bern in die Ausstellung „When attitudes become form“, ist für ihn wie ein „Aufatmen“, ein sich selbst finden. Die eigene Welt-Vision kann nun gelebt werden. Unter dem Einfluss aktueller Strömungen von der amerikanischen Land Art über die Innerschweizer „Mentalität Zeichnung“ bis zur experimentellen Konzept-Kunst entwickelt Signer in der Folge Projekte zwischen Utopie und Realisierbarkeit. Im Kern beinhalten sie bereits alles, was später und heute seine Kunst ausmacht: Das Freisetzen von Naturkräften in einer „Sprache“, die über romantische und poetische Metaphern nach den Grenzen des Menschen in der Welt fragt.

Ein Blatt von 1977 zum Beispiel zeigt die Wechselwirkung zwischen Energie, Kraft und Land Art eindrücklich: In eine grasgrüne Schweizer Voralpenlandschaft stellt Signer drei trichterförmige „Turbinen“, die von talwärts fliessenden Wasserläufen gespiesen werden. Ihre Funktion wird in einer Vereinzelung aufzeigt. Die „Einströmungs-Öffnung“ ist in Signers Projekt so angelegt, dass das Wasser spiralförmige Kreise nach unten zieht und letztlich in ein Rohr einfliesst. Im Zentrum dieses Rohrs ist eine Säule, auf deren Plattform ein Mensch stehen kann während das Wasser um ihn herumbraust. Die Visionen Signers sind nie einseitig romantisch, sondern stehen stets in Wechselwirkung zur Technik. Die Zürcher Kunsthistorikerin Marie-Louise Lienhard spricht in einem Text vom Qualitätsmassstab der „Fallhöhe“ und meint damit die Dimension zwischen der romantischen Vorstellung und deren präziser, bis ins letzte durchdachten und kontrollierten Umsetzung in die Realität. Das heisst der Gleichzeitigkeit von Romantik und Physik. Das, was Signers Arbeiten so besonders macht und sie, zum Beispiel, von den gleichzeitigen Traumvisionen einer Meret Oppenheim oder einer Ilse Weber unterscheidet.

Die Solothurner Ausstellung – sie ist nicht die erste, die sich auf die Zeichnungen konzentriert – zeigt rund 75 Aquarell-Zeichnungen von Projekten, die im Gegensatz zu den späteren „Skizzen“ nicht unmittelbar auf eine Realisierung ausgerichtet sind. Als bildhaft festgehaltene Projekte verwirklichen sie sich in der Vorstellung des Künstlers respektive der Betrachter/-innen. Zum Beispiel im „Wasserfall“: Da schwimmen im flachen, oberen Teil eines Bergbaches vier Hölzer, an jedem ein Ballon befestigt. In dem Moment, da das Wasser über die Kuppe fällt, hebt die Auftriebskraft des Gases in den Ballonen die Hölzer ab. Drei sind auf der Zeichnung bereits in er Luft und es ist als sähe man sie – Gleitschirmfliegern gleich – vom Himmel hinunterschweben. Der dreistündige Super 8-Film – eine Aneinanderreihung von unzähligen Experimenten – ist köstlich und zeigt in Wechselwirkung mit zwei neuen, kurzen Videoscreens die Diskrepanz der Möglichkeiten zwischen damals und heute. Schade nur, dass der Film lediglich über einen Video-Monitor läuft und nicht als Projektion eingerichtet ist.

Anschliessend im Westfälischen Landesmuseum in Münster. Katalog.