Zu James Turrell im „haus konstruktiv“ in Zürich 2002

icht als faszinierendes Phänomen

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Mittelland-Zeitung vom 9. Oktober 2001

Fesselnde Licht-Installationen und hochpräzise Grafikzyklen des US-Künstlers James Turrell (58) machen die Eröffnung des neuen „haus konkret“ im Zentrum Zürichs zum Erlebnis.

Schon seit 15 Jahren gibt es in der Hauptstadt der „Zürcher Konkreten“ eine von der Öffentlichkeit wie privaten Kreisen subventionierte Stiftung, die sich der konstruktiven Kunst widmet. Am Rand der Stadt gelegen, blieb es indes ein Museum für Kenner. Nun ist es der Stiftung mit einem Kraftakt gelungen, sich ins Zentrum zu setzen. Dieser Tage wurde das mit nur 6 Mio Franken umgebaute ehemalige ewz-Unterwerk Selnau ( die Verlängerung der Kulturhäuser an der Gessnerallee) als „haus konstruktiv“ eingeweiht. Ein sowohl farblich wie architektonisch der Identität des Hauses entsprechender, zweck–orientierter Umbau (Meier&Steinauer Partner) ohne Stararchitekten-Allüren.

Direktorin Elisabeth Grossmann wollte für das „haus konstruktiv“ einen fulminanten Start, der drei Dinge klar macht. Erstens: Keine andere schweizerische Stilrichtung hatte mehr internationalen Einfluss als die „Zürcher Konkreten“ mit ihren Hauptfiguren Max Bill, Paul Lohse, Verena Loewensberg und Camille Graeser – ein von ihrem Denken ausgehendes Museum ist darum für Zürich, für die Schweiz wichtig. Zweitens: Die konkrete und konstruktive Kunst hat viele Verzweigungen – es geht darum die Begriffe umfassend und generationenübergreifend darzustellen. Drittens: Das „haus konstruktiv“ versteht sich nicht national, sondern international.

Mit der Ausstellung von James Turrell – einem der grossen Künstler des „Erhabenen“ in der Kunst des 20. Jahrhunderts – gelang es Elisabeth Grossmann, Punkt zwei und drei eindrücklich zu verwirklichen. Der Punkt eins visualisierende Raum mit konkreter Kunst aus Schweizer Museen und Sammlungen ist indes enttäuschend. Nicht weil die Qualität der Werke schlecht wäre, sondern weil die dichte Hängung die Ansammlung von Werken geradezu bieder wirken lässt. Fundiert ist hingegen das von Margrit Weinberg-Staber, der ersten Direktorin der Stiftung, herausgegebene Studienbuch mit dem – geschichtlich gesehen – provokativen Titel-Zitat von Theo van Doesburg „Sind auf einer Leinwand eine Frau, ein Baum oder eine Kuh etwa konkrete Elemente?“. Klar, dass die Antwort „Nein“ ist.

James Turrell hat einst Psychologie, Mathematik und bildende Kunst studiert und dies zu einer Zeit als in den USA, bezüglich „Visual Arts“ die Minimal- und die Landart die Gemüter bewegten. All diesen Faktoren blieb der Kalifornier treu: In Arizona ist mit dem Projekt „Roden Crater“ das grösste Landart-Projekt aller Zeiten im Entstehen, seine raumgreifenden Licht-Installationen sind Wahrnehmungsphysik per excellence und zugleich Geist und Seele bannendes, metaphysisches Erlebnis. Wer sich im „haus konstruktiv“ in die grösste „black box“ tastet und dann vor der von rotem Lichtgrund keilförmig in den Raum ausfächernden Projektion („Wedgework V“) steht, stockt der Atem. Plötzlich scheint „greifbar“ zu sein, was „immateriell“ heisst – etwas, das Luft und Raum füllt und für unsere Sinne zugleich inexistent ist.

Ein Stück weit stand die Pressekonferenz im Vorfeld der Ausstellungseröffnung unter einem unglücklichen Stern, denn wegen der Terrorattentate in New York traf der Künstler zu spät in Zürich ein und nur gerade eine Licht-Arbeit war bereits vollendet. Doch die Verzögerung hatte auch ihre Gutes, denn die halbfertigen Räume zeigten nackt und klar, dass es materielle, technische Geräte, präzise Form-Ausschnitte und Lichtmengen etc. sind, welche die „Verführungen“ möglich machen. Wer später den Weg noch einmal unter die Füsse nahm, war dennoch gebannt – vom ultravioletten Licht, das vom Boden her den Raum erfüllt, vom Fahlgrün einer sich ins Nichts ausdehenden Tiefe, von der räumlichen Form-Kraft des roten Lichtkubus. Denn es ist das Überspringen von Grenzen mit den Mitteln physikalischer Präzision, das uns die Gleichzeitigkeit, die Einheit von Physik und Metaphysik ahnen lässt.

Installationen und Papierarbeiten von James Turrell waren schon mehrfach in der Schweiz respektive in Europa zu sehen; wichtige (ausgestellte) Grafik-Zyklen wie „Deep Sky“(1984) oder „Still Light“ (1990) entstanden im Atelier des vor Jahresfrist verstorbenen Theo Kneubühler in Zürich. Der Künstler sagt, er arbeite zu 40% in Europa, zu 40% in Japan und nur zu 20% in den USA. Mentalitäten und Kulturen. Die Werke, die Turrell für Zürich auswählte, sind, den Budget-Vorgaben gehorchend, nur vereinzelt spektakulär, machen jedoch, mit Arbeiten von 1967 bis 2001, wie selten zuvor eine Werkentwicklung sichtbar. Eine Entwicklung, die von konstruktiven Untersuchungen perspektivischer Licht-Körper im halbdunklen Raum ausgeht und sich von da mehr und mehr (aber nicht nur) in die Dunkelheit vortastet, um in immer abstrakterer Form das Phänomen des Lichtes als formgebene, weil sichtbar machende Ebene aufzuzeigen.

Neben den raumgreifenden Lichtinstallationen zeigt Turrell drei (sich in Schweizer Privatsammlungen befindliche) Aquatinta-Serien, die, analytischer als die Lichträume, die Fähigkeiten des Seh-Sinns herausfordern und die konstruktiven Strukturen der Arbeiten visualisieren. Zwiespältigen Eindruck hinterlassen hingegen die in marktgängigen Formaten konzipierten Hologramme, die nicht über die 3D-Licht-Phänomenologie als solche hinauskommen; aber schliesslich muss ja auch ein Turrell von Zeit zu Zeit etwas verkaufen können.