5. Bieler Fototage: Die Bildwahl als (politischer) Machtfaktor 2002

Zensur für General Guisans Zigarette

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 10. September 2002


Die Bieler Fototage sind redimensioniert und viele der einzelnen Ausstellungen klein. Dennoch sind zwischen „Macht und Freiheit“ spannende Aspekte und qualitativ herausragende Fotos zu entdecken.

Bei den Bieler Fototagen steht, wie immer, die Reportagefotografie im weitesten Sinn im Vordergrund. Reportage ist oft ein Doppelspiel. Zwischen dem fotografierenden Beobachter und den Bilder zur Publikation auswählenden Auftraggebern. Macht und Freiheit. Bis hin zur Zensur. Dieser Aspekt ist einer der roten Fäden der diesjährigen Bieler Fototage. Sowohl aktuell wie historisch.

Erstmals arbeiten die Bieler Fototage auch mit „Konserven“, mit Reprisen anderswo bereits gezeigter Ausstellungen. Im Fall des Polizei-Fotografen Arnold Odermatt wird damit kalter Kaffee serviert (was nicht heisst, dass die Bilder nicht auch bei der dritten Begegnung faszinierend sind). Bei den „Zensurgeschichten“ – vom Schweizerischen Armeekommando zensurierte Fotos aus der Zeit des 2. Weltkrieges – ist das anders. Zum einen handelt es sich um eine Produktion des Bieler Photoforums, zum anderen illustriert sie das Thema der Fototage zentral; überdies erinnern sich wohl nur wenige an die 1988 im damals noch nicht renovierten Museum Neuhaus gezeigte Ausstellung. Die aus dem Schweizerischen Fotoarchiv stammenden Aufnahmen zeigen Szenen aus dem Aktivdienst 1939 – 1945, die vom Armeekommando auf der Basis eines Bundesbeschlusses von 1939 nicht zur Publikation freigegeben wurden.

Es sind keine Skandalaufnahmen, da der Beurteilung durch die Behörden die Selbstzensur der Fotografen und Medien vorausging. Dennoch ist es spannend zu sehen, wie jede Spur von Humor – ein Hund, der eine Soldatenmütze trägt – jeder Hauch von Abweichung – der General ohne den seine Macht kennzeichnenden Hut – jede Spur von Weiblichkeit – junge Frauen mit polnischen Internierten – aus dem offiziellen Bild der Schweiz im Krieg ausgemerzt wurden, um mit ausschliesslich respektheischenden Aufnahmen ein Bild von Wehrhaftigkeit zu postulieren. Ein politischer Akt.

Nur selten – etwa bei General Guisan, der genüsslich an einer Zigarette zieht – ist die Zensur aus heutiger Sicht auf die damalige Zeit nachvollziehbar. Umsomehr als das Leben in der Armee offensichtlich auch andere Seiten hatte. Das illustriert – spannend in der Gleichzeitigkeit – die kleine Auswahl von Aufnahmen von Theo Frey (1908 – 1997) aus der selben Zeit. In heiteren Bildern zwischen Sachlichkeit und Anteilnahme zeigt der für seine Zeit wichtige Schweizer Fotograf, was damals auch zum Soldatenleben gehörte – das Schreiben von Briefen, der Armeepriester, der fotografiert (Lötschental 1941), die sportliche Herausforderung in der Ausbildung, die Lust dreier junger FHD (Frauenhilfsdienst) am Beobachten des Himmels. Schade, dass der Begleittext, der von den „seltenen Augenblicken von Freiheit im schweizerischen Kriegsalltag“ spricht, in seiner historischen Interpretation der damaligen Zeit übers Ziel hinausschiesst. Die Soldaten waren wohl im Aktivdienst, aber der Krieg fand anderswo statt.

Interessant ist die Gegenüberstellung der 1940er-Jahre und heute. Zwar hinkt der Vergleich zwischen Soldatenleben und protestierenden Antiglobalisierungs-Gruppen. Aber auch in den formal hervorragenden zwischen Davos, Genua und New York gemachten Aufnahmen des jungen Romand Philippe Gétaz (25) kommt eher der menschliche Zug zu Bild als die Ernsthaftigkeit der politischen Anliegen, die höchstens da und dort auf Transparenten auftauchen, etwa in „Food not Bombs“ oder „Rain of Misery“. Was im Vergleich vor allem beeindruckt ist der Grad an Freiheit wie er sich in der Kreativität – auch der Radikalität – von individueller Kleidung, Bewegung, Haltung, Tätigkeit ausdrückt im Vergleich zur Normiertheit von damals. Und dies sowohl bezüglich der Motive wie dem fotografischen Umgang mit dem Abbild. Die Aufnahmen von Gétaz sind nicht im Hinblick auf eine Publikation in den Medien entstanden, somit liegt auch die Auswahl in der unzensurierten Freiheit des Fotografen.

Ganz im Gegensatz zu den Aufnahmen des Genfers Steeve Iuncker (33), der im Auftrag von Paris Match und des Juwelierhauses Chopard am Filmfestival in Cannes fotografierte, von dessen Aufnahmen aber keine einzige publiziert wurde. Da sein fotografischer Blick weder medialen noch Public Relation-Interessen entsprach. Indem er, jenseits der Konventionen, die kleinen Sternchen fotografierte, ungeschönt zum Teil, die Kehrseiten – etwa den Laufsteg der Möchtegerne-Pornostars – aufnahm und die Colliers nicht einfach nur zum Funkeln brachte. Auch da spielt Zensur. Allerdings sagt sie im konkreten Fall mehr über die Differenz zwischen medialen Bedürfnissen und künstlerischen Ansprüchen aus als über Macht und Freiheit in einem politischen Sinn. Insofern weist die Ausstellung von Steeve Juncker sehr schön auf die Differenz zwischen angewandter Reportage- und freier Kunstfotografie.