Cache cache camouflage Mudac (Musée de Design et d’Art appliqués contemporains) in Lausanne. 2002

Von der Lust sich zu tarnen um (nicht) gesehen zu werden

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 20. April 2001

Das Museum für Design und angewandte Kunst in Lausanne (mu.dac) agiert zwischen Kunst und Gestaltung. „Cache cache camouflage“ erzählt von der (Mode)lust sich zu tarnen, um (nicht) gesehen zu werden.

Eine Vielzahl von Stoffmuster im mu.dac in Lausanne belegt es: Jede Armee jedes Landes rund um den Erdball nutzt Tarnstoffe für Zelte und Uniformen. Natur und Kunst liefern die Muster, um Menschen und Dinge zu verstecken ohne ihre Funktionen einzuschränken. Sehen ohne gesehen zu werden. Die Provokation als Masche nutzend, hat die Modeindustrie vor einigen Jahren den Tarnstoff für ihre Zwecke entdeckt. Vom Möbelstück über die Haute-Couture bis zum Tee-Service und zum Tanga-Slip gibt es alles im Tarnlook. Mit einer gehörigen Portion Ironie hat das mu.dac eine Vielzahl exquisiter „Terroristen-Chic“-Objekte zusammengetragen, um sie in „cache cache camouflage“ zu zeigen. Kuratorin der zugleich spritzig-aktuellen wie hintergründigen Ausstellung ist die junge Kunsthistorikerin Chantal Prod’hom. Sie hat dem einstigen Museum für angewandte Kunst mit seinem Umzug in die „Maison Gaudard“ – ein in die Zeit der Gotik zurückreichendes Gebäude unmittelbar neben der Kathedrale – ein neues, zeitgenössisches Konzept verpasst, das den Spagat zwischen Kunst und Gestaltung wagt. Chantal Prod’hom ist darüber hinaus „Madame Manor“, die führende Frau im Gremium der schweizerischen Manor-Kunst-Preise.

Einem analytischen Konzept zwischen Gestaltung, Kunst und Intellekt folgend, beschränkt sich „cache cache camouflage“ nicht auf Tarn-Design-Variationen, sondern hinterfrägt die Motive auf ihre gesellschaftliche Relevanz. Fotografien, Filme, Objekte, Malerei weiten und wandeln das Thema. Mit einem einer Leinwand gleich auf ein Chassis gespannten Militär-Tarnstoff hat der Italiener Alighiero Boetti 1967 den Anfang gemacht; als eine Art pazifistische „arte povera“. Boettis militärkritischer Ansatz ist in der modischen Gegenwart nur noch als Schizophrenie präsent. Der militärische Hintergrund wird ignoriert, zugleich aber, und das spiegelt der Markterfolg deutlich, auf einer psychologischen Ebene kopiert. Sich verstecken, um zu sehen ohne gesehen zu werden oder sich tarnen, um erst recht aufzufallen, ist als kontroverse Spannung zwischen Innen- und Aussenleben in jedem Menschen enthalten. Und im globalen Kommunikations- und Überwachungszeitalter virulenter denn je. Und das nutzt die Mode- und Design-Industrie weit über das Motiv militärische Tarnmuster hinaus; zum Beispiel indem Couturiers die Schleier der Moslemfrauen zum Modegag machen oder – harmloser – Körperhaut als künstliche Haut auf der Haut inszenieren oder das Natur-Tarnmuster auf die Stadt übertragen und Kostüme in Backstein-Muster entwerfen.

Subversiver und damit entlarvender geht die Kunst mit dem Thema um. Der Romand Didier Rittener zum Beispiel malte in scheinbarer Harmlosigkeit Informels mit farbigen Platanenrindenmustern, die wie ein Ei dem andern den Tarnstoffen ähneln. Der Franzose Ora-Ito entwickelte auf seinem PC einen „hack Mac“ in Tarn-Design („Think weapon“), Olaf Breuning bemalte vier Freunde im Tarnlook, setzte ihnen indianisch/asiatische Kultmasken auf und führt so die Szenerie (als Fotografie) ad absurdum. Eindrücklich ist das Video von Renaud Auguste-Dormeuil, das eine Spionin zeigt, die alle Fotos ihrer selbst zu löschen sucht, um sich zu tarnen.

Wie nahtlos Kunst und Design sich im Camouflage vernetzen, zeigt sich in vielen Beispielen. Köstlich die als künstliche Kaktusse oder Palmen erscheinenden Natel-Antennen. Vieldeutig die als Scheunen oder Ställe getarnten Funk-Anlagen oder die Berg-Bunker-Anlagen des „Réduit“. Hinterlistig die in Fotos visualisierte Geschichte jenes Fotografen, der seinen simplen PW als Service-Wagen bemalte, um (endlich) umgestört Industrie-Anlagen ablichten zu können. Dass auch Menschenmassen vielschichtigen Tarncharakter haben, zeigen im mu.dac unter anderem Fotografien von Beat Streuli, Massimo Vitali und Andreas Gurky. Und dass die Nacht das älteste Versteck ist, daran erinnert eine Aufnahme von Thomas Ruff.

Die Ausstellung, die auch Woody Allens Film des chamäleonhaften „Zelig“ (1983) nicht vergisst, ist äusserst vielseitig und gedankenanregend. Zu kurz kommt einzig die ganze Camouflage-Thematik im Zusammenhang mit dem Internet (Chat-Rooms z.B.).

Die Ausstellung ist von einem nachhaltigen, französisch- und deutschsprachigen Katalog begleitet.