Mathilde ter Heijne im migros museum Zürich. Bis 02.06.2002

Warum tötest Du Dich?

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Mittelland-Zeitung vom 19.04. und Bieler Tagblatt vom 24.04.2002

Ohnmacht und Unverständnis treibt die Künstlerin Mathilde ter Heijne (33) an, mit szenischen Mitteln dem Phänomen des Selbstmordes respektiver Opfertodes nachzugehen. „Tragedy“ nennt sie ihre Ausstellung im migros museum in Zürich.

Heike Munder, die junge Direktorin des migros museums in Zürich, wagt es auch in ihrer zweiten Ausstellung, Kunst als Fragestellung zu einem grossen, psychologischen Thema zu zeigen. Ging es in „The Collective Unconsciousness“ um die Triebkräfte der Angst, suchen die inszenierten Video- und Bühnenarbeiten von Mathilde ter Heijnes dem persönlich oder politisch motivierten Selbstmord respektive Opfertod auf die Spur zu kommen. Heike Munder lanciert damit ein Programm, das in der Schweizer Museumslandschaft ziemlich einsam dasteht, gerade darum aber ausgesprochen spannend zu werden verspricht.

„In unserer überinformierten Gesellschaft sind Wissen und Erfahrung zweierlei“, leitet die Kunsthistorikerin Claudia Spinelli einen Text zu Mathilde ter Heijne ein. Und trifft damit die Spannung im Werk der Künstlerin. Den täglichen Nachrichten über Selbsttötungen, Selbstverbrennungen, Selbstmordattenaten stellt sie ihr Unvermögen zu begreifen gegenüber. Und sucht nach Antworten, nach Dialogen zwischen sich selbst, dem eigenen Körper und den Geschehnissen. Das Medium der Übersetzung ist eine Mischung von Film und Theater, eine Konzentration auf Bildsequenzen, die Geschehen zeigen und nach dem Vorher und dem Nachher fragen. Die Künstlerin tritt dabei zugleich als Plot-Schreiberin, als Regisseurin und als Schauspielerin auf.

Eine junge Frau in dunklem Regenmantel steht vor einer mit Graffiti verunstalteten, dunklen Betonmauer. Sie ist nervös, bewegt sich kaum. Andere Menschen stellen sich dazu. Offensichtlich eine Bushaltestelle. Dann eine Explosion. Das ist die lineare Erzählung von „Suicide Bomb“; das als Loop laufende 5-Minuten-Video läuft jedoch in Brüchen ab. Die Künstlerin und die Montage ihres Doubles wechseln sich ab. Es geht nicht um Erzählung, sondern – ähnlich wie in der Kriminalistik – um ein Nachstellen, um (vielleicht) zu begreifen. Die (englische) Tonspur liest Ausschnitte aus Analysen zu den Strukturen des Selbstmord-Terrorismus. Die mangelhafte Audio-Qualität in der offenen Ausstellungsarchitektur gibt dem Wort nicht dieselbe Bedeutung wie dem Bild. Doch ist das ist nicht nur negativ, denn die Qualität der Arbeit misst sich an der Sichtbarmachung der emotionalen Komponenten. Hier zugleich jener der im Hintergrund stehenden palästinensischen Selbstmörderin (14% der Attentate werden von Frauen begangen) wie der Künstlerin, die in sich Antworten auf ihre Fragen sucht. Darum ist es äusserst wichtig, dass in allen vier Video- respektive CD-Romarbeiten wie auch in der als Installation aufgebauten (griechischen) Theaterarena immer die Künstlerin respektive ihr exakt nachgebildete Doubles zu sehen sind.

Die Fragestellung, die sich wie ein roter Faden durch das Werk ter Heijnes zieht ist das Hinterfragen von Wechselwirkungen zwischen Tod, sich über Generationen repetierenden Schuldgefühlen und deren zwanghafte Sühnenrituale. Dass die Blickrichtung dabei frauenbezogen ist, hat mit Authentizität zu tun, das heisst der Künstlerin, die sich und damit weibliches Empfinden hinterfrägt. Befasst sich die älteste, dem Film am nächsten stehende Arbeit (1999) mit drei französischen Filmen, in denen drei verschiedene Mathildes Selbstmord verüben, um das Scheitern ihrer Liebesbeziehung nicht zu erleben, greift die für Zürich realisierte, jüngste Arbeit mit dem Titel Five times „Hi“ auf den Übergang von Götter anrufenden Opferritualen zur Inszenierung der Geschehnisse als Theater zurück. Zu sehen ist eine drastische theatralische Menschenopfer-Situation, ausgeführt von Heijne-Doubles. Die Szene ist jedoch musikalisch von der, von der Künstlerin selbst gesungenen(!) Hymne der Priesterinnen aus Glucks Oper „Iphigenie auf Tauris“ untermalt, in welcher Diana um Versöhnung gebeten wird, um ein bevorstehendes Menschenopfer nicht ausführen zu müssen.

In der Vernetzung und in der stetigen Integration ihrer eigenen Künstlerpersönlich-keit gelingt Mathilde ter Heijne eine eindrückliche „Tragödie“. Um die Dichte nicht ins Unermessliche zu steigern, theatralisiert sie geschickt den Zu- respektive Abgang mit „Tragedy“ schreibenden skulpturalen Holz-Buchstaben, die von Diskofarb-Impulsen im Rhythmus des Beeches-Songs „Tragedy“ rhythmisiert werden.

Ein Katalog erscheint im Laufe der Ausstellungsdauer. Bis 02.06. 2002