Carmen Perrin, Jean Stern, Pierre-Alain Zuber in der Abbatiale de Bellelay, 2002

Den Himmel von der Decke geholt

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 10. August 2002

Bezüglich Einheit von Raum und Kunst ist die heurige Sommerausstellung in der Abbatiale de Bellelay wohl die beste, die es je gab. Carmen Perrin, Jean Stern und Alain Zuber holten die Decke auf den Boden.

Beatrix Sitter-Liver machte 1999 den Anfang: Sie stellte in der riesigen Klosterkirche von Bellelay als erste nicht einfach Bilder und Skulpturen aus, sondern bezog den sakralen Barock-Raum direkt in ihre Arbeit ein. Ein gemalter, gläserner Sternenhimmel am Boden spiegelte die Decke. Und jetzt haben die drei plastisch schaffenden Genfer Künstler/-innen Carmen Perrin, Jean Stern und Pierre-Alain Zuber die Decke zum Motiv für ihre Boden-Skulpturen gemacht. Betrachtet man sie von der umlaufenden Empore her, fühlt man sich gleichsam zwischen Himmel und Erde.

„Plus que six cartouches“ nennt sich die Ausstellung; nichts als sechs Kartuschen. Richtig. Die sechs grossformatigen, ausgeschnitten wirkenden „Scheiben“ aus Holz, die auf (theoretisch) wippenden Holz-Unterbauten liegen, sind nichts anderes als die Deckenornamente über ihnen im Masstab 1:1. Die drei Kunstschaffenden haben Elemente der Architektur zum Ausgangspunkt ihrer Arbeiten gemacht. Ihre Präsenz steht somit in engstem Austausch mit dem Ort, der dadurch selbst Teil der Ausstellung wird. So radikal, so bewusst hat bisher niemand mit der seit 1968 alljährlich im Sommer als Kunst-Raum genutzten Kirche gearbeitet. Spannend.

Die Ausstellung schmeichelt sich indes nicht auf den ersten Blick ein. Der barocke Schwung der Stukkaturen tritt nicht auf Anhieb mit den rauhen, eckig-runden Formen in Dialog. Erst im Bewusstwerden des immensen Raum-Volumens der Kirche passen sich die Skulpturen in die Proportionen ein und lassen auch die drei unterschiedlichen Künstler/-innen erkennen. In der Art und Weise der Oberflächenbearbeitung spiegeln sich ihre von grossen nationalen Ausstellungen her bekannten Arbeitsweisen. Die intensiv mit dem Holz verbundene, rot-erdige, vielfach geschichtete und geschliffene „Bild“-Oberfläche verrät Carmen Perrin, die Auffächerung der Fläche in einen Rost aus einzelnen Balken macht die Brücke zu den treppenförmigen Holz-Skulpturen von Jean-Alain Zuber und die in reflektierende Architekturfelder unterteilten, malerisch-gestisch bearbeiteten Kartuschen verraten Jean Stern.

Zum eindrücklichen Erlebnis werden die Arbeiten, wenn man auf die seitliche Empore hinaufsteigt und plötzlich zwischen Himmel und Erde steht. Die Grössenverhältnisse zwischen den als leere Felder umrissenen Decken-Ornamenten und den formanalogen Bodenskulpturen erscheinen von der Mitte aus auf einmal gleich gross und gleichwertig. Der Künstler, der einst die Stukkatur entwarf steht nun im Dialog mit drei Gästen, die ihre übernommenen Felder auf ihre Art gestalten. Die Einheit von Architektur, Raum und Gestaltung über die Zeitepochen hinweg wird beglückend spürbar.

Erstmals beteiligt sich die Schweizerische Hochschule für Holzwirtschaft in Biel an einer Ausstellung in Bellelay. Studenten berechneten und schufen die bewusst als Wippen geformten Unterbauten, welche die Wölbung der Kirche und damit auch der Kartuschen aufnehmen und umsetzen. Erstmals steht die Ausstellung in der Abbatiale auch in direktem Austausch mit dem Kunstmuseum in Moutier. Valentine Reymond zeigt anhand von Werken, die Künstler seit 1968 im Rahmen ihrer Ausstellungen in Bellelay der Stiftung schenkten. Zwar ein Potpourri, aber von so bekannten Künstler/-innen wie Hans Erni, Coghuf, Mumprecht, Brignoni, Pedretti, Ziegelmüller, Spinnler, Beatrix Sitter und Catherine Bolle. Auch Perrin, Zuber und Stern zeigen ihre freien, skulpturalen Werke, entgegen dem ursprünglichen Konzept, konsequenterweise in Moutier und nicht in Bellelay. 

Bis 25. August 2002