Das Drama des Lebens in bewegten Bildern

Eija Liisa Ahtila: in der Kunsthalle Zürich. Bis 11.08.2002

Die Finnin Eija Liisa Ahtila ist an der documenta11 in Kassel mit einer Videoarbeit vertreten, welche die inneren und äusseren Bilder einer psychotischen Frau zeigt. Dramatisch und poetisch. Jetzt ist in der Kunsthalle Zürich mehr zu sehen.

Es ist schwierig. Sind die raumfüllenden Arbeiten der finnischen Künstlerin Eija Liisa Ahtila (43) nun Filme, Videos, Installationen oder bewegte Malerei? Sind ihre Werke als Erzählungen oder als dreidimensional ineinandergreifende und sich überlagernde Bild-Raum-Installationen zu interpretieren? Die erste Begegnung ist jene mit dem Film. Die Neugierde sucht nach den Geschichten: Der jungen Frau, die sich in ihr Haus zurückzieht, um den sie verfolgenden Bildern zu entgehen. Des jungen Ehepaars, das mit der Scheidung die Vergangenheit zu bewältigen sucht. Der Familie, die um den Grossvater trauert.

Doch die Geschichten sind nicht linear und spielen sich überdies gleichzeitig auf mehreren Bildebenen ab. Überdies verschränkt sich Reales und Surreales respektive Realität und Fiktion (oder Vision).

Klarheit ist auch nach der zweiten Visionierung nicht da, das Moment des Films rückt aber in den Hintergrund und gibt der Bild-Raum-Installation mehr Gewicht. Man wird unter anderem gewahr, dass jeder der kinoähnlich inszenierten Räume in der Kunsthalle Zürich seine Farbe hat. „Der Wind“, der die Wohnung einer jungen Frau in ein Chaos verwandelt und sie selber reflektiert, spielt sich einem satten Rot ab und die Wehmut der gescheiterten Beziehung in „Consolation Service“ in dunklem Grün.

Eija Liisa Ahtila arbeitet lange an ihren Videoarbeiten. Der Prozess beginnt mit Feldforschung im Bereich des psychischen Umfeldes, in das eine neue Arbeit gestellt werden soll. „The present“ – eine Tageslicht-Arbeit mit fünf Monitoren, welche fünf Geschichten von Menschen mit psychotischen Erfahrungen zeigt, entspricht dem zweiten Arbeitsgang; der direkten Bildarbeit mit den Betroffenen (oder deren Schauspielern). Ahtila arbeitet dabei im Modus des 35mm-Films, das heisst es wird mit bewusster Dramaturgie und Bildinszenierung vorgegangen. Dann erst wird der Film auf DVD überspielt und die Grossrauminstallation herausgefiltert, die nun auf mehrere Bildebenen dekonstruiert respektive neu zusammengefügt wird.

Galt die Neugierde anfänglich der Geschichte, weicht sie nun der Faszination angesichts der komplexen Visualisierung psychischer Erlebnisse mit realen und fiktiven Bildern, die filmisch gleichermassen „real“ erscheinen. Wobei die Realität bei Ahtila durchaus die Umsetzung einer Fiktion sein kann, dann etwa wenn die jungen Frau im Chaos ihrer Wohnung ein Dutzend neuer, ausgefahrener Lippenstifte als Schachbrett im Raum aufstellt, ein Holzbrett darüber legt und sich darauf stellt, sodass die Spitzen – man ahnt es nur – in sich zusammengedrückt werden. Eine dichte Analogie zum Bild derselben Frau, die in ihrem Wahn nicht zu schreien, wohl aber die Fingernägel in die Hand zu drücken und in die Hände zu beissen vermag, was sich danach als Körperspuren zeigt.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich, quasi eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Beatrix Ruf, welche die Künstlerin schon 1998 zeigte als sie noch Direktorin am Kunsthaus Glarus war, präsentiert Arbeiten aus 14 Jahren. Von einer einfachen Monitorarbeit, in welcher zwei Frauen (die eine in rot, die andere in gelb) zu „Dingen“ sprechen über die Gender-Arbeit wie „Me/We, Okay, Gray“ (1993) bis zu Grossraum-Installationen, aber auch eine Reihe von Fotoserien in Anlehnung an die Videoarbeiten. Allerdings gelingt es ihr erst in der „Assistant“-Serie von 2000 eigenständige Dichte zu erreichen. Die Nackt-Posen von „Dog bites“ (92-97) wirken eher lächerlich.

Eija Liisa Ahtilas Stärke ist die fundierte und anteilnehmende Umsetzung schwer greifbarer emotionaler Zustände in fassbare Bilder, die über die Transformation in poetische Dichte, in Naturschönheit, in präszise, filmtechnische Tricks miteinbeziehende, Inszenierungen Zugang zu den Betrachtenden finden. Sie nutzt dabei alle Möglichkeiten mit Bildern umzugehen, nicht zuletzt die reduktive Eindringlichkeit des Werbefilms. Dazu gehört aber auch der bewusste Umgang mit der Film-Publikum-Ebene – so sprechen zum Beispiel alle Figuren direkt zu den Betrachtenden und die Länge der Filme übersteigt 10 Minuten selten. Last but not least gehört zum Konzept, dass 30-Sekunden-Ausschnitte in Fernseh-Werbung infiltriert wird (während der Zürcher Ausstellung ins Schweizer Werbefenster von Sat 1).

Diese künstlerische und inhaltliche Dichte, verbunden mit der Tradition nordischer Dramatik einerseits und zeitgenössischer Synthetisierung aktueller Bildmedien andererseits, mag nach Beatrix Ruf und Harald Szeemann (Biennale Venedig 99) auch Okwui Enwezor und sein documenta11-Team überzeugt haben.

Begleitkatalog mit Werkverzeichnis, erschienen zu den Ausstellungen im Museum für moderne Kunst in Kiasma (Finnland Feb./April 2002) und der Tate Moderne in London (bis 28.07.2002).