Expo-Projekte „Signalschmerz“, „Nouvelle Destination“ Arteplages Yverdon und Biel. Expo 2002

Funken die wenig Feuer zünden

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 2. Juli 2002

Eine zündende Idee haben ist eines, den Funken in Feuer verwandeln ein anderes. Viele Expo-Themenprojekte begeistern. Andere weniger, zum Beispiel „Signalschmerz“ (Yverdon) und „Nouvelle Destination“ (Biel).

Abstrakte Themen in visuelle Erlebnisse verwandeln ist etwas ausgesprochen Schwieriges. Die Expo.02 bietet geradezu einen Lehrkurs für mögliche Ansätze. Man denke an „Happy End“, an „Wer bin ich“, an den „Garten der Gewalt“ als positive Beispiele. Es gibt aber auch weniger geglückte Projekte, bei denen spannende Themen quasi „verschenkt“ wurden. Ihre Botschaften kommen nicht über pädagogische Lehrstücke hinaus oder es gelingt ihnen nicht, die Gefühle der Besuchenden nachhaltig zu packen. Ein Beispiel für Ersteres ist „Nouvelle Destination“, das Bundesprojekt zu „Macht und Freiheit“ auf der Arteplage in Biel, ein Beispiel für Zweiteres ist „Signalschmerz“, ein Projekt des bfu (Schweiz. Beratungsstelle für Unfallverhütung) und weiterer Präventivorganisationen auf der Arteplage von Yverdon.

„Nouvelle Destination“ will durch einen Vergleich von Sport und Politik die Lust am Staat erneuern. „Signalschmerz“ möchte den Einfluss körperlicher Schmerzen auf unser Leben aufzeigen. Beiden Projekten ist es – ein Trumpf der Expo.02 ganz allgemein – auf der Ebene der Architektur gelungen, eine inhaltlich und formal beeindruckende Hüllen zu schaffen. Das naturförmige, „atmungsaktive“ Zelt von „Nouvelle Destination“, das einen hohen ökologischen Standard aufweist (und dafür auch ausgezeichnet wurde) ist von aussen betrachtet ein attraktives, körperliches Gebilde, das Lust auf Besuch auslöst. Die Idee den Staat als (Körper)organ darzustellen ist bestechend.

Doch im Innern wandelt sich das Bild in eine geradezu körperlose Spitalatmosphäre, deren kaltes Weiss nur durch wenige Gegenstände und Farben – den braunroten Turnhallenbelag, die roten Fähnchen, ein grünes Tornetz, eine schwarze Refpeife, ein silberner Pokal usw. – gebrochen ist. Es sind weder der Schweiss der Fussballer zu schmecken noch die Atmung des Raums zu sehen noch die Emotionen des Sports visualisiert. Die Lust, sich auf das Audio-Konzept mit kurzen Hörstücken und etwas Musik einzulassen, ist minimal. Brav wie die meisten Besuchenden sind, tun sie es trotzdem. Hülle und Szenographie von „Nouvelle Destination“ stammen vom Zürcher Architekten Piet Eckert und dem in Berlin tätigen Dresdner Künstler Via Lewandowsky (39), der für inhaltsvermittelnde Rauminszenierungen international bekannt ist. Wie man hört, soll seine Mitarbeit im Laufe des Konzeptprozesses mehrfach auf Messers Schneide gestanden haben.

Der aus Stahlbändern geflochtene, 25 x 25 x 12 Meter messende Kubus von „Signalschmerz“ wurde von „La Licorne“, einem Verein zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen ausgeführt. Er ist durch Sonne und Regen bereits vielfarbig geworden und überzeugt als Materialbild eines zugleich kräftigen wie verletzlichen Hautkörpers. Die Verbindung mit den 17’250 Gummischläuchen, die im Innern von der Decke hängen und die Nerven des Menschen symbolisieren, ist darum als Einheit wahrnehmbar und durch natürliche und künstliche Lichtspiele subtil in Szene gesetzt.

Doch was konzeptuell stimmt, scheitert an der Praxis. Durch die an mediterrane Türvorhänge erinnernden Gummischläuche hindurchrennen ist, speziell für Kinder und Jugendliche, dermassen verführerisch, dass die Aufmerksamkeit für etwas Anderes, für vorbeiziehende Leuchtschriften, auf den Boden projizierte Hände und Körper zum Beispiel, kaum zu bündeln ist. Einzig das laute Geklirr von zersplitterndem Glas, das für „Unfall“ steht, schreckt einen kurzen Moment lang nicht nur die a priori Interessierten. Das liegt indes auch daran, dass die Inhaltsebene schwach ist, dass das Phänomen des Schmerzes, der uns den eigenen Körper plötzlich bewusst macht, in keiner Weise erlebbar ist. Da wird nicht versucht, Schmerz, den wir ja nur mit sogenannten „Agenten“-Wörtern wie „brennen“, „stechen“, „beissen“ umschreiben können, als zugleich einzigartige wie zerstörerische Körperkraft darzustellen. Als etwas, das Leben dominieren, Normalität verunmöglichen kann.

Gewiss, da ist das Gefühl in einem Nervenbündel zu stehen, gewiss, da sind projizierte Hände, die rot, weiss oder linear auf unterschiedliche Zustände hinweisen und anderes mehr, aber das reicht nicht. Auch nicht die Ausrede, man habe sich nur mit dem „Signal“ Schmerz auseinandersetzen wollen. Da hätte man mit Künstler/-innen Bilder und Situationen schaffen müssen, die an die Grenzen gehen, die packen und Bewusstsein schaffen. Und nicht mit notorischen bfu-Sätzen wie „Vorbeugen ist besser als heilen“ oder „Medikamente am Steuer: Aufgepasst!“ Langeweile verbreiten. Nicht viel spannender sind die über kleine in die Schläuche eingebauten Audio-Stationen vermittelten „Arztgespräche“ (soweit sie im allgemeinen Lärmpegel akustisch überhaupt zu fassen sind). Da konnte sich der renommierte Konzeptleiter, Werner Jeker vom „Ateliers du Nord“ in Lausanne, die Realität einer Landesausstellung offenbar überhaupt nicht vorstellen. Da herrscht keine meditative Ruhe, in der sich jedes Wort seinen eigenen Gedankenkosmos schaffen kann. Da entzündet sich Phantasie nur mit viel Sinneskraft.

Und genau dieses Manko bestimmt auch „Nouvelle Destination“. Nachdem fliegende Bälle und schrille Pfeifen die Besuchenden im „Warteraum“ eingestimmt haben, erhalten sie einen (für Kleinköpfige viel zu grossen) Kopfhörer. Fixiert auf die Ohren gehen sie damit von Hörzone zu Hörzone. In kurzen Thesen, Erzählungen, Ausrufen und Slogans werden sie auf die „erstaunliche“ Parallele von Sport und Politik respektive Staat hingewiesen. „Was wäre, wenn ein Foul nicht bestraft würde? … Demokratie fordert gleiche Rechte … Wie soll ich meiner Mutter in Kurdistan erklären, was ein Staat ist? … Im Sport sind die Spiele globalisiert! Martina Hingis in den Bundesrat! … Politik ist ein Spiel ohne definitive Gewinner … Weg mit den Machospielern! … Wir wünschen ihnen eine angenehme Demonstration.“

Es ist nicht, dass das Sprachbild, in das man da hineinversetzt wird, nicht Sinn machte. Sport ist ein Bild für menschliche Verhaltensmuster, das macht ihn als „Schule“ so bedeutsam. Begreiflich, dass sich der Staat ein Stück vom Kuchen der Begeisterung abschneiden möchte im Bundesprojekt „Nouvelle Destination“ (Autoren: Charles Lombard, Hans Saner). Doch fixiert auf ihre Kopfhörer, steif von Fähnchen zu Fähnchen spazierend, die Gegenstände rundherum kaum wahrnehmend, von keiner raumfüllenden Soundebene in Schwingung versetzt , von nichts zu einer Mann- respektive Frauschaft verbündet, gehen die Besuchenden allein hinein und allein wieder hinaus. Vielleicht lächelnd, aber kaum erfüllt von Elan, an der nächsten Abstimmung sicher teilzunehmen oder sich für die nächsten Gemeinderatswahlen zur Verfügung zu stellen.