Wandmalerei – elf Schweizer Positionen KM Solothurn 2002

Tapetenwechsel

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 3. Juli 2002

„Tapetenwechsel“ im Kunstmuseum Solothurn zeigt mit wandfüllenden Arbeiten, dass die Tradition der Wandmalerei neue Formen gefunden hat. Nicht gewichtig, aber unterhaltsam und mit einigen Highlights.

„Tapetenwechsel“ zeigt wie man aus einer Not eine Tugend machen kann. Das Kunstmuseum Solothurn feiert am 24. August sein 100-Jahr-Jubiläum. „Wie kann ich eine spannende Ausstellung mit leeren Räumen für eine grosses Fest verbinden?“, fragte sich der Solothurner Museumsdirektor Christoph Vögele bei der Planung des Programms für 2002. Und fand die Antwort in „Tapetenwechsel“, in direkt auf die Wände des Museums ausgeführte Arbeiten, die jedem Raum Charakter geben und die Säle doch fürs Fest frei lassen oder diese gar möblieren (Lang/Baumann). Ein raffinierter Coup.

Wer die aktuelle Schweizer Kunstszene beobachtet, stellt fest, dass immer mehr Kunstschaffende das Temporäre lieben, das Inszenieren, Dokumentieren und wieder Abräumen. Das entspricht dem Geist der Zeit. Und so wundert es nicht, dass auch die Wandmalerei als raumbestimmendes „All-over“ Urständ feiert – als Malerei oder Zeichnung direkt auf die Wand appliziert, als bedruckte (oder xeroxkopierte) Tapete aufgeklebt oder als flimmernde Videoprojektion eingepasst. Das direkt auf die Wand gemalte Bild ist grundsätzlich uralt – man denke an aegyptische Grabmäler, an romanische Kirchen, an die „Grandes décorations“ des Barock. Damit wollen und können sich die Solothurner Positionen nicht messen – es sind keine „Kunst am Bau“-Arbeiten – sondern Ideen, die sich auf die Situation vor Ort beziehen und für die Dauer einer Ausstellung konzipiert sind. Manche etwas leichtgewichtig, andere unterhaltsam und einige spannend.

„Tapetenwechsel“ ist keine thematische Ausstellung oder nur am Rande, indem viele Kunstschaffende die Charakteristik von „Tapeten“ mit Rapports und Mustern aufgenommen haben. Am Verblüffendsten in der aus wechselseitigen, identischen Bahnen zusammengesetzten Videoprojektion von Franticek Klossner. Der Berner zeigt einmal mehr, was man mit Video alles machen kann. Beim Eintritt in den Raum sind zunächst junge Schweizer Soldaten in Reih und Glied zu sehen. Der Tarnanzug macht sie so ähnlich, dass das Repetitive zunächst gar nicht auffällt. In der Mitte des Raums hängt ein Mikrofon von der Decke. Wer sich zum „Kadi“ berufen fühlt, nutzt es, um einen Befehl an die Truppe abzugeben… und schwupps rennen alle davon, bis hinter den Horizont. Und auf das nächste Wort kommen sie wieder, rennen aber gleich durch. Nach kurzer Weile stehen sie wieder in Reih und Glied… bis zum nächsten Befehl.

Ähnlich wie bei einer Arbeit im Kunstmuseum Bern vor zwei Jahren geht Klossner von einem Bild von Ferdinand Hodler aus, das er durch Interaktitivät mit Lust, Ironie und einer Spur Zynismus hinterfragt. Was in Solothurn hinzukommt, ist das ist das Spiel mit dem Ornament. Denn bei den Bahnenwechsel treffen sich zwei halbe Soldaten, die je nach Befehl symetrisch auseinanderdriften oder verschmelzen und damit „Tapete“ charakterisieren, aber auch Inhaltliches wie Musterung oder Drill aufs Korn nehmen. Durch diese Doppeldeutigkeit ragt Klossners Arbeit heraus.

Eine spannende Dimension hinzu gewinnt aber auch die virtuelle Tourismuswerbung des Basler Künstlerpaars Monica Studer/Christoph Van den Berg. Seit längerer Zeit bewerben die beiden die Schweiz mit Berglandschaften, die so schön, so perfekt und uns Schweizern so vertraut sind, dass wir sogleich beschliessen, dahin in die Ferien zu fahren. Wäre da nicht die Tatsache, dass die Landschaften als eine Art Sampler von Schweizer Clichés am Computer generiert sind und somit auch die Internet-Buchung eines Zimmers im Hotel „Vue des Alpes“ nur virtuellen Charakter haben kann. Indem die beiden zwei Bilder nun als 13-Meter-Panorama ausdruckten und als Tapetenraum installierten, kommt eine reale Dimension hinzu, welche die Künstlichkeit zusätzlich steigert.

Der Bieler Hubert Dechant tritt seit einiger Zeit fast ausschliesslich als Wandzeichner in Erscheinung. Sein Schaffen hat damit qualitativ eine deutliche Steigerung erfahren. Gegenüber den malerischen Porträts, wie sie zum Beispiel die beiden Figuren am Turm der SABAG in Biel kennzeichnen, hat sich der Künstler der Fotografie und dem Film angenähert, sich über die Reduktion auf die farblose Umrisszeichnung aber zugleich wieder davon entfernt. Zu sehen sind alltäglich scheinende Figuren, die aus ihrem Kontext herausgeschnitten als Vereinzelungen in den Bildraum gestellt sind. So ergibt sich eine fiktive Szenerie, die wie eine flüchtige Momentaufnahme wirkt, durch die Typisierung der Figuren aber doch Zeitcharakter hat.

Den Tapetenwechsel auf die Spitze treibt Verena Thürkauf. Sie zeichnete mit weisser Kreide auf die weisse Wand. Was dabei an Kreidepulver hinunterfiel, hat ein roter Balken aufgefangen. Etwas Weniges, Skripturales ist auf der Wand zu sehen, doch nur die Menge Material auf dem Balken deutet auf den Ausdruck, sagt wie die Künstlerin mit der Kreide umgegangen ist, wo sie die Wand intensiv, aggressiv gar, wo nur fein und locker beschrieb.
Weitere Positionen stammen von Alex Hanimann, Sabina Lang/Daniel Baumann, Christian Denzler, Karim Noureldin, Renée Levi und Roman Signer – zumeist Künstler/-innen, die zuvor schon in anderen Ausstellungen in Solothurn zu sehen waren. „Kontinuität und Wiederbegegnung sind mir wichtig“, sagt Christoph Vögele.