Miriam Cahn: Wie aus der Feministin eine subtile Horcherin wurde. Pasquart Biel 2002
Mir gefiel immer das Freche und das Wilde
www.annelisezwez.ch Erschienen in Bieler Tagblatt Dienstag, 22. Januar 2002
Ab 25. Januar 2002 gehören alle Räume des Centre PasquArt Miriam Cahn. Die Retrospektive vernetzt die radikale Zeichensprache der 80er mit den nackten „Fühlkörpern“ der Gegenwart.
„Mein Frausein ist mein öffentlicher Teil“ lautete das politisch-künstlerische Credo von Miriam Cahn (53) Ende der 70er und in den 80er Jahren. Mit den im Schutz der Dunkelheit illegal ausgeführten männlichen und weiblichen Wandzeichnungen im Untergrund der umstrittenen Basler Nordtangente (1979/80) war sie mit einem Schlag in aller Leute Munde. Es war die erste und bedeutendste feministische Aktion im öffentlichen (Kunst)-Raum in der Schweiz.
Seit Mitte der 70er Jahre zeigte die Basler Galerie Stampa, die Miriam Cahn bis heute vertritt, Videoarbeiten der ersten europäischen Feministinnen-Generation (Valie Export, Friederike Pezzold, Ulrike Rosenbach u.a.). Das bereitete den Boden für den Basler Aufbruch, zu dem auch Monika Dillier, Anna Barbara Wiesendanger, Rut Himmelsbach u.a. zählen. Die Kunsthalle Basel unter Jean Christoph Ammann reagiert prompt. Sie zeigt 1981 „Basler Künstler“ von den acht Beteiligten sind sechs Frauen. Die politisch-ste, bildnerisch radikalste und darum künstlerisch am intensivsten Rezipierte ist Miriam Cahn. Bereits im Jahr darauf wird sie zur Documenta nach Kassel eingeladen. Doch Zeichnung als Raumkonzept verstehend und nicht bereit Kompromisse zu schliessen, weigert sie sich, nur einen Teil zu zeigen. Sie hängt den „Wachraum II“ vor der Eröffnung ab. Mit der Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel („Das klassische Lieben“, 1983) und ihrer Teilnahme an der Biennale Venedig ( „Das Wilde Lieben“,Schweizer Pavil-lon,1984) ist ihre kunstgeschichtliche Position gefestigt. Miriam Cahn ist mit 80er Jahr- Arbeiten in vielen europäischen Museen vertreten.
In dem zur aktuellen Ausstellung in Biel erschienenen Katalogbuch, äussert sich Miriam Cahn im Rückblick versöhnlich: „Mir gefiel das Freche und das Wilde an der damaligen Zeit“. Diese Haltung ist begreiflich, denn die „Revolution“ (M.C.) der Frauen hat sich, geschichtlich gesehen, so rasant schnell vollzogen, dass militante Frauentöne heute hohl klingen. Doch damals waren sie eminent wichtig und Miriam Cahns kompromiss-loser Einsatz weit über die bildende Kunst hinaus prägend. Ihre riesigen, auf dem Boden ihres Ateliers performanceartig ausgestrichenen, schwarzen Zeichnungen mit männlichen Kriegsschiffen und phallischen Türmen (u.a. die NY Twin Towers!), mit weiblichen Luft-Häusern und nervigen Mumienrollen, ihre pigmentstaubigen Trauerfrauen-Figuren waren Schrei und Position. Aus eigenem Leiden an der Gesellschaft herausgestossen und mit konzeptueller Kraft in den Raum geschleudert. Wach und bewusst gegenüber männlicher Vereinnahmung.
Miriam Cahn hat sich um eine Ausstellung in Biel beworben. Dass die Konstellation zwischen zwei Direktionen ihr nun als erster Künstlerin überhaupt das ganze Haus öffnet, ist Zufall oder, vielleicht, Fügung. Es erlaubt Miriam Cahn die retrospektive Sicht, die sie schon im Kunstverein Bonn 1996 ansatzweise erprobte, in vollen Zügen auszuleben: Historische und heutige Räume einander gegenüberzustellen, Altes und Neues zu vernetzen und emotional zu überlagern. Das ergibt heute rund sieben Jahre nach dem Wechsel von der Zeichnung zur Malerei ein Gleichgewicht, innerlich und äusserlich, künstlerisch und bildnerisch.
Der Zeitpunkt stimmt, denn langsam wird sichtbar, dass zwischen dem Damals und dem Heute nicht einfach ein Bruch ist, sondern in zwei Sprachen dasselbe in Wechselwirkung zur jeweiligen Zeit ausgedrückt ist. Emotionale „Wach-Räume“ (ein Titel von 1982) sind auch ihre neuen, malerischen Arbeiten. Nur sprechen die frühen mit den Insignien der Gesellschaft, die heutigen mit den Vibrationen und Farbqualitäten individueller Wahrnehmung. Der Weg von hier nach dort war indes nicht einfach. Schon in den „L.I.S.“ (Lesen im Staub)-Arbeiten von 1987 tastete sich Miriam Cahn über das Ausloten von Verwandschaften zwischen Mensch und Tier und Pflanze an die eigentliche Befindlichkeit heran. Ebenso in den M.G.A.-Arbeiten (mit geschlossenen Augen). Als eigentliche Zäsur nennt sie selbst jedoch oft den „Fernseh-Krieg“ am Golf 1991. Der für Biel rekonstruierte „Kriegsraum“ ist Ausdruck des Wandels vom aktiven Schauen zum „Was mich anschaut“ (Titel der Ausstellung im Kunsthaus Zürich 1993). Es ist die Ebene der individuellen Wahrnehmung, des Eigenen im Anderen. Die Porträts, die in der Malerei (ab 1994) gewichtigen Raum einnehmen, wirken wie Röntgenbilder. Sie sind als Frauen oder Männer oder Tiere oder Landschaften erkennbar, doch scheinen sie nicht von materieller, sondern von energetischer Qualität zu sein. Die Farben leuchten, strahlen, vibrieren, die Formen sind Ausdruck; die Brüste schauen wie die Augen, der Mund wie das Geschlecht. Miriam Cahn malt und schaut als Frau. Bewusst. Sie horcht und sieht und spürt und wandelt das Empfundene in Körper, in „Fühlkörper“; weibliche, männliche, tierische, pflanzliche. Stolz, Lust, Angst, Misstrauen, Zorn spricht aus den einen, Wärme, Sinnlichkeit und Sehnsucht aus den anderen. Die gespannte Wachheit ist dabei dieselbe wie in den frühen Arbeiten.
Seit einigen Jahren lebt Miriam Cahn zum Teil in Maloja. Kein Zweifel, dass das Licht des Oberengadins die Entwicklung mitgeprägt hat. Der Rückzug ging indes einher mit einer Verlangsamung der Rezeption. Fast zehn Jahre sind es her, dass Miriam Cahn letztmals in einem öffentlichen Institut in der Schweiz ausstellte.