Rolf Iseli: Macht das Kongresshaus Biel zum Farbhaus 2002

Kadmiumrot, Kobaltblau und Neapelgelb

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 16. Januar 2002


1959 war er erstmals an der „Documenta“ vertreten, mit Farbräumen. Später wurde die Erde seine „Farbe“. Für die Farb-Gestaltung des sich in Renovation befindenden Bieler Kongresshauses verbindet Rolf Iseli (68) Popiges mit neuer (Ein)sicht.

Er sei halt ein Bauer, ein Wein-Bauer, sagt Rolf Iseli. Sobald die Tage länger werden, müsse er in den Berg, um zu schauen, ob alles noch sei. Die Wurzeln seien wichtig. Das ist auch in seiner Kunst so: Das Alte schöpft sich im Jungen neu. Und so ist es nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass das ausgefächerte Farbkonzept für das alt/neue Bieler Kongresshaus den Künstler der unerbittlichen „Endlandschaften“, der Existenz schonungslos hinterfragenden „hommes cactusses“ als Autoren kennt. Denn einst im aufmüpfigen Bern der 50er/60er Jahre, als Arnold Rüdlinger die amerikanische Colorfield-Malerei in die Schweiz brachte, da waren rot und blau die „Fahnen“ des jungen Rolf Iseli. Genährt von der legendären Reise nach New York von 1962, wo er im Atelier von Al Held nächtigte und, an der Seite Rüdlingers, mit Newman, Rothko und anderen Gespräche führte. Auch in der skulpturalen Pop-Phase mit den überdimensionierten Wäscheklammern und den langfüssigen „Fünf“ dominierte rot und blau (Bieler Plastikausstellung 1970).

Dann kam, immer als einer der Ersten die Wandlungen der Zeit wahrnehmend, die Rückbesinnung auf das Bild des Menschen in einer von Zerstörung bedrohten (Um)welt. Es entstehen die ersten Landschaften und Figurationen, in denen Erde, Rost und andere Naturmaterialien zu Malmitteln werden. Tina Grütter, die vielleicht beste Interpretin von Iselis umfassendem Werk, spricht von einem „Annähern“ an die Materialität des Lebens und einem „Aufbäumen“ gegen deren Bedrohung. 1972 lädt Harald Szeemann ihn (und andere Berner) zu der von ihm konzipierten „Documenta“ ein, welche die Kunst der Epoche als Manifestation individueller Weltsichten, als Äusserungen „privater Mythologien“ zeigt.

Er sei sich nicht bewusst gewesen, einem Trend zu folgen, sagt Iseli rückblickend. Entscheidend, so der Künstler, sei wahrscheinlich der Kauf eines Anwesens im Rebgebiet von St. Romain im Burgund gewesen, schon 1960. Da habe er, abseits der Zivilisation, ohne Strom und fliessend Wasser, mit seiner damaligen Frau und den vier Mädchen ganz einfach die billigsten Ferien verbracht. Dabei sei St. Romain, wo er bis heute zusammen mit seinem Bruder einen Rebberg bebaut, immer wichtiger geworden. Nicht für die Kunst, sondern für ihn und durch ihn auch in seinen Werken. In diesen trat, und tritt bis heute, die archaische Schönheit der Natur in Wechselwirkung mit den Aggressionen des Menschen. Auf einer individuellen Ebene ist aber auch die Spannung zwischen der Natur als erdiger Macht und der Lust des Geistes nach Immaterialität enthalten. In einer aufschlussreichen Skizze aus den 80er Jahren spricht er von der „Umkehrung der Gewichte in Qualitäten“ und meint damit die bildnerische Wandlung von einem Stück rostigem Blech auf einer Bildgrundlage in eine analoge weisse Form. Dazu notiert er: „Die Arbeit am Bild ist die Arbeit an der Umkehrung, der Verschiebung und Neugestaltung der Gewichte“. Dass dies ein Schlüssel zum Verständnis des Gesamtwerkes von Rolf Iseli ist, zeigt sich daran, dass sich der Satz, aus dem Kontext gelöst, problemlos auf die Arbeit im Kongresshaus übertragen lässt, wo er mittels Farbflächen die Architektur neu gewichtet.

Dass diese Spannung zwischen Erde und Luft eine drastische sein kann zeigen im Vergleich zu den Landschaften ausgeprägter noch die Figurationen. Meist dient hier als Basis eine mantelartige, Kopf und Oberkörper umfassende Grundform, die als Einzel-, Doppel- oder Mehrfachfigur erscheint. Darin wird die Freiheit des Menschen, sich ohne Rücksicht auf die Erde zu entwickeln, buchstäblich mit Erde beworfen, mit Nägeln beschlagen oder mit wuchernden Pilzen verunstaltet ( man denke an die „Iseschwümm“ auf dem Bahnhofplatz in Bern).

Charakteristisch ist, dass Iseli schon seit 1966 nicht mehr auf Leinwand malt, sondern stets auf dem Naturmaterial Papier, um im und nicht auf dem Träger zu arbeiten. Dieses unbarmherzige Eindringen in die Materie ist zweifellos auch ein Grund, dass die Radierung eine wichtige Rolle spielt, wobei jede Arbeit einen Zustand zeigt und original bearbeitet ist. Gerade zur Zeit lehnen oder hängen in seinem Atelier Teile einer siebenteiligen Reihe von grossformatigen „Kaltnadeln“. Dabei ist spannend, dass die Grundform dem Aussenstehenden die bekannte Mantelfigur suggeriert, die Basis in Realität aber ein verkohlter Baumstrunk ist, den er aus Südspanien – seit einiger Zeit dritter Wohnort des Künstlers – mit nach Bern geschleppt hat. Die zum Teil mutwillig gelegten Brände beschäftigen ihn sehr und die mit verkohlten Ästen durchsetzten Landschaften der letzten Zeit sind vielfach apokalyptisch, ausgebrannt, eine Art Trauerlandschaften.

Dennoch zeigen die Radierungen im Atelier auf einer Parallelebene eine neu/alte Farbigkeit – das Neapelgelb, das er fürs Kongresshaus gewählt hat, ist auch in den Umgebungsfarben der Drucke enthalten und auszumachen ist ebenso das Kobaltblau und ein – im Vergleich zu Biel – dunkleres Rot. Es ist nicht mehr die Erde, das Metall welche die figürliche Zeichnung bindet und bannt, im Gegenteil, die Farbe löst die Härte der Kaltnadelstriche – Iseli verwendet fürs Bearbeiten der Kupferplatten altes Zahnarztbesteck – ein Stück weit auf oder setzt zumindest einen Kontrapunkt. Der Aggressivität steht ein Innehalten in der Farbe gegenüber, ein für Iselis Werk neuer Dialog, der vielleicht Ausdruck der Befindlichkeit des kommenden Alterswerks ist.

Da es sich bei der Sanierung des Bieler Kongresshauses im Vorfeld der Expo.02 um eine Renovation handelt, stehen lediglich 45 000 Franken für die künstlerische Gestaltung zur Verfügung. Das entspricht 1% der wertvermehrenden Rohbaukosten.

Eigentlich gilt im Kanton Bern als Richtlinie, dass bei öffentlichen Bauten 1% der Gesamtbausumme für künstlerische Gestaltung reserviert werden soll. Angesichts knapper Finanzen wird an diesem theoretische Betrag – im Fall des Kongresshauses 220 000 Franken – mit dem einen oder anderen Argument jedoch fast immer so viel wie möglich abgezwackt. Im Fall von Sanierungen sowieso. Immerhin ist in Biel der Leiter des Hochbauamtes – aktuell Jürg Saager – von Amtes wegen Mitglied der städtischen Kunstkommission. Sodass das Traktandum „Kunst am Bau“ zumindest nicht vergessen geht. Für das Kongresshaus konnte Jürg Saager 45 000 Franken erstreiten, was – seinen Worten folgend – 1% der wertvermehrenden Rohbaukosten entspricht. Dass kein Künstler dem Kongresshaus mit diesem Betrag ein gestalterische Gesicht geben kann, liegt angesichts der Grösse des Baus auf der Hand. Irgendwo eine Skulptur platzieren, wie es der Bauherrschaft anfänglich vorschwebte, entspricht indes in keiner Weise mehr dem zeitgenössischen Verständnis von Kunst am Bau. Gesucht wird heute die Integration gestalterischer Elemente in die Architektur und deren Umgebung.

So entpuppte sich schliesslich der auf das Mobiliar beschränkte Einbezug von Farbelementen in dem in Ausführung befindlichen Renovationskonzept des Berner Architekten Rolf Mühlethaler als glückliche Prämisse für das weitere Vorgehen. Denn kein Geringerer als Rolf Iseli hatte mit seinem Schwiegersohn über Farben nachgedacht. So lag es für die städtische Kunstkommission auf der Hand, den schon zu Zeiten des Kongresshaus-Neubaus an den Bieler Plastikausstellungen vertretenen Künstler um ein auf den gesamten Bau erweitertes Farbkonzept anzufragen, um auch mit geringen Mitteln eine gestalterische Ganzheit zu erreichen. „Man meint, das sei so einfach, rot, blau und gelb zu sagen“, erklärte Rolf Iseli einige Wochen später im Gespräch, „doch jede Farbnuance hat ihre ganz eigene Ausstrahlung. Da gilt es zu finden, was sich steigert respektive schachmatt setzt in Wechselwirkung mit der Architektur, den verwendeten Materialien, dem Lichteinfall usw. So sei, sagt Rolf Iseli, die Wahl von Kadmiumrot, Kobaltblau und Neapelgelb als Farbklang eine ganz bewusste und ebenso das Spiel mit den Farb- und Grössenverhältnissen innerhalb des Baus. „Hätte ich zum Beispiel irgendein „Gibeligelb“ gewählt, wäre das schrecklich, es braucht ein Gelb mit warmer Ausstrahlung.“

Ein erster Rundgang durch den Bau lässt heute erst erahnen, wie sehr das Kongresshaus ein Farbhaus werden wird. Doch das Versprechen ist begeisternd. Die Farbe wird Kraft haben. Das sieht auch der ursprüngliche Architekt des Hauses, Rolf Schluep, so. „Mit diesem Konzept wird vieles bezüglich Licht verwirklicht, was ich in den späten 60er Jahren schon wollte, aber mit der damaligen Bauherrschaft nicht umsetzen konnte“.