Vernissagerede  für Maria Dundakova anlässlich ihrer Ausstellung im Alten Schützenhaus in Zofingen

  1. Februar 2002

Annelise Zwez

Sehr verehrte Damen und Herren

Liebe Maria

Als mich Maria Dundakova im November letzten Jahres anfragte, ob ich hier und heute sprechen würde, sagte ich zunächst: nein, denn es war die Zeit, da ich mir  fest vorgenommen hatte, endlich einmal richtige Ferien zu nehmen, auf und davon. Doch Maria, sie wissen es, so leicht lässt sie nicht locker, hakte nach und ich erbat mir Bedenkzeit. In dieser Zeit liess ich die Situation der Künstlerin, die ich seit rund 20 Jahren kenne, Revue passieren. Der Künstlerin, die seit  30 Jahren – das sind drei mal 10 Jahre! – als Schweizerin in der Schweiz lebt und arbeitet und im Nachgang zu ihrer Einladung an die Biennale von Sao Paulo (1991) einen Brief des Bundesamtes für Kultur erhielt, in dem, etwas überspitzt formuliert, gefragt wird, was ihr eigentlich einfalle, sich da in Szene zu setzen und sie solle sich hüten ihre Präsenz mit der Schweiz in Verbindung zu bringen. Eine Situation, die auf höchster Ebene festhält, was sich auf unzähligen unteren Leveln ebenso dokumentieren liesse, auch und insbesondere hier im Aargau. So war mir plötzlich klar, ich muss und ich will hier reden und so einen Text  könne ich doch wohl schreiben unter den Palmen Keralas, zwischen zwei ayurvedischen Massagen. So koordinierte ich die Daten meiner Reise mit dem heutigen Tag und traf mich zwischen Weihnacht und Neujahr mit der Künstlerin in ihrem Atelier an der Bachstrasse in Aarau, um die jüngste Entwicklung, ihre heutige Position innerhalb der aktuellen Kunst, ihr Konzept für die Ausstellung hier zu diskutieren. Wie oft zuvor ein spannender und – es geht ja schliesslich um Maria Dundakova – ein intellektuell anstrengender, den Kosmos xfach umrundender und durchschiessender Nachmittag.  Der indes, weil ich Maria Dundakova von der Tag- und der Nachtseite, von der Sonnen und der Mond- , von der Uranus- und der Saturnseite her kenne, ein Nachmittag, der nicht da mündete, wo es die Künstlerin so oft erlebt, nämlich in die ebenso lapiaren wie vernichtenden Worten: „Maria, du überforderst mich“.

So nahm ich also meine Notizen und den von mir selbst verfassten Sonderdruck zu den Aarauer Neujahrsblättern 1994, eine Fotokopie eines grösseren Beitrags, der 1998 im Kunstforum international erschienen ist sowie, für Fakten, den lexikalischen Text, den ich letztes Jahr für das im Sauer-Verlag Leipzig in 30 Bänden erscheinende internationale Künstler-Lexikon geschrieben habe, mit nach Süd-Indien, um daselbst im Schatten meines Bungalows diesen Text zu schreiben.

Die beiden Begriffe, die heute im Zentrum von Maria Dundakovas Schaffen stehen, heissen „time story“ und „Rausch“. Es sind neue Fokussierungen, die freilich in Arbeitszyklen wie „Sun Rite“, „La mémoire du geste“ ebenso wie in „Berlin Gezeiten“ bereits enthalten sind.

In unserem westlichen Kulturverständnis verbinden wir Zeit mit Linearität und vor allem mit Geschwindigkeit, mit Veränderung. In einem Land wie Indien, wo einen die kleinen Fischerboote an die Einbäume der Pfahlbauer erinnern und die grösseren von ihrer Form her an altägyptische Darstellungen gemahnen, Tag und Nacht nicht vom elektrischen Lichtschein aufgehoben wird, wo das Aufschlagen der Wellen an den Felsen des Meeres den Rhythmus bestimmt, ist Zeit etwas ganz anderes. (Wenn ich nun in der Ausstellung hier stehe, sehe ich, dass das Tryptichon „ich“, „Gezeiten“ und „bin“ und in Kontrast dazu die durch transparent-farbige Winkel zum Raum gefügten Fotoserien „No Time“, „Joker Time“, „Word Time“, „Living Time“, genau diese Spannweite zwischen zeitlos und Zeitrausch aufzeigen.) Im fernen Indien kamen mir in Analogie zum genannten Tryptichon hier (was sehr schön zeigt, wie bei Maria Grundstrukturen immer wieder in neuen Gewändern auftauchen), da kamen mir zum verlangsamten Zeitbegriff als erstes die Fotografien in den Sinn, welche die Künstlerin Ende der 80er Jahre auf mehreren Reisen in die Wüste Sinai machte – damals konnte man noch dahin reisen!. Fotos, die eine mit strahlendem Blau und eine mit leuchtendem Gelb pigmentierte Hand zeigen, die sich zeichenhaft zwischen Sand und Fels und Himmel berühren. Eine Liebesgeschichte wie sie Indiens Frauen in den traditionellen Tänzen in blauen und goldenen Saris anders und ähnlich beschwören. Wie sie Maria Dundakova in Rio de Janeiro mit gelb und blau eingeriebenen Tänzern und Tänzerinnen zur grossangelegten Performance steigerte.

Steigerung – ein wichtiger Begriff für Maria Dundakova – ist doch, die Ausstellung hier zeigt es deutlich, das Innehalten immer nur ein Rückbesinnen auf den Urgrund, um mit getankter Kraft anschliessend wieder zu tanzen – oder treffender – tanzen zu lassen, um Bilder in Bewegung zu versetzen, fast bis zum Delirium; „Joker World“.

Wechselt man den Blick und fragt sich, ob es wirklich nur die Polarität von Ruhe und Geschwindigkeit, von Innehalten und Losschiessen ist, welche Maria Dundakova ausspannt oder ob es da nicht auch eine gemeinsame Struktur gibt, so drängt sich durch die Verschiedenartigkeit der Arbeiten hindurch der zweite Begriff auf, den ich schon erwähnte, den „Rausch“, unter den Maria Dundakova ihr aktuelles Schaffen stellt. Nicht den Drogen- oder den Alkohol-Rausch selbstverständlich, sondern  „Rausch“ als Moment, da emotional etwas aus den Angeln gehoben wird.

Agnes Martin, die stille amerikanische Minimal Art-Künstlerin – quasi Gegenpol von Maria Dundakova – spricht in ihren Schriften von der Suche nach dem „Glücksmoment“ als der Triebkraft, immer und immer wieder Kunst zu schaffen. Bei ihr zuweilen nur eine einzige Linie, die sich über die Leinwand zieht. Maria Dundakova sucht sowohl in der Begegnung von Sonne und Mond, sowohl im Bewusstsein von „ich“ und „bin“ wie in der faszinierenden Geschwindigkeit der Grosstadt – viele der in dieser Ausstellung eingesetzten Fotos sind in Berlin entstanden – nichts anderes. Nur nennt sie es nicht „Glück“, sondern „Rausch“. Ein Moment, da der Verstand aussetzt, und man sich grenzenlos mit allem verbunden fühlt. Dieses Gefühl ist nicht abhängig vom Motiv, nicht abhängig von Ruhe oder Geschwindigkeit, sondern wird durch den Faktor Intensität erwirkt, gehe dieser in die Stille, in die Tiefe oder vibriere er in der Lichterkaskade eines Spielautomaten.

Für das Betrachten der Werke von Maria Dundakova heisst dies, dass nicht einseitig die Analyse der Bildkombination zur Essenz führt, sondern die gleichzeitige Wachheit gegenüber emotionalen, optischen und reflektiven Regungen. Also nicht ein Trennen, sondern ein gleichzeitiges Zulassen und Verknüpfen von Sehen, Wahrnehmen, Spüren und Erkennen. Manchmal ist das fast nicht auszuhalten, weil es einem den Boden unter den Füssen wegzieht, weil man sich eher in einem Strudel fühlt, als in einem Ordnungssystem. Das ist Maria Dundakova, das ist der „Rausch“ und das ist im Kern auch der Ort, wo ihr Werk polarisiert, sich gegen unser merkurisches Denken stemmt und das berühmte „Maria, du überforderst mich“ auslöst. Die Frage ist nur, ob unsere Welt wirklich so merkurisch, so rational ist, ob die Ganzheit nicht eher chaotische, nicht eher irrationale Züge trägt, in der Stadt, wie in der Natur?

 

„Was ich suche ist nicht materiell“, sagt Maria Dundakova. Darum brauche ich das Licht, die Farbe, die Geschwindigkeit, die Dinge in Bewegung versetzt, aus dem Gleichgewicht kippt, in die Unschärfe treibt, glüht, brennt oder sich auch nur als Schatten zeigt. Der Fokus ist dabei nicht das Bild im traditionellen Sinn, sondern das Erleben, die Inszenierung. Alle ihre grossen Installationen, ob realisiert oder nur als Projekte entwickelt, sei es in Sao Paulo, in Rio, in Dublin oder in Luxemburg, sind multimediale Inszenierungen und Maria Dundakova ist darin eher die Regisseurin als die Bildgestalterin. Die Stücke, die gegeben werden, sind freilich ihre eigenen. Auch die Fotografien sind vielfach Schnappschüsse aus Inszenierungen – gezielten mit Tänzern und Schauspielerinnen – oder Momente aus dem Welttheater, dem wir täglich in den Strassen der Stadt begegnen. Auffallend ist indes, dass die Künstlerin schliesslich nicht mit einer endlose Fülle von Bildern arbeitet, sondern dieselben Motive, dieselben Bilder, immer wieder – in anderen Kombinationen, Grössen, Umsetzungen – verwendet. Sie sehen dies in dieser Ausstellung sehr schön; was hier unten erscheint, finden sie vielfach oben in kleineren Arbeiten wieder und umgekehrt. Das heisst die Künstlerin wandelt die Bilder zu Zeichen, zu Codes, zu Sprache, die sich einem Alphabeth gleich in immer neue Assoziationsketten einbringen lassen. Die Verschiedenartigkeit bezieht sich dabei nicht nur auf einen Bogen von der Copa Cabana bis in Berlins Unterwelt, sondern auch auf Zeitebenen. Das heisst die Bilder stammen – gerade in dieser Ausstellung – zum Teil aus den 50er Jahren, sind Teile einer alten, nicht mehr gebrauchten Cliché-Sammlung eines Aargauer Druckereiunternehmens. Dabei geht es jedoch nicht um Nostalgie – oder nur ein bisschen – nicht um den Wandel der Zeit – oder nur ein bisschen – nicht um Mode, um Gesellschaft, sondern um die emotionalen Codes, welche die Bilder auslösen. Und diese sind in ihrer Kernstruktur unabhängig von Zeit und somit gleichzeitig gültig. Es mag dies einer der Faktoren sein, warum Maria Dundakovas Arbeiten so jung wirken…. Sie wissen nicht wie alt die Künstlerin ist? Nun, 1978 war sie doppelt so alt wie ihr Jahrgang.

Das Arbeiten mit Codes, mit Zeichen im Hinblick auf eine bestimmte Wirkung – das ist nicht neu im Schaffen Maria Dundakovas – im Gegenteil – schon ihre erste, und im übrigen einzige, Schweizer Museumsausstellung, 1979 in Lausanne, arbeitete mit Codes – den Codes der Werbewelt damals, eine freche, witzige, erotische Umsetzung der Pop Art unter dem Titel „1m2 Himmel“. Auch später, in den als „Riten“ bezeichneten, materialbetonten Zyklen waren es immer wieder Codes, welche sich zu Sprache und Inhalt vernetzten, welche Zeit bündelten. Kein Wunder war die Collage, das Übereinanderschichten von Ebenen, schon immer eine wichtige Arbeitsmethode der Künstlerin. Das zeigen hier in der Ausstellung zum Beispiel die Material-Collagen, die – von wenigen neuen Arbeiten abgesehen – Mitte der 70er Jahre entstanden und auf der Ebene der Materialqualität, zum Teil auch des grafischen Designs – nichts anderes tun als die fotografischen Bildkombinationen von heute, seien sie – wie mehrheitlich – gegenständlicher Art oder, wie die Laserstrahlen-Bilder, auf eine ungegenständlich-energetische Ebene übersetzt.