Als ob ein Toter fallen könnte

Anselm Stalder – Retrospektive in der Kunsthalle Basel. Bis 23. März 2003

Sie tut gut, die aspektweise Retrospektive Anselm Stalders in der Kunsthalle Basel. Sie lässt die Blase der Neuen Medien platzen und zeigt wie mit einer Vielfalt von Mitteln ein durch und durch zeitgenössisches Werk geschaffen werden kann.

Der rote Faden durch die das Parterre der Kunsthalle Basel bespielenden Ausstellung von Anselm Stalder (47) sind zwei Worte: „as if“ – als ob. In jedem der Räume findet sich ein Werk, dessen Titel mit „as if“ beginnt und einen Aspekt der philosophischen Dimension von Stalders Werk markiert: „As if light could name a place“, „as if a dead traveler could fall“, „as if drawing could help“ zum Beispiel. Es klingt darin an, was den Künstler seit den späten 70er Jahren verfolgt und antreibt: Der Versuch zu verstehen und die Unmöglichkeit, die Komplexität der Welt zu fassen.

Im Heute manchmal mit Werken, die sich dem Widerspruch physikalisch annähern – etwa mit Spiegelobjekten – manchmal mit Werken mit eher emotionalem Charakter. So münden zum Beispiel die drei Wandbilder „Montagne“, „Rifuti“ und „Decapitato“ eher in Verzweiflung denn in Erkenntnis: Pastos auf die Wand aufgetragene weisse Acryl-Rechtecke werden durch ausgeschnittene Negativformen zu Fiktionen eines Berges, einer Gruppe von Abfallsäcken und einer enthaupteten, stehenden Figur. Im Kontext werden sie zum offenen Bild eines Gedankenberges, der nichts als Abfall produziert und dem Denkenden den Tod bringt. Doch halt: Interpretationen sind eine heikle Sache bei Anselm Stalder; nicht umsonst heisst die Ausstellung „Türen offen lassen“. Und nicht unbedacht sind die drei Wandbilder in einem Raum, welcher „Der Himmel über Vinci“ heisst und auch die Trennwand-Installation „as if a backyard could ever be outer space“ beinhaltet. Mit anderen Worten, was sich da so an „tödlichen“ Gefühlen einschleicht, kann auch ganz anders, objektivierter, angegangen werden, frägt sich nur, ob der „Ab-“ oder der „Zu-Wender“ (ein weiteres Werk im Raum) aktiv ist. Gleichzeitigkeit und Widerspruch, Offenheit und obsessives Suchen verschränken sich.

Anselm Stalders Künstler-Biographie weist unzählige mittlere Museumsausstellungen und Auszeichnungen auf. In die Szene katapuliert hat er sich in den frühen 80er Jahren, als man seine „Bergbau-Bilder“ in den Kontext der emotionalen Figuration stellte. Doch schon damals ging es im Kern um ein konzeptuelles Eindringen in den „Berg“. Man kann die Pole, wenn auch verkürzt, personifizieren; es ist zum einen Stalders Zeichnungslehrer an der Kantonsschule Aarau, der Schweizer Künstler Max Matter, dessen Werk Forschung und Intuition verbindet. Und es ist zum andern der damals im Raum Olten tätige Martin Disler, der Ausdruck für Emotionales suchte.

Schon Ende der 80er Jahre – eine Werk aus der Zeit, das jetzt in Basel hängt, heisst „elefante muto“ – wandelte und verzweigte sich Stalders Werk. Es wurde analytischer, forschender ohne freilich den Kontakt zum Körperlichen von Denken und Wahrnehmen zu verlieren. Die Vielfalt der Medien und Ausdrucksweisen – von der Schrift zum Bild zur Skulptur, zum Objekt, zur Installation mit immer wieder anderen Materialien und Techniken – machte ihn indes zum „Schwierigen“, der er heute noch ist und auch sein will. Auch wenn der Anspruch in Widerspruch zu Popularität steht. Wie wenig eine solche unter Umständen Wert ist, zeigt der faszinierende Reichtum der aktuellen Basler Ausstellung. Stalders Schaffen kommt da gültig zur Geltung; dennoch gehörte die Ausstellung angesichts der Qualität und der Grösse des Oeuvres eigentlich als Brückenschlag zu internationaler Ausstrahlung in eines der grossen Schweizer Museen.

Was immer wieder fasziniert, ist, wie nahtlos Stalder die Versachlichung der Bildsprache und die Subtilität der Empfindung zu verbinden weiss. „As if a dead traveler could fall“ – was für ein Gedanke! Als Werk ist er ein raumhohes Aluminiumblech, das, leicht schief im Raum stehend, mit einer Schnur an der Decke befestigt ist. Darauf, vertikal gestellt, ein dunkelblauer Siebdruck eines mit einer Plane überspannten Totenbettes. Das matt Spiegelnde des Materials, die Fragilität der Raumpräsenz, das Punktuelle des „fallenden“ Bettes verbinden sich nicht zur mystischen Nachtod-Illustration und dennoch deutet das Werk die Aufhebung der Physik im Tod an. Es ist im Raum kombiniert mit einer auf den öffentlichen Raum hinweisenden Fahnen-Arbeit, die so irritierende Worte wie „Blinde Daten“ oder „Stimmen ohne Echo“ in die Luft hängt. Ausgespannt zwischen Werke wie die massiv-skulpturalen Bein-Soldaten auf kreisender roter Scheibe oder einer raumfüllenden Wandzeichnung mit feinen Blumen-Vasen, welche die Zeichnung „as if drawing could help“ umgeben.
„Scio, ut nescio“, sagte Cicero einst im alten Rom. Stalder sagt es heute indem er alle Türen offen lässt und im Feld des Nichtwissens Kunst schafft, die so denk-reich ist wie wenig anderes.