Duane Hanson Kunsthaus Zürich 2003

.Dem Vertrauten erschreckt in die Augen blicken

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 26. März 2003

Zürich ist mit einem Feuerwerk von Ausstellungen in den Frühling gestartet. Die populärste ist zweifellos jene von Duane Hanson im Kunsthaus. Denn seine Trompe l’oeil-Figuren berühren emotional.

Was Leben und Tod unterscheidet ist die Bewegung. Die starke emotionale Wirkung, welche von den bis ins letzte Detail nachgebildeten Figuren von Duane Hanson (1925-1996) ausgeht, berührt genau diesen Punkt. Die Schrecksekunde, da man nicht weiss, ob sich die schwarze Frau mit dem Reinigungs-Wagen oder der Mann auf dem Stuhl mit dem Walkman demnächst bewegen wird oder nicht, somit tot oder lebendig ist. Und der Blitz durchfährt einem obwohl man weiss, dass man in einer Kunst-Ausstellung ist. Der Security Guard könnte ja vielleicht doch eine Museums-Aufsicht sein – ist er nicht, aber in der Vibration der Unsicherheit ist Leben und Tod für einen Moment in Frage gestellt.

Die Werke seien bekannter als ihr Schöpfer, schreibt Christoph Becker, Direktor des Zürcher Kunsthauses und Kurator der (Wander)-Ausstellung. Das ist richtig, Namen wie Edward Kienholz, George Segal und die ganze Pop Art Gilde, mit denen Hanson in Wechselwirkung steht, sind in der Kunstgeschichte höher im Kurs. Aber alle Museumsbesuchenden, die nur ein einziges Mal den „The Policeman and the Rioter“ (ein weisser Polizist, der einen Schwarzen schlägt) oder „The Houswife“ (eine mit Lockenwicklern und Trockenhaube im Sessel sitzende Hausfrau) gesehen hat, vergessen die Arbeit nie, da sich die unmittelbar emotionale Wirkung eingeschrieben hat.

Das hat Hanson zuweilen den Vorwurf eingetragen, er spiele mit diesem Moment. Er selbst wehrte sich dagegen indem er sagte, er sei kein Pop Art-Künstler, sondern Bildhauer. Tatsächlich sind nur wenige der Kunststoff- respektive Bronze-Figuren einem Individuum exakt nachgebildet; die meisten sind „Collagen“, bezüglich Form, Haltung, Kleidung ganz bewusst komponierte Figuren in veristischem Stil. Auch gibt es eine ganze entscheidende Entwicklung.

Hanson, 1925 als Sohn schwedischer Einwanderer in Minnesota (USA) geboren, war lange Zeit ein erfolglos Suchender. „Man“ malte in den USA abstrakt und Hanson versuchte das auch. Bis er 1959 während eines mehrjährigen Deutschland-Aufenthaltes den Künstler George Grygo kennenlernte, der mit Polyesterharz und Fiberglas – damals noch ganz neue Materialien – arbeitete. Zurück in den USA begann er damit zu experimentieren und im Umfeld der Anti-Vietnam-Bewegung erste gesellschaftskritische figürliche Szene zu schaffen. Darunter die in Zürich ausgestellte, 1965 einen Skandal auslösende und zugleich Hansons Durchbruch markierende „Abortion“ – eine noch modellhaft kleine, schwangere Frauenfigur mit gespreizten Beinen unter einem Tuch auf einem Bettgestell. Daneben „Trash“, eine Mülltonne mit einem abgetriebenen Fötus darin.

Es folgten lebensgrosse Szenen wie „War“ (nicht in Zürich), der „Motorrad-Unfall“ oder „Woman Derelict“ (eine Obdachlose). Dann aber verabschiedet sich Hanson vom Anekdotischen und Sozialkritischen und konzentriert sich, unter dem Eindruck der Pop Art, auf Figuren aus dem amerikanischen Alltag und schafft mit ihnen den Höhepunkt seines Werkes.

Anders als in einem Wachsfiguren-Kabinett geht es, allem Naturalismus zum Trotz, niemals um Individuen. Der Blick ist nicht nach aussen gerichtet, sondern auf die eigene Tätigkeit wie lesen, warten, hören, trinken, schlafen. Damit gelingt es Hanson, die amerikanische Unter- und Mittelschicht geradezu expemlarisch zu spiegeln; kein Wunder hat er damit vor allem in Europa Erfolg, das aus der Distanz dieses „Bild“ stärker wahrnimmt als die Amerikaner selbst. „Durchschnitt, das sind wir alle“, sagte Hanson einmal. An diesem Punkt erklärt sich auch, warum die Ausstellung zum jetzigen Zeitpunkt keine antiamerikanischen Gefühle auslöst; im Gegenteil.

Es ist der bisher grösste Werk-Zusammenzug Hansons und als solcher ein Gewinn für die Rezeption, umso mehr als sie in Zürich mit Arbeiten von Rauschenberg, Hamilton, Wesselmann, Warhol etc. in ein Umfeld gestellt ist. Sie zeigt die Stärken des Werkes von Duane Hanson, aber auch die Schwächen. Sobald nämlich die Einzelfigur nicht auf ein „Muster“ verweist, das eigene Erfahrungen impliziert, sackt die Anteilnahme, die Wärme bis hin zum Mitleid ab und der Betrachtende beginnt abzuhaken: Der „Student“, der „Buchhalter“, der „Arzt“ usw. Während er die weissen „Touristen“, „Queenie“, die füllige schwarze Reinigungsfrau oder den „Housepainter“ warm in Erinnerung behält. Das zeigt, dass sich Hanson, der 1996 an Krebs in der Folge einer Kunststoffdampf-Vergiftung starb, der inhaltlichen Wirkung seiner Figuren nicht immer ganz bewusst war.

Die Zürcher ist von einem eher populär konzipierten Katalog mit Werkverzeichnis (Cantz-Verlag) begleitet.