Dem Sehen einen Körper geben

Jörg Mollet: Monographie und Ausstellung in Basel. Bis 5. Juni 2003

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 28. Mai 2003

„Dem Sehen einen Körper geben“ ist der sehr schöne Titel einer Monographie und einer Ausstellung in Basel zum Werk des Solothurner Künstlers Jörg Mollet. Das Schaffen des Weltreisenden wird fassbar.

Dass der Basler Reinhardt-Verlag die grafisch und konzeptionell überzeugend gestaltete Monographie zum Gesamtschaffen von Jörg Mollet (57) herausgibt, hat eine Geschichte: 1993 weilte der Maler, einmal mehr, in Asien; im Rahmen eines von der Schweiz unterstützten Projektes setzte er sich mit der Region Wuhan (China) auseinander und zeigte die Bilder daraufhin im „China Museum of Art“ in Peking. Der zusammen mit dem vor Ort getroffenen Fotografen Xie Guo’an entstandene Katalog wurde jedoch beschlagnahmt. Die Fotos zeigten Armut, war die Begründung.

Worauf der Katalog in der Schweiz noch einmal gedruckt wurde, beim Reinhardt-Verlag; Monate bevor die chinesische Version schliesslich doch noch ausgeliefert wurde. Der Kontakt zum Basler Verlag blieb und führte jetzt zur 204 Seiten starken, dicht und abwechslungsreich illustrierten, mit fundierten, vielleicht etwas zu wissenschaftlichen, Texten ausgestatteten Monographie. Die Hauptautorin, die als Sammlungskonservatorin in Luzern tätige Oltner Kunsthistorikerin Cornelia Dietschi, beschreibt Mollets Werkentwicklung seit den 70er Jahren professionell, sprachlich und inhaltlich hochpräzise, vermeidet jedoch gerade das, was Mollets Schaffen auszeichnet: Körperlichkeit, Emotionalität, Sinnlichkeit, Lust, Sehnsucht, Traum, Vision.

Auch die Lebensnähe, die Biographie, das Aufbäumen und Abstürzen, die politische Komponente, das Reisen als Sprengen von Grenzen, die schwierige Stellung in der Schweizer Kunstszene kommen zu wenig zum Zug (warum schreibt für ein so wichtiges Buch nicht der Direktor des Solothurner Museums zumindest ein Vorwort?). Vielleicht macht das aber auch Sinn, indem es dem Werk Mollets, umsomehr als die Abbildungen von hoher Qualität sind, unabhängig von der individuellen Geschichte des Künstlers, Bedeutung gibt. Auch findet die Autorin da und dort beeindruckende Wortkombinationen, etwa wenn sie schreibt: „Jörg Mollet denkt bildhaft und bildet denkend“. Oder, bezüglich der neueren, im Vergleich zur expressiven Epoche (1976 bis 1995) mehr ordnende Bildkörperlichkeit    suchenden Arbeiten: „Sie öffnen Fenster in den Hintergrund und schieben Riegel in den Vordergrund“. Weiter geht es dann: „Immer stehen die Bilder in Korrespondenz mit einer bewegten künstlerischen Handschrift und einer dynamischen Bildtektonik, deren Formen und Gebärden frei ausgreifen, verlappen, versprühen und sich zu einem dichten, textilen Flecken- und Flächengebilde zusammenfinden.“

Der Künstler liebt den Text, den die 36-jährige Kunsthistorikerin in langer und intensiver Auseinandersetzung mit seinem Werk geschrieben hat; Kunststück, denn er ist Kontrapunkt, die andere Sprache. Jörg Mollet selbst malt, zeichnet, schreibt aus dem Körper heraus. Die frühesten, in Buch und Ausstellung gezeigten Zeichnungen datieren von 1976.

Es sind explosive „Eröffnungen des Leibes“, Versuche in der Anatomie des Körpers die Beschaffenheit der Emotionalität zu finden. Mollet ist damals 30, lebt im Raum Olten, also da, wo in dieser Zeit auch Martin Disler, Agnes Barmettler und andere aktiv sind. Er gehört zwar nicht im engeren Sinn zu diesem Kreis, wie er nie zur „offiziellen“ Schweizer Kunstszene gehört, auch nie Eidgenössische Stipendien erhält. Aber dass der Emotional-Körper Thema von Kunst sein kann, wird in der Schweiz da in dieser Zeit geboren. Mollet hat seine Basis dazu auf einer zweijährigen Reise nach Indien und Nepal gelegt (1971-73). Nach der Enge der Schule für Gestaltung in Basel (1966-70), brachte ihm der Aufbruch die Erfahrung des Anderen und des Eigenen.

Obwohl diese Pionierstellung nicht im Zentrum von Buch und Ausstellung stehen, ist sie für die Glaubwürdigkeit des Gesamtwerkes von Bedeutung. Der Schwerpunkt liegt bei Arbeiten der letzten 12 Jahre, in welchen Mollet die Körperlichkeit von ihrer figürlichen Erscheinung ablöst und in eine abstrakte Raum-Licht-Ebene überträgt. Im Buch sind es Bilder wie „Leib-Raum-Weiss I und II“, in der Ausstellung „Leib-Raum-Grün IV“ (alle 1992), welche den Übergang sehr schön aufzeigen: Das Eingehen des Körpers in vertikal-horizontale Bildschichten, die durch ihre Materialität (Shoji-Papier) und die Bearbeitung von Vorder- und Rückseite zum Raum-Körper werden. Auch finden hier die Ebenen des Weltreisenden, des Sammlers und des Malers über die Verquickung von fotografischen und malerischen Ebenen zur Einheit.

Die Ausstellung zum Buch findet in der für Kunst-Zwecke umgebauten Kraft-Halle im Basler Dreispitz-Areal, unweit des neuen Schaulagers, statt. Als Veranstaltende zeichnen Catherine Hosang und Letizia Schubiger (Allschwil), welche als Kunstvermittlerinnen mit Jörg Mollet zusammenarbeiten.

Buch: Jörg Mollet. Dem Sehen einen Körper geben. Reinhardt-Verlag, Basel. 204 Seiten, 150 Farbabbildungen. Texte: Cornelia Dietschi, Stefanie Dathe, Letizia Schubiger. 68 Franken.