Olivier Mosset: Lausanne/St.Gallen: Retrospektive 2003

Radikalität als offene Position

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt 3. Juni 2003

 

Der Neuenburger Olivier Mosset (59) hat in den 60er Jahren in Paris Kunstgeschichte geschrieben. Noch heute ist der Wahl-Amerikaner ein radikaler Künstler und – in der Schweiz – eine einflussreiche Figur.

Wenn die Museen von Lausanne und St.Gallen dem heute ihn Arizona lebenden Schweizer Olivier Mosset gleichzeitig eine Retrospektive einrichten, so nicht um Überfülle zu bändigen. Sondern, im Gegenteil, um die im Werk angelegte Repetition des Gleichen in verschiedenen Kontexten zu betonen, in der Deutschschweiz und der Romandie zum Beispiel.

Mossets Werk besteht primär aus kleinen schwarzen Kreisen auf weissem Grund, aus monochromen und gestreiften Grossformaten, aus signethaften, zeichenförmigen Leinwänden, wenigen Skulpturen und neuen Farbräumen. In den 60er Jahren prägte er damit den Einbruch des Konzeptuellen und Radikalen in die europäische Malerei – zusammen mit Niele Toroni, Daniel Buren und Michel Parmentier trat der gerade mal 23-jährige als „BMPT“ auf.

Wenn die Konstellation auch nicht lange Bestand hatte, so prägte sie doch die Künstler und die Kunstgeschichte. Kunst war nicht mehr länger Ausdruckswerk, sondern Haltung, Zeichen, gesellschaftliche Position und, später, Instrument im Raum.

Als Mosset in den 70er Jahren nach New York zog, passte seine Vorstellung und das sich erweiternde Werk sowohl in die Ausläufer der Minimal Art wie in die „Radikale Malerei“ der Zeit, was ihn kraft der markanten Präsenz seiner Arbeiten zum erfolgreichen amerikanischen Maler macht. Gegen Ende der 80er Jahre holt der ähnlich einflussreiche Genfer Künstler John Armleder Olivier Mosset in die Schweiz zurück – als Künstler der „Neuen Geometrie“; auch da passt sein neutrales und darin anpassungsfähiges Werk hinein. 1990 vertritt Mosset die Schweiz an der Biennale in Venedig. Seither verfolgt der Künstler die Stränge seines Werkes weiter, ohne stehen zu bleiben.

„Glück gehabt“, könnte man sagen, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Richtig. Dies aber nur, weil Mosset seine Kunst stets hervorragend zu instrumentalisieren wusste, weil er ein intelligenter und offener Gesprächspartner ist, weil er sich im Netz der Künstlerschaft – meist reine Männerrunden – stets als solidarischer, engagierter Künstler erwies. Ausdruck davon ist zum Beispiel das – zur Zeit leider verstummte – Centre d’art Neuchâtel (CAN), das er Kraft seiner Position mitbegründen half, wo er, um einen Akzent zu setzen, vor zwei Jahren Künstlergrössen wie Toroni, André und Charlton zusammenführte. Auch unbekannteren Künstlern durch die Teilnahme mit eigenen Werken Sukkurs geben, gehört zu Mosset.

Kleinkarierte Politdiskussionen sind seine Sache nicht; 1991 zum Beispiel war er in der Schweizer Kunst-Ausstellung zur 700-Jahr-Feier markant dabei. Wie raffiniert er zuweilen ist, zeigte er letztes Jahr bei „Art Canal“, wo er seine schwarzen Kreise in Autopneus entlang des Zihlkanals wiedererkannte und sie, träf und sec, zu „Ready mades“ erklärte.

Die Retrospektiven in Lausanne und St. Gallen unterscheiden sich nur punktuell, sie spannen beide das Gesamtwerk von den 60er Jahren bis heute aus. Und doch sind sie nicht dieselben. In der Deutschweiz wird Mosset sehr viel stärker über die amerikanische Kunst rezipiert, während in der Romandie der Start in Paris betont wird. Auch der Einfluss Mossets auf jüngere Künstler ist in der französischen Schweiz ausgeprägter.

So ist es denn richtig, dass Lausanne einen Akzent auf Kooperationen legt, Mossets Position geradezu bildhaft einfängt in der Rekonstruktion der mit John Armleder erstmals 1993 realisierten Rollbrett-Anlage als Skulptur und monochrome Malerei zum Nutzen der Jugendlichen (jeden Mittwochnachmittag ist die raumfüllende Anlage gratis benützbar). Spannend ist in Lausanne auch die Sprengkraft im zweiten Saal, wo an denselben Aufhängevorrichtungen, die in der Präsentation der Sammlung die riesigen Historienbilder des 19. Jahrhunderts tragen, jetzt die radikal reduzierten Nadelstreifen-Bilder Mossets hangen.

Wie präzise und pointiert Mosset jederzeit auf Situationen und Zeitphänomene einzugehen weiss, zeigen die jüngeren Werke, die monochrome Seriegraphien auf Seide in farbigen Rahmen – teils rechteckig, teils oval – in gänzlich ausgemalten Räumen zeigen. Neutrale, reduzierte und zugleich aussagekräfte Spiegelbilder der sich gerne glamourös und in Videofarben präsentierenden 90er Jahre; dies notabene mit einem Sinn für Farbwirkung, der seinesgleichen sucht.

Zu den Ausstellungen ist eine, grafisch eher unbefriedigende, aber zeitüberspannend informative Monographie erschienen (franz/englisch und deutsch/englisch).