Heike Munder: Architektur und Emotion migrosmuseum Zürich 2003

Sind wir Raum und Zeit ausgeliefert?

Vor einem Jahr startete Heike Munder im migrosmuseum für Gegenwartskunst mit dem „Unheimlichen“ in der Kunst. Jetzt frägt eine Ausstellung nach der unterschwelligen Wechselwirkung von Emotion und Raum. Spannend.

„Bewitched, Bothered and Bewildered“ heisst die aktuelle Ausstellung im migrosmuseum in Zürich. Was in etwa „behext, beängstigt, beirrt“ heisst. Dabei geht es um „spatial emotion“, um Raum und Emotion, in der zeitgenössischen Kunst. Der englische Titel markiert die Kommunikation der beiden Kuratoren, des Polen Adam Budak aus Krakow und der Deutschen Heike Munder, Direktorin des migrosmuseums in Zürich.

Konzeptueller Ausgangspunkt der thematischen Schau mit 20 Positionen aus Europa und den USA sind bekannte Thesen von Sigmund Freud, Michel Foucault und Walter Benjamin zur Wechselwirkung von architektonischen Gegebenheiten und emotionaler Wirkung in geschlossenen respektive offenen und urbanen Situationen. Glücklicherweise liessen der Kurator und die Kuratorin die Theorie schnell hinter sich und befragten die Kunst. Dabei suchten sie nicht nur das Wilde, sondern auch die Zwischentöne. In Form von Videoprojektionen, Skulpturen, Objekt-Installationen, Fotografien, Malerei und Zeichnungen.

Erstaunlicherweise greifen die beiden dabei mehrfach auf Arbeiten der 70er Jahre zurück – zu Paul Theks skulpturaler Albtraum-Vision „Onkel Toms Hütte mit Turm von Babel“ zum Beispiel oder – erstaunlich, aber träf – zu H.R. Gigers schauerlicher Interieur-Malerei zwischen Körper-Innerem und virtuell begehbarer Architektur. Damit wird eindrücklich auf die Wurzeln der Auseinandersetzung mit der emotionalen Wahrnehmung von Architektur verwiesen, aber im Spannungsbogen mit jungen Arbeiten auch das Interesse der jungen Generation an Themen der 70er Jahre dokumentiert.

Unter den Nägeln brennen trotzdem eher die aktuellen Positionen. Die sarkophag-ähnliche Glasvitrine der beiden jungen welschen Architekten Décosterd & Rahm unter anderem. Darin ist der Sauerstoffgehalt von normal 24% auf 6% reduziert, was einer Halluzinationen auslösenden Stofflichkeit zwischen Leben und Tod entspricht. Unheimlich, umsomehr als im dunklen Ausstellungsraum eine Wissenschaftlichkeit suggerierende Stimme vom Sterben als Flug in die sauerstofflose Stratosphäre erzählt.

Ein Highlight ganz anderer Art zeigt der Basler Christoph Büchel (37). Seine Arbeit ist handfest, unangenehm, eindringlich. Er erwarb eigens für die Ausstellung einen abgenutzten Wohn-Container, in dem zuletzt ein arabischer Bauarbeiter lebte, was an Spuren zu erkennen ist. Daraufhin lebte Büchel als Bildhauer darin. Eine mächtige, unfertige Lehm-Skulptur der Twin-Towers dokumentiert es. Und es stinkt.

Behexen können nicht nur bedrohliche Räume, sondern auch verführerische. Der US-Norweger Knut Asdam (35) fotografierte grossstädtische Architektur bei Nacht und zeigt sie als Licht-Bilder mit Gelbstich. Das potenziert die Evokation von Licht in der Nacht. Und verkehrt damit das gemeinhin Bedrohliche des nächtlichen Grosstadt-Raumes in beirrende Schönheit. Ob nur ein Norweger das kann?

Es gibt auch humorvolle, keineswegs banale Arbeiten. Zum Beispiel die „Türe“ der Polin Monika Sosnowksa (30), eine Raum-Skulptur, bei welcher das Öffnen einer Türe zu einer Türe und wieder zu einer Türe und nochmals zu einer Türe…. führt. Türen, die sich in der digtal bearbeiteten Projektion von Aziz und Cucher – eine hevorragende Arbeit – zum atmenden Korridor weiten.

Es gibt auch schwächere Arbeiten, doch das kann den positiven Gesamteindruck keineswegs schmälern. Die Grundfrage nach der Verbindung von Raum und emotionaler Wirkung ist an der Basis so einfach, dass sie ohne konzeptuellen Ballast interpretiert werden kann. Dennoch ist es ausgesprochen schade, dass die Kuratoren für vertieftes Interesse kein Material liefern; keine Erörterung der Frage zum Beispiel, in welchem Wirkungs-Verhältnis Architektur und Nutzung stehen.