Horizonte _ Museum Franz Gertsch_Burgdorf 2003

Das Wiegen im Wind in wechselndem Ton

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 25. April 2003

Reinhard Spieler versprach an der Eröffnung des Franz-Gertsch-Museums vor sechs Monaten, er wolle ein lebendiges Haus führen. Die Bilddialoge unter dem Titel «Horizonte» treten jetzt den Beweis an.

Der Weihrauch des einem einzigen Malerhelden gewidmeten Museums Franz Gertsch in Burgdorf ist nicht verflogen. Aber die intelligenten Bildgespräche, welche die erste Wechselausstellung inszeniert, gibt dem Werk des 73jährigen Berner Künstlers erweiterte «Horizonte» – so der Titel. Die fünf raumgreifenden Schauräume zeigen in fünf Kapiteln spannende Werkdialoge, die sowohl formal und thematisch Verwandtes aufzeigen, wie dieses sogleich wieder auflösen.

Die mit Mineralpigmenten auf Baumwolle gemalten «Gräser» von Franz Gertsch zum Beispiel sind einer grasgrünen Rasen- respektive Blatthecken-Fotografie des deutschen Becher-Schülers Thomas Demand gegenübergestellt. Die Exaktheit und die plastische Lichtführung dienen hier wie dort der Überhöhung. Doch während Gertsch das Naturmotiv vergrössert, abstrahiert und so entrückt, sind Demands Arbeiten Rekonstruktionen. Der 39-jährige baut seine Motive als Kartonmodelle, um sie danach mit den Mitteln der Fotografie als Natur auszugeben. Es stehen sich so zwei diametral verschiedene Ansätze mit vergleichbaren Zielsetzungen gegenüber. Spannend.

Insgesamt hat Reinhard Spieler, der quirlige Direktor des Franz-Gertsch-Museums, zehn Kunstschaffende zum Gespräch geladen. Eingedenk des unternehmerischen Auftrages, Franz Gertschs Internationalität zu fördern, sind es mit einer einzigen Ausnahme hochkarätige Freunde: Neben Demand Gerhard Richter, Thomas Ruff, Roman Opalka, Yves Klein, Wolfgang Laib, On Kawara, Vija Celmins, Robert Zünd und der Video-Künstler Piero Steinle. Mit berechtigtem Stolz verwies Spieler an der gestrigen Pressekonferenz auf die Kreditwürdigkeit, die das junge Museum auf dem Ausleih-Markt bereits besitzt.

Zwei Hauptwerke von Gerhard Richter ausgeliehen zu erhalten, ist tatsächlich keine Selbstverständlichkeit (und überdies finanziell kein Pappenstiel). Die Gegenüberstellung der grossformatigen «Seestücke» Richters aus den Jahren 1970/75 und der «Schwarzwasser»-Holzschnitte von Franz Gertsch ist aber auch inhaltlich beeindruckend.

Das konzentrierte Eintauchen ins Thema, Nähe und Ferne, Schärfe und Unschärfe auslotend, verbindet die Stücke. Ebenso der gemeinsame Ausgangspunkt Fotografie. Doch während Gertsch in der grafischen Umsetzung nach dem romantischen Ideal sucht, geht es Richter in dieser Phase seines Werkes primär um die formale Erweiterung malerischer Möglichkeiten durch die Konzentration auf fotografiespezifische Eigenheiten. Somit treffen sich auch hier verschiedene Methoden und Ansätze auf dem gemeinsamen Weg nach Rom.

Und gerade das ist die Stärke der Ausstellung, dass sie nie auf plumpe Ähnlichkeit hereinfällt, sondern immer Ähnlichkeit und Andersartigkeit zu paaren vermag und damit eine Steigerung erzielt.Dennoch ist die Wirkung unterschiedlich. Gertschs Werke haben – das macht die Ausstellung erneut bewusst – unglaubliche Grössendimensionen. Das rückt manchen Vergleich mit kleineren Arbeiten – etwa dem kleinen Wasser-Holzschnitt von Vija Celmins, der einzigen Frau im Männerchor –, auf eine primär intellektuelle Ebene.

Gerade deswegen ist andererseits der Porträt-Saal, wo Gertschs 290 x 280 Zentimeter grossen, gemalten Frauen-Porträts auf die immerhin 210 x 165 Zentimeter grossen Aufnahmen von Thomas Ruff treffen, besonders eindrücklich. Denn hier treten sich die Gemalten und die Fotografierten quasi auf gleicher Ebene gegenüber, was ihre körperlich-emotionale, vielleicht sogar erotische Wirkung steigert.Es kommt hinzu, dass die vergleichbaren Kompositionen als frontale Brustbilder die Analogie zusätzlich betont. Weder hier noch dort trifft jedoch Lebendigkeit den Kern, im Gegenteil. Ruff sagt, er fotografiere seine Modelle, als wären es Gipsbüsten. Wahrlich. Und Gertsch macht «seine» Frauen in ihrer Überdimensionierung und ihrer Makellosigkeit zu jeglicher Realität enthobenen Projektionen. Dies wird im Bildgespräch Ruff – Gertsch deutlicher denn je und so zu einer der anvisierten «Horizont»-Erweiterungen.

Das schwierigste Kapitel ist das dem abstrakten Begriff der «Zeit» gewidmete. Auch hier widersteht Spieler der Gleichförmigkeit. Er stellt der aufwändig erarbeiteten Zeitlosigkeit in den Holzschnitten Gertschs in Wolfgang Laibs hochfragilem Milchstein eine spirituelle, in On Kawaras zeitdefinierten Datum-Objekten eine historische und in Roman Opalkas fortgeschriebenen Lichtzahlen eine menschliche Zeitebene gegenüber. Und packt so Wesentliches, das in Facetten auch zum Werk Gertschs gehört. Bleibt schliesslich die Spannweite zwischen der 19. Jahrhundert-Malerei Robert Zünds und den verblüffend ähnlich-anderen «hohlen» Gassen von Gertsch in neuen formatmässig auf Verkäuflichkeit ausgerichteten Holzschnitten, die der Künstler hinterlistig «Bagatellen» nennt.