Nach dem Tod von Margrit Jäggli und Willy Müller-Brittnau 2003

Der Markt brachte sie zur Verzweiflung

www.annelisezwez.ch      Bieler Tagblatt, 5. August 2003

Im Juli sind Margrit Jäggli und Willy Müller-Brittnau gestorben. Beide waren in den 60er respektive 70er Jahren Aushängeschilder der Schweizer Kunst im In- und Ausland. Und wollten dann nicht mehr.

Obwohl mit den Jahrgängen 1941 respektive 1938 praktisch gleich alt, gehörten die Bernerin Margrit Jäggli und der Aargauer Willy Müller-Brittnau zwei Generationen an; nicht zuletzt weil sie ihre Triumphe als Frau und Mann feierten. Müller-Brittnau gab der Tradition der geometrischen Kunst einen Kick, Margrit Jäggli ebnete die Öffnung zu weiblichem Selbstbewusstsein Tür und Tor. Doch beide liess die Gesetzmässigkeit des Kunstmarktes ins Leere laufen.

Müller-Brittnau liess 1976 seine internationale Karriere, die ihn ab Mitte der 60er Jahre nach Zürich, Basel, Bern, Mailand, Rom, Köln und 1973 in Musée des Beaux Arts in Grenoble führte, sausen, übermalte sämtliche Bilder in seinem Atelier mit schmutzig-schwarzer Farbe und schrieb dazu (u.a): „Der Künstler ist erst frei, wenn er keine Kunst mehr macht.“ Margrit Jäggli fand zu Beginn der 70er Jahre mit ihren „Spiegelbildern“ einen Ausdruck, der präzise in die Zeit passte und sie in kürzester Zeit international bekannt machte. Doch die Vernissagen wurden ihr zum Gräuel und als sie statt Menschen Menschenaffen malte war das Missverständnis total. In tiefer Depression hörte sie 1982 auf zu malen. Vor wenigen Wochen sind beide, erst 62 respektive 65 Jahre alt, nach längerer Krankheitszeit an Krebs gestorben. In die Trauer mischt sich der analytische Blick zurück. Ist zum Beispiel die Schwierigkeit im Umgang mit dem Kunstmarkt ein Generationenproblem?

Schaut man in die Runde der Jahrgänger ist man geneigt die Frage mit „ja“ zu beantworten, allerdings sowohl an übergeordnete wie geschlechtsspezifische und individuelle Faktoren gekoppelt. Was Margrit Jäggli anbetrifft, fällt auf, dass nur wenige Künstlerinnen im Umfeld des feministischen Aufbruchs langfristig bekannt blieben, weil der Umgang mit Kunst als Verkaufsware für die Frauen völlig neu war und sich ihre Werke überdies nicht dem Zeitgeist entlang entwickelten; Manon, Heidi Bucher, Cristina Fessler, Rosina Kuhn, Agnes Barmettler sind Beispiele. Im Fall von Müller-Brittnau finden sich die Parallelen zu Generationskollegen in der konsumkritischen Haltung der alternativen Szene der 70er Jahre, in welcher Künstler oft verschwiegen, wenn sie ein Bild verkauften. Für einen erfolgreichen Künstler ein echtes Problem.

In der Krise von Margrit Jäggli – die sich, als studierte Germanistin, später über die Literatur verhalten neu positionierte – und von Willy Müller-Brittnau, der 1980/82 wieder zu malen begann, liegt aber noch mehr. Das Problem der Rezeption, des Verstanden-werdens. Margrit Jägglis fotorealistischen Bilder nackter Frauen und Männer, gemalt auf Spiegel, provozierten. Sie waren nicht Alltag zeigende Pop Art, sondern Pose, zu einer Zeit als die Fotografie noch nicht Einzug gehalten hatte in die Museen. Sie waren „Ich“ in einer für Frauen und Männer neuen Art und Weise; verführerisch und selbstsicher die Frauen, etwas verschämter die bislang kaum körperbewussten Männer. Und es waren nicht einfach Bilder, sondern Spiegelbilder, somit Abbilder ihrer selbst. Kam hinzu, dass wer sie betrachtete, sich unausweichlich selbst auf gleicher Ebene fand, in einem Dialog, der den Voyeur, die Voyeurin immer gleich mitporträtierte.

Die Intimität der Bilder, die Nacktheit als Ausdruck des Nackten, die (Spiegel)Haut als verletzliche Schicht, die Tatsache, dass wir uns alle nur als Spiegelbilder kennen, all das, was Margrit Jäggli so wichtig war, widersprach dem Small Talk an Vernissagen in solchem Mass, dass sie fort rannte. Schon lange hatte sie einen Ozelot, Feneks und Meerkatzen zuhause. Sie wurden nun zum Motiv und für die Künstlerin waren sie nicht anders als die Menschenbilder – Bilder vom Leben, Bilder von Gefühlen. Doch in der Rezeption schieden sich die Geister, Margrit Jäggli wurde vom Kunstmarkt mehr oder weniger fallen gelassen; missverstanden. Im Rückblick zeigt sich ihr Werk indes mehr denn je als ein wichtiges Kapitel der Pionierzeit der Kunst von Frauen in der Schweiz.

Das Missverständnis bei Willy Müller-Brittnau ist ein anderes, auch in ihm selbst begründetes. Man rezipierte sein Werk stark über die formale Ebene; er selbst nannte sich einmal ein „konkreter“ Künstler. Doch eigentlich war er das nicht; die Essenz Müller-Brittnaus war stets die Farbe. Der gelernte Farbenretoucheur konnte zeitlebens Farben setzen wie kaum ein Zweiter. Was nicht ging, konnte er – zum Beispiel ein Violett, neben ein Orange, ein Rot und ein Hellbllau setzen und es sprühte. Die Rezeption sah diese Qualität wohl und viele Kunst am Bau-Aufträge (u.a. für die Berufsschule Biel, 1975) sind Farbsetzungen, doch philosophisch fand die Auseinandersetzung nicht da statt, sondern über die Geometrie, später auch die Minimal Art. Und das kombiniert mit dem „Dekorationseffekt“ und dem damit verbundenen Markterfolg, führte zum Bruch, weil die „Kunst eine Lüge ist“. 1982 kam Müller-Brittnau zurück, mit weitausholenden, expressiven Gesten, um sie bald wieder zurückzuführen in die Reduktion, nun allerdings eine subjektive, handschriftliche, die sich auf Farbstreifen beschränkte. Nicht verkaufte Werke nutzte er prozesshaft als Grundlage für weitere Arbeiten. Regional blieb Müller-Brittnau ein bekannter Künstler und die Basler Galerie Riehentor zeigte ihn jedes Jahr an der „Art Basel“, doch ins Zentrum der Diskussion rückte er nicht mehr, was ihm lieb und recht war. Auch hier weitet sich nach seinem Tod der Blick aufs Ganze und lässt sein Werk als wichtiges der Schweizer Kunstgeschichte erkennen.