Roger Keller, Boris Billaud, Carmen Diehl Espace libre Centre Pasquart Biel 2004

„Notizen aus dem Kiefernwald“

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 17. Dezember 2003

Eine vom theoretischen Ansatz nicht sehr einfache Ausstellung wartet zur Zeit im Espace libre des Centre PasquArt in Biel auf Denkfreudige. Visuell gibt’s immerhin auch Saftiges, zum Beispiel Kresse.

Spätestens seit Thomas Hirschhorns „Bataille-Monument“ an der letztjährigen Documenta ist es salonfähig geworden, sich in der Kunst direkt auf Denker aus der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts zu beziehen. Der Bern-Romand Boris Billaud (35), der die aktuelle Ausstellung im Espace libre kuratiert hat, nennt diese „Notizen aus dem Kiefernwald“. Nach einer ebenso walserschen wie kunsttheoretischen Erzählung von Francis Ponge (1895-1988), dessen Schriften auch in deutscher Sprache vorliegen, herausgegeben vom renommierten Suhrkamp-Verlag (sie liegen im Espace auf).

Die Recherchen von Ponge galten unter anderem dem Ziel „die Objekte in der Sprache verstehen zu lassen“, somit ein medienspezifischer Bewusstseinsprozess. Der herausgefilterte Satz, welcher der Ausstellung vorangestellt ist, heisst: „Damit ein Text in keiner Weise vorgeben kann, Rechenschaft von einer Realität der konkreten (oder spirituellen) Welt zu geben, muss er zunächst die Realität der eigenen Welt erreichen, diejenige der Texte.“ Ponge schrieb ihn 1940, kurz nachdem er kriegsbedingt aus Paris ins Departement Haute-Loire geflohen war. Somit, könnte man sagen, eine Art Rückbesinnen auf die Basis, abseits des Weltgeschehens, zugleich aber auch den Glauben an die Möglichkeiten der Sprache ausdrückend.

Boris Billaud, der sich, einem vor Ort aufliegenden Text zufolge, auf eine Ausstellung von Jürgen Partenheimer (56) in Gent bezieht, liest aus Ponges Satz die Bedeutung assoziativer, Zusammenhänge, die zugleich ihre eigenen Bedingungen bezüglich Entstehung, Konzept und Ort reflektieren; allerdings nicht auf der Text-, sondern der Kunstebene. Er selbst, primär bildender Künstler, zeigt dies anhand von Arbeiten, die laborartig Recherchen zur Entstehung von Kunst reflektieren – das Verbinden von Stilen, das Repräsentieren von Zeitgeschichte im Bild, das Übertragen von Wissenschaft in Zeichnung respektive bildnerische Erkenntnis, von Bilderrahmen in Architektur usw. Dazu setzt er ebenso Malerei, Zeichnung wie dreidimensionale Bricollagen ein.

Gerade verführerisch macht er das nicht, eher bohrend, suchend, drehend, vielleicht sogar verzweifelt ob der Unmöglichkeit (sich selbst) zu erkennen. Eigentlich bräuchte es einen anderen Ort für diese Art Kunst, eine Lounge vielleicht, mit Sessel, Büchern und Bildern, um in Ruhe am Apfel der Erkenntnis zu kauen.

Einfacher machen es ihm da die Mitausstellenden. Carmen Diehl (37), Absolventin der Fachklasse Kunst an der HdK in Bern und Redaktorin beim Berner Radio Rabe, zeigt zwei Videos voller Saft und Sinnlichkeit, die dennoch dem Satz von Francis Ponge nachleben. Zum einen rafft sie das Wachstum von Kresse in der Zeit und zeigt so, in einer Art Laborexperiment, zu dem auch (Haarföhn)-Windstösse gehören, seine eigenen Lebensstrukturen. Zum anderen, ausgehend vom Standbild des Schweizer Fernsehens, wie ein Bild entsteht, wie Malerei respektive Film Dinge visuell einfängt und wieder verwirft, Schicht über Schicht legt, Geschichten erzählt und wieder auflöst. Einfach und amüsant.

Roger Keller (35), der immer wieder mit Billaud zusammenarbeitet, und zur Zeit mit dem Kairo-Stipendium der Stadt Biel in Ägypten weilt, zeigt seinerseits ein Video, das sein Erleben in der Weltstadt spiegelt, als Bildfolge aufschlüsselt, auseinanderdividiert und schliesslich als abstrakte Form re-generiert. Somit thematisiert auch er, durchaus eindrücklich, das Nachdenken über die Bedingungen von Bildproduktion und Bilderfindung.