Serge Spitzer Kunsthalle Bern 2003

Die Kunsthalle an der Herz-Lungen-Maschine

www.annelisezwez.ch   Erschienen in Bieler Tagblatt vom 15. Mai 2003

Nein. Die Kunsthalle ist nicht an die Herz-Lungen-Maschine angehängt weil ihre Existenz bedroht ist. Im Gegenteil: Serge Spitzer macht ihr Volumen sichtbar durch Erschliessung unbekannter Räume.

Der US-Künstler Serge Spitzer – in Rumänien geboren, in Europa „gross“ geworden – bringt Räume zum Atmen, er macht Kreisläufe sichtbar und Energieströme fassbar. Letztes Jahr auf der Arteplage in Biel, jetzt in der Kunsthalle Bern. Als Harald Szeemann im Vorfeld der Expo.02 sein Konzept für „Geld und Wert“ entwarf, war ihm klar: Es muss strömen. Und so lud er als Erstes den 52jährigen Serge Spitzer ein, um eines seiner „Rohrpost-Systeme“ für den Pavillon zu entwerfen. Fast einen Monat hat Spitzer in Biel gearbeitet letztes Jahr. Und jetzt ist er wieder in Berner Landen – mit einer anderen und doch vom Denkansatz vergleichbaren Arbeit. Auch Bernhard Fibicher hat Spitzer eingeladen, weil er hoffte, dass der Künstler ein Konzept entwerfen würde, das die Kunsthalle als Ganzes – als Architektur, als Haus für Kunst – valorisiert. Und der Künstler erfüllte die Erwartung des Direktors: Serge Spitzer stellt nicht aus, er benützt die Kunsthalle vielmehr als Ort für eine raumbezogene Installation: „Breathing Light“. Dieses Ortsspezifische ist ein spannender Faden in Fibichers Programm; man erinnere sich Christoph Rütimanns, der den Blick vom Dach via Kamera in die Räume holte oder Maria Eichhorns, die mit Anteilscheinen Renovationen am Haus ermöglichte.

Die 1918 erbaute Berner Kunsthalle hat eine ganz eigenartige Architektur; ein ganzes Stockwerk dient nur dazu Licht ins Innere des Gebäudes zu bringen und über ornamentale Oberlichter auf die Parterre-Räume zu verteilen. Dieses unsichtbare Obergeschoss macht Serge Spitzer erstmals fassbar, indem er Luken öffnet, durch die man spähen kann und die Besuchenden über eine Gerüst-Plattform bis 2.20 Meter unter die Oberlichter führt. Das schon als Kunst zu bezeichnen, wäre schwierig, doch zwei feste und vier bewegliche im Licht-Geschoss montierte Überwachungskameras übertragen was sie „sehen“ über Projektionen in den linksseitigen, fensterlosen Parterre-Raum. Nicht nur der mediale Blick aufs Münster, sondern auch vorbeifahrende Autos sind „Beweis“ für das „Reality Model“ wie Spitzer eine Reihe seiner Projekte nennt.

Doch auch das wäre noch nicht wirklich spannend genug. Erst die visionäre physikalische Gleichung, die das Lichtgeschoss mit der im Laufe der letzten 85 Jahre aus dem Parterre und dem Soussol aufgestiegenen und materielos abgelagerten Energie von Kunst, Künstlern und Kuratoren gleich setzt, verschafft Spitzers Projekt eine Ausdehnung, die Materielles und Spirituelles faszinierend verbindet. Symbolisiert wird diese Energie durch vier unters Dach gehängte grosse Luftballone wie sie auch in der Meteorologie eingesetzt werden. Der eine wird durch einen Kompressor gross gehalten, ein zweiter durch eine Herz-Lungen-Maschine aus dem Arsenal des Berner Insel-Spitals und zwei durch die Puste der Besuchenden. Auf der Plattform gibt es Karton-Röhrchen, die man an eine Pumpe anschliessen soll und kräftig hineinblasen. Ob es etwas bewirkt, sieht man durch die winzigen Luken nicht so recht, aber man kann es sich vorstellen. Die drei unterschiedlichen Pumpysteme sind dem Künstler wichtige Metaphern, da sie verschiedenartige Energieströme aufzeigen. Im Wechsel von aktiv und passiv, mechanisch und menschlich sind sie eine Art Spiegel des modernen Lebens und als solcher wiederum in Wechselwirkung mit dem Schaffen von Kunst respektive dem „Leben“ der Kunsthalle.

Als Spitzer anfangs der 80er Jahre nach New York übersiedelte, fand er sehr schnell Anschluss an die aus den 60er und 70er Jahren gewachsene, amerikanische Kunst. Das ist nicht weiter verwunderlich, ist doch die Verbindung von Materiellem und Spirituellem in mannigfaltigen Äusserungsformen ein Charakteristikum vieler bedeutender US-Künstler und Künstlerinnen. Man denke an Mark Rothko, an Robert Ryman, an Agnes Martin, an Sol LeWitt, Brice Marden, Vija Celmins usw. Das entwickelte Spitzer weiter, hinaus in den Raum. Nicht zuletzt als Rumäne, ist es doch wohl kaum Zufall, dass man sein Schaffen in Beziehung setzen kann mit dem Bulgaren Christo, der die Kunsthalle Bern 1968 verhüllte, um ihre innere Energie sichtbar zu machen.