Bernhard Luginbühl: Der gewichtigste Schweizer Künstler wird 75 2004

Vielleicht der letzte Eidgenosse

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 14. Februar 2004

Am 16. Februar 2004 wird vor dem Museum Tinguely in Basel eine Holz-Skulptur verbrannt. Ein Feuerzeichen zum 75. Geburtstag von Bernhard Luginbühl, dem vielleicht letzten Schweizer Eidgenossen.

So hat man sie uns weis gemacht, die alten Eidgenossen: Mutig Hab und Gut verteidigend, für Frauen und Kinder einstehend und im Umgang mit der Welt stets ein Stück weit bauernschlau. Der Emmentaler Bernhard Luginbühl hat diese Tugenden im Geist des 20. Jahrhundert vereint und als Patriarch ein Königreich aus Eisen geschaffen. Seine Gefolgschaft sind seine Familie, seine Künstlerfreunde und die Sammler und Liebhaber seiner Plastiken und seiner Zeichnungen. Am Montag wird der 1929 als Sohn eines Metzgers im Berner Lorrainequartier geborene 75 Jahre alt.

Bernhard Luginbühl ist in der Schweizer, ja sogar in der europäischen Kunstlandschaft einmalig. Niemandem sonst ist es gelungen, Tonnenschwere so konstruktiv und körpernah zugleich in immer neue Formen von Kraft zu verwandeln. Und seine Berühmtheit hat wohl noch nicht einmal ihren Zenith erreicht. Denn da ist noch Kapital: Zum einen sind die vor allem in den letzten 20 Jahren entstandenen Tagebücher, die Luginbühls Leben in sehr persönlicher Art und Weise quasi mitstenographieren, noch keineswegs so populär wie sie es sein könnten und gehen überdies laufend weiter. Zum andern gehört rund die Hälfte des seit den 50er Jahren entstandenen Gesamtwerkes immer noch dem Künstler und das werden die Erben im Verbund mit dem Markt irgendwann in Szene setzen. Und je höher die Preise, desto mehr wird sich ihr Schöpfer vom Himmel herab darüber freuen.

Vorläufig ist der Meister aber noch da, oft ein wenig wehmütig, denn eine der Charakteristiken Luginbühls war und ist, dass er stets der Kraftort seiner Freunde zu sein vermochte. Doch von den wichtigsten sind manche schon gestorben, Paul Talmann, Franz Eggenschwiler, Dieter Roth, allen voran aber Jean Tinguely. Er hat den Freunden gegeben, hat zusammen mit seiner Frau Ursi tausendfach für sie gekocht, Hektoliter von Wein und Bier bereitgestellt, Unmögliches möglich gemacht, hat seine Söhne als Handlanger, später als Mitarbeiter, „verdingt“. Er hat aber auch Entscheidendes von seinen Freunden erhalten. Seine Körperfülle, die erst in den letzten Jahren auf ärztlich Verordnung etwas schrumpfte, ist wie ein Bild für das, was er war und ist: Zentrum. Im Gegensatz zu Tinguely, Spörri & Co. war er nie ein Weltreisender, er war und ist der Ort, wohin die Freunde kamen und kommen und erzählen und ihrerseits das Neueste aus Moosseedorf, später Mötschwil in die Welt hinaustragen. Und indem sie erzählen, drehen sich die Räder – die im Kopf, die an den Skulpturen und die an der Karriere. Und das seit Jahrzehnten.

Wie man sich das vorstellen muss, beschreibt Luginbühl selbst im Vorwort zu den vor ein paar Jahren erstmals erschienenen „jeantinguelytagebuchnotizen“. „Kaum lernte ich JT kennen (1957 Anm. d. Red) kam das hasten in mein leben. in kurzer Zeit wollte JT mir das gemütliche aus meinem leben entfernen… alles das er bei mir sah wollte er zu kunst machen, mein gestell aus eisen, ein kugelspiel für meine kinder, wollte er sofort einbauen in die ausstellung „bewogen beweging“ (in Paris Anm. d. Red) und schickte mir einen brief ich solle sofort nachkommen….. als ich in mötschwil in einem bauernhaus arbeitete installierte er sich unter dem vordach und begann sofort zu arbeiten… ich stellte ihm meine Freunde vor, Handwerker, die er sofort beschäftigte….“

Ohne Zweifel hat Jean Tinguely den Ehrgeiz Luginbühls angestachelt und so wurde manche Ausstellung – von den Plastikausstellungen in Biel bis zu den Wenkenpark-Veranstaltungen in Basel – zu einer Art (Schönheits)-Konkurrenz, die in der Regel „unentschieden“ endete. In der Rezeption sprach nie jemand von „besser“ oder „schlechter“. Die Plastiken Tinguelys und Luginbühls ähneln sich bis zu einem gewissen Grad – kein Wunder buddelten sie doch oft auf denselben Schrotthalden (anfänglich häufig bei Halter in Biel). Dennoch hat man den Eindruck der eine habe den andern ohne Worte stets ermahnt, nicht zu flüchtig, nicht zu schnell voranzugehen und der andere diesen, in der Schwere die Kraft der Bewegung nicht zu vergessen.

Die grossen Ausstellungen im Museum Tinguely in Basel und im Kunstmuseum Bern haben 2003 „Luginbühl total“ in beeindruckender Art und Weise gezeigt. Als Kombination von Schwere und (männlicher) Sinnlichkeit, als Visualisierung von Kraft, nicht ohne Hang zum Tod (das BT berichtete). Hiezu erschien auch der Werkkatalog der Plastiken; ein Gewaltswerk, wie könnte es anders sein. Darin wird nicht zuletzt der Übergang von Luginbühl als Einzelkünstler zu Luginbühl als „Werkstatt“ sichtbar, entstand doch die Hälfte aller Arbeiten in den letzten 15 Jahren, in der Zeit somit als seine Söhne Iwan, Basil und Brutus immer mehr zu künstlerischen Mitarbeitern wurden, Bernhard Luginbühl immer mehr zum „Regisseur“. Was ihn wohl an seinem 75. Geburtstag mehr bewegt: Dass der Unterhalt, die Promotion und die Pflege seiner Werke weltweit auf lange Zeit gesichert ist oder dass es keinem seiner Söhne gelang, als eigenverantwortliche Künstler mehr als sippenhaftes Wohlwollen zu erreichen? Und dass vielleicht auch seine Frau Ursi das Zeug zu einer Eva Aeppli oder einer Niki de St. Phalle (den Ehefrauen Jean Tinguelys) gehabt hätte?