Biel: Diplomausstellung der Hochschule der Künste Bern (HKB) 2004

Neun künftige Künstler und Künstlerinnen?

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 20. November 2004

Neun Absolventen des Studiengangs Kunst an der HKB erhielten gestern in Biel ihr Diplom. Ihre Arbeiten – darunter weit über „Schule“ hinausweisende – sind bis Sonntag im CentrePasquArt zu sehen.

Früher erwartete man von einem Kunstakademie-Absolventen, dass er fünf Jahre arbeitet bevor er zum ersten Mal ausstellt. Heute wird von einer Absolventin des Studiengangs Kunst professionelle Ausstellungsbefähigung erwartet. Die Wochenend-Ausstellung im CentrePasquArt ist für die vier Diplomanden und fünf Diplomandinnen der Hochschule der Künste Bern die Probe aufs Exempel. Denn die Jurierung ihrer Arbeiten fand gestern vor Ort statt. Wer kann wie gut und präzise über seine Arbeit Auskunft geben? Wessen Werke vermögen einer Museumsumgebung stand zu halten? Für das Diplom (das auch schriftliche Arbeiten umfasst) waren es alle, befand die Prüfungs-Jury. Ihr gehörten neben den Studiengang-Leitern Hans Rudolf Reust und Anselm Stalder unter anderem auch Philippe Pirotte (künftiger Direktor der Kunsthalle Bern) und Léonard Cuénod (Kurator Hess Collection) als Externe an.

Erfahrungsgemäss schafft nur ein kleiner Teil der Absolventen der jährlichen Studiengänge den Sprung in die Kunstszene längerfristig. Das Kunstbrot ist hart. Wer von diesen neun dies sein wird, ist schwierig zu sagen. Denn massgebend ist nicht nur die Qualität der jetzt gezeigten Arbeiten. Massgebend sind auch Intelligenz, Wollen, Durchhalten, Kämpfen und eine gute Portion Managementqualität.

Der Rundgang ist keine vorweggenommene Weihnachtsausstellung. Er ist mehr. Denn die Aufgabe hiess, einen Raum, quasi eine kleine Einzelausstellung, zu gestalten und mit einer Dokumentation die bisherigen Arbeiten vorzustellen. Wer wie auf welche Arbeit reagiert, ist subjektiv.

Dennoch wird man nicht darum herum kommen, in einem Fall von einem Höhepunkt zu sprechen: Der 10-Minuten-Film „Ein Lächeln im Kosmos“ von Lucinda Miranda Santos würde auch in einer Kunsthalle – egal ob in Bern, Zürich oder Berlin – nachhaltig beeindrucken. Er zeigt eine junge Schauspielerin (die Hochschule der Künste in Bern ist auch Schauspielschule!), die einen philosophischen Text von Jean-François Lyotard rezitiert, in dem es um Geschlechterfragen geht, um Identität und Körper, um Hardware und Software. Aber irgendwann registriert man nur noch den differenzierten Klang der Stimme und schaut gebannt auf die den weiblichen respektive männlichen Körper kreisend umfahrende Kameraführung. Das ist nicht eine Schularbeit sondern eine professionelle (Teamwork)-Produktion. „Jetzt bin ich erschöpft und ruiniert“, ist ihr dennoch glücklicher Kommentar.

Kommt einem bei der Arbeit von Santos in Bezug auf die Kombination von Philosophie und Film vielleicht von Ferne Gary Hill in den Sinn, so sind bei anderen Arbeiten die – vielfach nicht einmal bewussten – Beeinflussungen deutlicher. So zum Beispiel beim Bieler Kaspar Bucher, dessen Objekt-Skulpturen – eine goldene Terrasse und ein schwarzes Doppel-Schaukelpferd – zwar in ihrer Klarheit überzeugen, aber doch auch sehr an vergleichbare Arbeiten der Japan-Bernerin Natsuko Tamba erinnern. Oder bei Pamela Rosenkranz, deren Dia-Projektion einer Frau, die mit emotionaler Mimik spricht ohne dass man es hört, die Beziehung zu den stummen (Video)-Musikern von Marie-José Burki nicht los wird. Auch wenn sich die Ausdruckskraft der Arbeit nichtsdestotrotz positiv einschreibt.

Zu den erinnerungsstarken Arbeiten gehört zweifellos die Installation der jüngsten Absolventin, der in Safnern aufgewachsenen Mirjam Gottier (21). Unter dem Titel „Tea-Time“ versammeln sich drei surreal verfremdete Figuren-Torsi – möglicherweise Grossmutter, Mutter und Tochter – um einen Tisch, der, wie auch der beigestellte Stuhl, ebenfalls Skulptur sind. Der Zusammenzug von Emotionalität und Körperform beeindruckt – wie schon im Frühling beim Aeschlimann-Corti-Stipendium.

Einem theoretisch noch nicht ganz fassbar umgesetzten Überbau verpflichtet sind die eher konzeptuellen Installationen von Jürg Halter („Mein plastisches Begehren“) und Urs Zahn („hey,hey,hey“). Nicht spektakulär aber experimentell mutig ist der „Swordchat“ – ein Webkunst-Projekt – der Bielerin Nadja Gubser.

Aufs Ganze gesehen ist erstaunlich wie vielfältig sich Körpereinsatz in den Arbeiten spiegelt: Bildlich bei Santos, fotografisch in der Porträtreihe „Aus bestimmter Nähe“ von Manuel Burgener, mimisch bei Rosenkranz, emotional bei Gottier, und als Körper-Reichweite in der unablässigem Denk- und Gestaltungsfluss entsprechenden „Linie“ (Zeichnung) von Simone Etter. Erstaunlich ist ferner, dass trotz Medienvielfalt die Malerei gänzlich fehlt. Trotzdem ist der Trend in Richtung Authentizität deutlich spürbar; es fehlen zum Beispiel auch die lange Zeit modischen Samplings bestehender Bilder. Was allerdings ebenso fehlt und einer gewissen Nivellierung Vorschub leistet, ist die Provokation oder gar politischer Zündstoff. Die Schweiz scheint hiezu, von Ausnahmen wie Thomas Hirschhorn einmal abgesehen, nur selten Nährboden zu sein.