Vernissagerede vom 22. September 2004 anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Lust und Design“ (Kunst Textil 2004) im Aarbergerhus in Ligerz

 Annelise Zwez

„In neue Gestalt verwandelte Wesen besingen heisst mich das Herz“, schreibt der römische Dichter Ovid im Vorwort zu den „Metamorphosen“. Ich denke, dieser kleine Satz reichte dem englischen Komponisten Benjamin Britten als Inspiration für seine „Verwandlungen“, von denen uns Christine Lüthi eben den ersten Teil spielte. Natürlich könnte auch ich jetzt den Satz aufgreifen und meine Ansprache den verwandelten Gestalten im frechen, noch gar nicht ganz gefestigten Look von Claudia Caviezel widmen oder von der Lust erzählen in einem Kleid von Sophie Scheibler eine Weile lang als Kaninchen – oder auch als „Muni“ – durch die Welt zu gehen. Ich könnte mit Bezug zu Ovid in der gemässigt modernen Sprache Brittens auf die Wechselwirkungen von Musik und konkreter Kunst und ihrer Wandlung in die Kollektionen von Zuzana Ponicanova und Patricia Collenberg hinweisen. Oder ich könnte, zeitgemäss, alles ins Virtuelle drehen und verzaubert von der Spiegelweste von Jasmina Eleta behaupten: Kleider brauchen wir nicht mehr, des „Kaisers neue“ reichen im Weltreich der digitalen Wandlungen.

Doch so pathetisch möchte ich  „Lust und Design“, den Titel der diesjährigen Herbstausstellung im Aarbergerhus in Ligerz eigentlich gar nicht verstanden wissen. Und meine damit auch im Sinne der Textil-Designerinnen zu sprechen. Ich will ihnen viel lieber erzählen, wie es zu „Lust und Design“ kam, was ich dabei erlebte und warum ich am Montagabend, als die Ausstellung ihre Gestalt zeigte, beglückt nach Hause ging.

Wie Sie vermutlich wissen, lebte eine der Pionierinnen des kreativen Umgangs mit Textilien im 20. Jahrhundert, auf der Festi ob Ligerz. Und so ist denn der „Geist“ von Elsi Giauque quasi die Leitplanke für unsere Ausstellungen. „Lust und Design“ ist die vierte ihrer Art. Wir – wir heisst eine Gruppe aus dem Umfeld Elsi Giauques und Ligerzer Kulturfreunden respektive -freundinnen – wir,also begannen mit einer kleinen Retrospektive zum 100. Geburtstag Elsi Giauques im Jahr 2000 und lancierten dann, nach dem Umbau des Hauses, den Start in die Reihe mit fünf Schülerinnen von Elsi Giauque aus ihrer Zeit als Lehrerin für textiles Gestalten an der damaligen Kunst-gewerbeschule in Zürich. Wir wussten aber schon damals, dass wir danach in die junge Szene vorstossen wollten – auch Elsi Giauque war jung, eigentlich zeitlebens jung. Und so kam es letztes Jahr zur, auch im Rückblick beeindruckenden Ausstellung „Das Kleid des Körpers und die Haut des Bildes“ mit Barbara Graf und Susan Hodel. Die „anatomischen Gewänder“ Barbara Grafs sind übrigens ab Samstag in der Städtischen Galerie für Kunst und Gestaltung in der Villa am Aabach in Uster zu sehen. Und damit kann ich gleich gestern und heute verknüpfen, denn auch diese Ausstellung beginnt eigentlich in der ein profiliertes Programm zeigenden Villa am Aabach.

Stets im Auge haltend, dass Elsi Giauque nie einen grundsätzlichen Unterschied zwischen sogenannt freier und angewandter Kunst machte, sondern in der Kraft kreativer Gestaltung das Wichtigste sah, beschlossen wir vor einem Jahr, für 2004 junge Textil-Designerinnen einzuladen. Und damit einen Bogen von Elsi Giauques Schaffen im Bereich von Stoffen und Kleidern zu heutigem Textil-Design zwischen Kunst und Mode zu spannen. Dass wir erst vorgestern beschlossen, dies auch in der Ausstellung als „pro memoria“ aufzuzeigen und dass Pia Andry, die Tochter von Elsi Giauque, und Käthi Wenger, die lang-langjährige Mitarbeiterin Elsi Giauques, blitzartig reagieren mussten, muss ich ihnen ja nicht verraten….

Den Beschluss, junge Textil-Designerinnen zu zeigen, fand ich prima, aber – eigentlich bin ich von Haus aus Kunstkritikerin und wo würde ich finden, was uns vorschwebte? In der Villa am Aabach. Die kannte ich von einem Text, den ich einmal für eine Künstlerin schrieb, die dort ausstellte. Und von Uster kam just eine Einladung mit dem Titel „betucht – Textil aktuell“ und dahinter stand die Vereinigung aktuellen Textilschaffens, die „tuchreform“. Nix wie hin. Es begeisterte mich nicht alles, aber Namen wie Zuzana Ponicanova und Patricia Collenberg respektive Jasmina Eleta blieben hängen, offensichtlich würde ich sagen. Natürlich imponierte mir hier und dort nicht primär das, was die Praktikerinnen bei anderen „Tüchern“ anzog, nämlich die materiell-handwerkliche Umsetzung, sondern der Grat zwischen textilem Material, dem Ausloten seiner Möglichkeiten und einer formalen respektive ausdrucksorientierten Gestaltung. Die Spannung zwischen Kunst und Textil eben. Konkret waren da zum Beispiel die beiden Tücher, die Jasmina Eleta auch hieher gebracht hat, Stoffe mit winzigen Zeichen, die sie als Collage erkennen lassen und mit kleinen Etiketten mit dem, ich würde sagen uns allen bekannten, Signet „H&M“. Da kommt also ein soziologisches Element durch die Hintertür mit hinein.

Schnell kam ich ins Gespräch mit Marianne Gächter und Regula Wyss, den beiden engagierten Köpfen von „tuchreform“ und wenig später haben wir hier im Haus über unser Programm und ihres im „tuchreform“-Laden in Winterthur diskutiert. Ich möchte den beiden Damen, die leider heute abend nicht hier sein können, herzlich für die Lehrstunden in Sachen Textil – aktuell danken. Dass die Installation von Claudia Caviezel oben bis letzten Samstag noch in „tuchreform“ zu sehen war, hat damit allerdings nur indirekt zu tun. Denn – sie wissen wie das ist, wenn man etwas sucht, dann kommt es plötzlich von allen Seiten – da treffe ich an einer Vernissage bei Silvia Steiner in Biel Verena Brunner – eine der Pionierinnen in Sachen zeitgenössische Kunst mit textilem Material, die seit längerem an der Hochschule für Gestaltung in Luzern tätig ist. Irgendwoher wusste sie bereits um unsere Pläne und kommt auf mich zu und sagt, was mich interessiere, würde ich in der gerade angelaufenen Austellung der Eidgenössischen Preise für Gestaltung in Lausanne finden, insbesondere meine sie die mit einem Preis bedachten Arbeiten von Claudia Caviezel. Nix wie hin. Wie sie sehen, war ich gleicher Meinung, ebenso wie die Damen von „tuchreform“. Aber parallel zu den Bundes-Ausstellung im Mudac in Lausanne, fand auch der vom Design Center Langenthal initiierte „Design Preis Schweiz“ im Kunstmuseum (im Kunstmuseum!) Solothurn statt, mit einer beachtlichen Zahl von Textil-Designerinnen, darunter Sophie Scheibler. Ihre Idee, Gegenstände wie Computer oder Kaffeekannen zu fotografieren, auf Stoff zu übertragen und als Kleid dem Körper einzuschreiben – das ist ja, vor allem auch in der tierischen Fortsetzung, die wir hier als Première sehen, das ist wirklich fast Ovid oder Britten oder etwa nicht…..?

 

So waren denn also die vier Positionen – analog den vier Räumen hier im Haus beisammen. In meinem Kopf wenigstens. In Mails und in persönlichen Gesprächen konnte ich Ihnen mein Konzept nahe bringen, sie auch kennen lernen, und sie für die Ausstellung „Lust und Design“ gewinnen. Dass sie letztlich mit so viel Engagment, Ideen und Arbeiten kommen würden, wusste ich freilich noch nicht. Dass es so ist, weiss ich erst seit anfangs dieser Woche und es ist mir ein Anliegen Sophie Scheibler, Jasmina Eleta, Claudia Caviezel und last but not least dem erfahrenen Team Ponicanova/Collenberg, mitsamt Luigi, für ihren Einsatz zu danken. Und wenn ich schon am danken bin, dann sei hier auch der Gemeinde Ligerz und der Stiftung Aarbergerhus gedankt, ohne deren finanzielles und idelles Wohlwollen die Basis fehlte, um „Kunst Textil“ zu einem wichtigen kulturellen Akzent im Ligerzer Herbst zu machen. Dank auch den Sponsoren, insbesondere der Bernischen Stiftung für angewandte Kunst, die unser Bemühen um eine Plattform für textiles Schaffen im weitesten Sinn unterstützt. Unerlässlich ist aber auch Öffentlichkeitsarbeit und insofern ist uns der grosszügige Raum für Inserate im Bieler Tagblatt, im Journal du Jura und im Biel-Bienne wertvoll. Finanzielle Beiträge – auch kleinere – sind wichtig, aber ganz entscheidend und für mich auch beglückend ist, dass unser Team in Ligerz selbst immer wieder auf Menschen zählen darf, die im letzten Moment eine Tisch-Abdeckung liefern, dafür sorgen, dass ein Fenster verdunkelt werden kann, Türen aus- und andere eingehängt werden usw. Ich hoffe – nein, ich bin überzeugt – dass die Ausstellung, die wir heute eröffnen, den Dank im Sinn von Erlebnis, von Erfahrung in sich selbst trägt.

Denn wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass das aktuelle Textil-Design zur Zeit ein unglaublich kreativer Ort ist, ein Ort, wo Experimente gewagt werden, wo Lust und Freude und Fantasie Produkte diktieren dürfen, dann liegt er hier vor – in ganz unterschiedlicher Form.

Als Recherche, wie man denn anders als gewohnt an die Arbeit mit textilen Materialien gehen kann, wie ein nochchalanter Satz „warum nähen, wenn kleben doch viel schneller geht“ zu einer erfrischenden textilen Vision werden kann. Wenn Claudia Caviezel sagt: „Mich interessiert das Entwerfen, das Improvisieren, das Werden lassen, nicht die Umsetzung und die Vermarktung von Produkten“, dann ist das eigentlich eine künstlerische Position. Wunderbar wie sie sie gleich illustrierte als sie mit ihren Bündeln unter dem Arm ankam letzten Sonntag gegen Abend. Während Hedy Martin und ich überlegten, ob wir wohl den Teppich a priori aus dem Raum nehmen sollten, dann aber doch warteten, kam die junge Designerin, schaute und zückte innert Minuten ihre Klebebandrolle und begann den Teppich in ihre Inszenierung zu integrieren. Und jetzt wirkt’s wie selbstverständlich. (In Klammer nur sei erwähnt, dass ihre Mutter dann weiter klebte – der Vater hatte schon den Transport gemacht – und ich es wunderschön finde, wie diese junge Generation so oft auf ihre Eltern zählen darf, nicht alle, aber viele; auch Sophie Scheiblers Vater war am Montag – dem Bettagmontag der Romands sei Dank – mit von der Partie und ich könnte ihnen jetzt gleich eine ganze Liste von ähnlichen Koproduktionen, bis zurück zu Pipilotti Rist, vorlegen; aber das, wie erwähnt, nur in Klammer.)

Vier Positionen, habe ich vielmehr gesagt, und ganz verschiedene. Sophie Scheibler, die – da sind wir fast ein bisschen stolz darauf – hier bei uns in Ligerz ihre erste grosse, eigene Kollektion präsentiert – ihr ist es gelungen, ihre Idee des Fotografischen, des Formalen, des Körperlichen auf zwei Ebenen, weiter voranzutreiben. Und dabei Eckpunkte zu berühren, die auf der einen Seite die Performance tangieren – Ich als Kaninchen, Ich als Berner Sennenhund, Ich als Katze – auf der anderen Seite, in anderen Stücken das Motivische so „verrätselhaften“, dass es als köstliches Geheimnis zum tragbaren Shirt oder Kleid wird.

Zuzana Ponicanova und Patricia Collenberg stehen in der Ausstellung quasi für den Schritt in den Markt. Ihr Label hat in Designer-Kreisen bereits einen Namen und was sie uns zeigen sind Beispiele, die einen Bogen schlagen von einer Kollektion zur anderen, vom Sommer zum Winter auch, was heute, am Herbstanfang, fast symbolisch ist. Was ich bewundere, ist, wie es den beiden gelingt eine Sprache zu formulieren, die sowohl am Modell, an den verwendeten Stoffen wie an Farbe und Form, klassischen Kunstbegriffen, Mass nehmen und dabei den Menschen, der die Modelle trägt, nie aus den Augen verliert. Eine Sprache, die sich gleichsam einer inneren Struktur entlang weitet. Das kritische Bewusstsein, was in diesem Sprachschatz möglich ist und was nicht, beeindruckt mich.

Wichtig ist mir in dieser Ausstellung aber auch die Position von Jasmina Eleta, die konsequent ein inhaltliches Konzept mit integriert. Obwohl sie mit der Dia-Installation, die sie oben sehen, und die ihrer Diplom-Arbeit in Zürich entspricht, nicht auf einhellige Zustimmung stiess. „Mach doch einfach eine Balkan-Kollektion“, hiess es in der Schule. Aber das wollte sie nicht, denn ihre Frage hiess – wie weit sind unsere Kleider mit Kultur verbunden und wie nehmen wir sie mit, wenn wir in eine andere Kultur wechseln. Oder: Warum ist „H&M“ Kult? Und für wen kleiden wir uns eigentlich? Welches Modejournal setzt unsere Masstäbe. Darum hat sie auch gleich Modejournale verschnipselt und zum Beispiel Finger daraus geformt, die sie uns aufs T-Shirt gedruckt, um den Körper legt.  Oder – quasi das Show-Piece der Ausstellung – sie lässt eine Spiegelweste um sich selbst drehen und fragt – wie eingangs schon angedeutet – nach der Wechselwirkung mit „des Kaisers neuen Kleidern“.

 

Es bleibt mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass insbesondere Stücke in diesem Raum verkäuflich sind, dass man sie probieren darf und, gegen Bezahlung, auch gleich mitnehmen. Andere, oben, von Sophie Scheibler insbesondere, die noch Unikate sind, kann man bestellen.

Träumen Sie und verwandeln sich, frei nach Ovid….