Der Realität der Gefühle Form geben

Kunsthaus Zürich: Maria Lassnig. Bis 29.02.2004

Maria Lassnig (84): Sie ist eine der grössten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Noch bis zum 29. Februar ist eine repräsentative Auswahl von Selbstporträts im Kunsthaus Zürich zu sehen.

Maria Lassnig erntet heute, was sie als Pionierin gesät hat. 2002 erhielt sie die mit 120000 Franken höchstdotierte Auszeichnung für lebende Künstler: Den Roswitha Haftmann Preis. Die damit verbundene, vom Berner Toni Stooss kuratierte Ausstellung ist noch bis zum 29. Februar im Parterre-Saal des Zürcher Kunsthauses zu sehen. Damit sind zur Zeit gleich zwei herausragende Frauenfiguren der Kunst des 20. Jahrhunderts unter dem selben Dach vereint (die Ausstellung Georgia O’Keeffe dauert noch bis zum 1. Februar).

Die 1919 in Kärnten geborene Maria Lassnig gehört allerdings deutlich einer späteren Generation an als O’Keeffe (1887-1986) und ist an der Basis vom Wiener Expressionismus (Kokoschka, Schiele, Gerstl, Schönberg) geprägt. Sie nutzt die parallel zu Sigmund Freuds Thesen entstandene Malerei indes nicht für (männliche) Projektionen, sondern sucht ihre Bilder im eigenen Körper. Dabei, und das ist entscheidend, entsteht nicht „Bauch-Malerei“, sondern Figurationen, die Resultat eines intensiv recherchierten Wahrnehmungsprozesses sind. Nicht das anatomische Aussenbild interessiert sie, sondern die Formen der Gefühle, die sie in „meditativer Gymnastik“, wie Ludmila Vachtova im Katalogtext träf schreibt, in sich auslotet und in pinselstrich-betonte Malerei umsetzt. Körperbewusstseins-Malerei nennt sie es.

In den Schoss fiel sie ihr nicht. Lassnig hat, nachdem sie sich 1961 von Österreich verabschiedete, jahrelang allein und kaum beachtet – zunächst in Paris, dann in New York – an ihrer Vision gearbeitet. Erst um 1980, als sie Österreich zusammen mit Valie Export an der Biennale in Venedig vertritt, wird ihre Pionierrolle in Bezug auf die ich-bewusste Kunst von Frauen wahrgenommen und beeinflusst in der Folge unzählige junge Künstlerinnen, später auch Künstler.

In der Schweiz wurde das Werk Lassnigs erstmals 1989 in Luzern umfassend gezeigt; es folgten 1995 Arbeiten auf Papier im Kunstmuseum Bern und ein neuer Bildzyklus 1997 in der Kunsthalle Bern. In Zürich „nur“ eine Auswahl von Selbstporträts aus den letzten 10 Jahren zu zeigen, ist in gewissem Sinn eine verpasste Chance. Dennoch zeigt die Ausstellung mit dem Titel „Verschiedene Arten des Seins“ auch im Kleinen eindrücklich, wie Lassnig mit dem Material Körper umzugehen weiss, um Trauer, Melancholie, Wut und Desillusionierung auszudrücken.

Mitentscheidend für die Kraft des Ausdrucks ist zweifellos der Charakter der Künstlerin, die bis heute, aller Anerkennung zum Trotz, nicht ruht, ihr psychisches Ich höchst sarkastisch, kritisch und liebeshungrig zugleich zu erforschen. Ohne diesen fortdauernden, oft widersprüchlichen Stachel, den sie gleichermassen zu lieben wie zu hassen scheint, wäre die in jedem Bild neue und nie in die Karikatur abgleitende Annäherung an den eigenen Körper nicht denkbar. Dass sie dabei auch vor dem Alter nicht zurückschreckt, versteht sich für eine Lassnig von selbst. Die Bildtitel erzählen, was sie bewegt: „Illusion von den versäumten Heiraten“, „Selbstportrait mit Kochtopf“, „Fegefeuer auf Erden“, „Selbst mit Meerschweinchen“, „Ich die gute Hirtin“. Mag sein, dass sich der letztgenannte Titel auf ihre langjährige Tätigkeit als Professorin an der Kunsthochschule in Wien bezieht.

Man hat Maria Lassnig zuweilen mit Francis Bacon (1909-1992) verglichen. Doch das Leidende, Gequälte, Zerstörerische, das die Körper-Raum-Bilder des berühmten Engländers kenntzeichnet, ist nicht Lassnigs Tour. Zwar malt auch sie sich meist nackt – wie könnte es bei ihrer Thematik anders sein – doch ist da im breiten, entschiedenen Pinselgestus immer eine Portion humorvoller Lust, sich selbst schonungslos, aber mit viel Farbe, auf die Leinwand zu pinseln, als „Froschkönigin“, als „Maschinenfrau“ oder „Sciencefiction Selbstporträt“. Und gerade das erlaubt es Betrachterinnen – auch Betrachtern? – Lassnigs Bilder nicht nur zu sehen, sondern auch in sich selbst zu spüren.