„I need you“ im CentrePasquArt in Biel. 2004

Eine Ausstellung, die Publikum braucht

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 21.Juni 2004

„I need you“ ist in der Museumslandschaft weit herum die jüngste, die frechste, die unterhaltendste Ausstellung des Sommers 2004. Und dennoch nicht dumm.

Wer schon immer sagte, Kunst sei zu „hoch“ für ihn, muss jetzt ins Centre PasquArt nach Biel. Nicht weil da Installationen für bescheidene Gemüter gezeigt werden, sondern weil diese Kunst über weite Strecken anders ist. Sie sucht den direkten Kontakt mit dem Publikum, mehr noch, sie funktioniert nur mit dem Publikum. Was ist eine Fussballmannschaft ohne Spieler? Was ist eine „Unbuilt City“, die niemand Lust hat zu bauen? Was soll ein Video-Game, ohne dass jemand mit dem Cursor durch die Räume rast und im entscheidenden Moment auf die Maus clickt?

Hat die Kunst endlich gemerkt, dass im Sport respektive im Unterhaltungs-Geschäft mehr zu holen ist als im intellektuellen Diskurs? Nein. Zum einen war und ist Kunst nie so einseitig ernsthaft, wie man sie oft macht – Künstler sind vielfach grosse Geniesser – zum andern geht es natürlich auch hier um Diskurse, darum zu merken, was man tut und was man auslöst – real und im übertragenen Sinn. Ein Beispiel: Beat Brogle hat drei Internet-Stationen als Bildsuchmaschinen programmiert. Was tippt man ein? Den eigenen Namen! Doch da kommt nichts, „Madonna“ oder “ George W. Bush“ hingegen vieltausendfach; auf der Projektionsebene flimmerts. Man kanns dabei bewenden lassen, oder nachdenken, über den Reflex, sich selbst im Web zu suchen, über Kunst als Bildmedium oder die Medien, die immer mehr Bildmaschinen werden.

Ganz anders, aber räumlich nicht weit weg: Das mit Hanfschnur verspannte Holzrad der Künstlergruppe „Airline“; es hängt von der Decke in den Raum. Man kann es mit dem eigenen Körper in Schwung bringen; es dreht Kreise; so einfach, so schön. Und was heisst das jetzt?

Dolores Denaro, Beate Engel (Stadtgalerie Bern) und Bernhard Bischof (Kurator/Galerist) haben Künstler und Künstlerinnen eingeladen, welche die Palette von „Kunst und Publikum“ weitest ausloten. Und dabei weder Geschichtliches noch die Internationalität des Themas ausser Acht lassen. Es war in den 70er-Jahren, dass bildende Künstlerinnen begannen, ein Du in ihre Kunst einzubeziehen. In Biel präsent ist unter anderem eine Arbeit von Laurie Anderson von 1975 ( erneuert 1997): „At the Shrink’s“. Sie zeigt, winzig klein, eine geschrumpfte Figur, verlebendigt durch eine Video-Projektion. Diese erzählt in einem 3-Minuten-Loop von einer psychiatrischen Therapie, in der Rollentausch zur Heilung führte. Die Arbeit ist also Thema im Thema: Perspektivenwechsel; das Publikum, das die Kunst macht – indem es agiert. Ab den 90er-Jahren erfährt das Interaktive in der bildenden Kunst einen bis heute ungebrochenen Boom. „I need you“ ist ein Spiegel davon.

Dass es dem Kuratoren-Trio (auch hier bewusst Zusammenarbeit) gelang, selbst im internationalen Feld Top-Scores zu landen, ist höchst erfreulich. Zu sehen ist zum Beispiel eine Video-Arbeit des Mexikaners Santiago Sierra – einem der meistdiskutierten zeitgenössischen Künstler. Und zwar als Primeur! Die (für Sierra typische) Geschichte erzählt vom Backen eines Kubikmeters Brot, den er Obdachlosen in Mexico-City zum Frühstück bringt. Wesentlich ist dabei, dass Sierra alle Beteiligten (stets Randständige) für ihre Mitarbeit an seiner Kunst entlöhnt. In Biel gehört die Arbeit zum Kapitel „Dokumentationen“, das heisst sie erzählt von einer Interaktion, ist sie nicht selbst. Wie es gesamthaft nicht um Allotria geht, sondern um eine Vielfalt von Prozessen.

So wird auch nicht vergessen, dass Kunst schon immer Aktion und Reaktion war – was ist ein Bild, das nie jemand gesehen hat? Hierhin gehört zum Beispiel Ruth Bucks Arbeit. „Hirnrinde“, „Schamlippen“ hat sie in Grossbuchstaben auf die Wände des Treppenhauses appliziert. Was machen wir? Schnell wegschauen oder ein Bild oder kombinieren wir blitzartig, dass hier Kopf und Körper gemeint sind, die beide in Interaktion mit der Um-Welt stehen?

Die Ausstellung umfasst nicht weniger als 27 Projekte. Nach der letztjährigen Sicht auf die junge Kunstszene Schweiz („c’est le moment“) ist es dem PasquArt erneut gelungen, eine (inter)-national bedeutsame am Puls der Zeit agierende Ausstellung zu realisieren. Eine Ausstellung, die selbst eine Performance ist (Rahmenprogramm). Umso bedauerlicher ist es, dass es nicht gelungen ist, einen Sponsor für einen Katalog zu finden.