Kunsthalle Bern: Diplom Hochschule der Künste.2005

Wie die Fiktion die Realität verführt

www.annelisezwez.ch  Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 14. Sept. 2005

Fünf Künstlerinnen und einen Künstler entlässt die Hochschule der Künste heuer in Berns Kunstszene. Ihre Diplomarbeit: Eine Ausstellung in der Kunsthalle.

Letztes Jahr war es eine Wochenend-Schau im Centre PasquArt in Biel – jetzt ist die Diplomausstellung des Studiengangs bildende Kunst der Hochschule der Künste (HKB) eine „ausgewachsene“ Berner Ausstellung in der Kunsthalle, um Gäste erweitert. Kein Zweifel: Die HKB will sich als treibende Kraft für die junge Schweizer Kunstszene etablieren. Auch wenn noch keineswegs sicher ist, ob das Potential der sechs diplomierten Künstler und Künstlerinnen für eine Karriere ausreicht, so gibt die Präsentation doch einen spannenden Einblick in die Befindlichkeit der jüngsten Generation.

Philippe Pirotte, Leiter der Kunsthalle, liess es sich nicht nehmen die Ausstellung zu kuratieren, nachdem er letztes Jahr bereits als externer Diplom-Juror amtete. Von ihm stammt den auch der Titel der Ausstellung: „Elixiere“, Zaubertränke. Darin ist für ihn der rote Faden angedeutet, der die inhaltlich und medial verschiedenartigsten Arbeiten vernetzt, nämlich ein romantisches, ein märchenartiges Moment, das Fiktion als Kraft einsetzt, um die Realität aus den Angeln zu heben. Paradebeispiele hiefür sind das Video „Die Veranda“ von Ramon Zürcher und die digitale Fotomontage „Echappée“ von Annaïk Pitteloud. Beides Arbeiten, die heutige technische Möglichkeiten als Methode einsetzen.

Ramon Zürcher, der auch in der Ausstellung des Kiefer-Hablitzel-Stipendiums im PasquArt (bis 18.9.) vertreten ist, lässt ein Mädchen unwirkliche Dinge tun – zwei dürre Äste durch den Körper stossen, um sie als Beine zu nutzen oder den Kopf mit (Zauber)hut vom Körper abtrennen. Blut fliesst keines, Fiktion und Realität sind im Film dasselbe. Die vier neue skandinavische Einflüsse verratenden Videos in Biel und Bern verblüffen durch Vielfalt bei gleicher Stossrichtung, wenn auch die thematische Tiefe (noch) nicht über „Endstation Sehnsucht“ hinausgeht.
Annaïk Pitteloud zeigt drei, teils mehrteilige, Arbeiten; eine fürs Diplom, zwei als Ausstellungsbeiträge, was auf die Struktur der Ausstellung verweist, die mehr als „Diplom“ sein will (und ist). Weil „Echappée“ so verführerisch ist, haben die urbanen Fiktionen Mühe, sich gleich auf zu setzen. Wie Pitteloud indes Renaissance-Malerei in ein fotografisches Bühnenstück entrückt, ist überwältigend.

Auf weniger spektakuläre, dennoch aber sehr subtile Art, gibt Egle Rieder der Fiktion Raum. Ihre gegenüberliegenden Projektionen zeigen minimal animierte Neon-Röhren – hier weiss, dort schwarz – die ein fiktives Kreuz bilden und in Bleistift-Landschaften ihre Fortsetzung finden. Für Malerei und Skulptur stehen Milena Seiler und Stefanie Senn – beide eigenständig und doch inhaltlich und medial bedrängt von der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Die einzige, die Fiktion explizit in gesellschaftlichen Bezug stellt, ist Salomé Bäumlin, deren „Leichentücher“ – geometrische Farbfelder von angedeuteter Körperlichkeit auf weissem Satin – emotionale und spirituelle Felder öffnen. Überdies weitet sie durch die Einladung an das Publikum, eigene Felder zu entwerfen, Malerei in Installation; vielleicht ist es letztlich die nachhaltigste Arbeit der Ausstellung.

Sinnvoll ist der Einbezug von Lara Stanic, Diplomandin des Studiengangs Musik und Medienkunst. Ihr „Klangsegel“ respektive das „Konzertstück mit Querflöte“ stehen nicht nur für den multimedialen Charakter der Berner Hochschule der Künste, sie sind auch ein faszinierendes Crossover-Beispiel. Die Präsenz von Nadja Gubser und Urs Zahn, beides letztjährige Diplomanden, wirkt hingegen etwas willkürlich, quasi verschleiernd, dass 2005 mit sechs Absolventen ein kleiner Jahrgang ist (2004 waren es neun, 2006 werden es zwölf sein).