Licht und Schatten

Helmar Lerski in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur. Bieler Tagblatt 15_03_2005

Parallel zu Rineke Dijkstra im Fotomuseum zeigt die Schweizer Fotostiftung am selben Ort „Metamorphosen des Gesichts“ von Helmar Lerski (1871-1956).

Auf der Dachterrasse eines Gebäudes in Tel Aviv realisiert der Zürcher Helmar Lerski 1936 im Alter von 62 Jahren sein fotografisches „Oeuvre majeure“. Er fotografiert das Gesicht des vor Ort als Architekt arbeitenden jungen Berners Leo Uschatz nicht weniger als 140 Mal. Es geht ihm dabei nicht um den Menschen, sondern um die fotografischen Möglichkeiten der Gestaltung mit Licht und Schatten. Mit Lampen und Spiegeln leuchtet er das Gesicht seines Modells aus, belichtet die Glasplatte zum Teil bis 15 Sekunden lang, um immer neue „skulpturale“ Wirkungen zu erzielen.

Von Anfang an stossen die von der Lichtführung in Stummfilmen beeinflussten „Metamorphosen“ auf geteilte Reaktionen: Die einen sind fasziniert von dem nie zuvor erreichten Gestaltungs-Spektrum, von der Art und Weise wie Lerski mit der Kamera zu modellieren vermag. Die andern lehnen den manipulativen Umgang mit dem menschlichen Antlitz ab. Aus politischen Gründen nach Zürich zurückgekehrt, träumt Lerski von einer Publikation, doch sie kommt nie zustande. Auch später wird das fotografische Werk des 1956 verstorbenen „Kommunisten“ trotz eines sich engagierenden Freundeskreises kaum gewürdigt. So gelangt der Nachlass schliesslich ins Folkwang Museum in Essen. Von wo die Schweizer Fotostiftung die jetzige Ausstellung für Winterthur übernommen hat.

Hat die Schweiz wieder einmal etwas verpasst? Vielleicht, doch erstaunlicherweise waren die Reaktionen an der Vernissage nicht anders als vor 60 Jahren – ambivalent. Der Bewunderung ob der Konsequenz – geradezu der Besessenheit – die Ränder seiner Vision auszuloten, steht auch heute die Zurückhaltung gegenüber dem rein „materiellen“ Umgang des Fotografen mit seinem Modell gegenüber. Leo Uschatz, der wie Lerski bald in die Schweiz zurückkehrte, erfuhr bezeichnenderweise erst rund 50 Jahre später vom Resultat des damaligen Projektes. Im 2002 publizierten Essener Katalog kommt der 2004 verstorbene Berner nun jedoch als Zeitzeuge ausführlich zu Wort.