Shariat Nashat Marc Bauer Alexia Walther Solothurn 2005

Verführung oder die Macht des Bildes

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 26. Januar 2005

Was besticht an der Tripel-Ausstellung von Shahryar Nashat, Marc Bauer und Alexia Walther im Kunstmuseum Solothurn, ist die emotionale Dichte, die einem roten Faden gleich die drei vernetzten Geschichten durchzieht.

Wer junge Schweizer Kunst gelegentlich mit „oberflächlich“ abqualifiziert, hat im Kunstmuseum Solothurn die Gelegenheit etwas anderes zu erleben. Und nicht untypisch kommen die drei Künstler aus Genf. In den 1990er-Jahren brachte die „Ecole Supérieure d’Art Visuel“ zahlreiche wichtige Kunstschaffende hervor. Man kann vielleicht sogar von einer Genfer Schule sprechen, die gekenntzeichnet ist von einem sehr bewussten Umgang mit der Macht der Bilder zwischen Verführung und erzählerischer Suggestion, szenisch umgesetzt in Film, Fotografie und Zeichnung. Neben Shahryar Nashat, Marc Bauer und Alexia Walther, die 1999 bei Anselm Stalder respektive Silvie Défraoui abschlossen und sich nun für die Ausstellung „Overthrowing the King in His Own Mind“ verbündeten, sind vor allem die wenige Jahre älteren Emanuelle Antille (Biennale Venedig 2003) und Frédéric Moser&Philippe Schwinger (Biennale Sao Paulo 2004) zu nennen.

Die Ausstellung in Solothurn zeigt mit sinnlicher Präzision und analytischem Spürsinn, was damit gemeint sein kann. Es fängt damit an, dass der gewohnte Zugang zum Parterre West des Museums durch einen hölzernen Schalltrichter versperrt ist. Später, von innen, wird man darin unter anderem Zarah Leander singen hören. Zunächst ist aber der Hintereingang zu nehmen, um in der Mitte der Ausstellung zwingend ins Graphische Kabinett absteigen und schliesslich rückwärts an den Anfang zurückkehren zu müssen. Nicht ohne den gläsernen Blick der jungen männlichen Gestalt am Ende mit der kleinen Zeichnung des offensichtlich selben Jünglings am Anfang zu vergleichen. Hat sich die angespannte Mischung aus Neugierde und Angst zu Beginn möglicherweise inzwischen aufgelöst?

Nein, aufgelöst wird nichts, wohl aber das Bild, wie es der Titel sagt, mit seinen eigenen Mitteln unterlaufen. So wie im (Agenten)-Video „Der Optimist“ nur Spannung aufgebaut, aber nichts verraten wird, so stellen sich überall Fragen, auf die man mit tausend Geschichten antworten könnte, aber nie weiss, welches die richtige ist. Damit wird indirekt auch ihre Macht geköpft. Man weiss nicht, soll man sich in die beiden gezäumten Schimmel, die sich im Schwarz-Weiss-Film „La notte“ in einem einsamen Park liegend (!) ausruhen, „verlieben“ oder warten bis der „Feldherr“ kommt, ruft, aufsteigt und davonprescht?
Souverän spielen die drei mit emotionsgeladenen Bildern, die sie erfinden oder sich aus Filmen und Fotoarchiven aneignen und umdeuten. Ohne die je eigenen künstlerischen Sprachen aufzugeben, saugen sie die Ausstellungsbesuchenden in ein Wechselbad ein, das Vertrautes und Fremdes zu Ungewissem potenziert. Spannend wie ein Film, wie ein Roman und doch ganz Bild. Die genannte Szene mit den beiden Pferden zum Beispiel ist eine Nachstellung der letzten fünf Minuten von Antonionis Film „La notte“ von 1961, wo sich das Liebespaar (Jeanne Moreau/Marcello Mastroianni) im Borghesepark in Rom schliesslich trennen. Alexia Walthers Version ist keine Nacherzählung, sondern ein Bild, das mit dramaturgischer Rafinesse (nur dressierte Pferde legen sich hin!) die ambivalenten Gefühle evoziert, die sie selbst beim Schauen des Filmes empfand.

Mit den Mitteln des Persönlichen hinter die Kulissen von Fakten und Sichtbarkeiten vorzudringen, durchläuft auch die künstlerische Methode von Marc Bauer, der unter anderem anhand von zeichnerisch interpretierten Familienfotos seinen italienischen Grossvater mit Blick auf den Faschismus der 30er-Jahre befrägt.

Im Vergleich greift Shahryar Nashat weniger in die gewählten Bilder ein, überzieht aber zum Beispiel die dreiteilig projizierte Mussolini-Architektur des römischen Museums für Stadtgeschichte mit verschiedenen Farbfiltern und evoziert so „gefärbte“ Blicke. („Rom“ hier und dort gründet darin, dass Walther und Nashat 02/03 Stipendiaten im Istituto Svizzero waren.)

Zu zwei Malen vernetzen sich die drei Positionen. Nicht zum Gemeinschaftswerk, sondern zum Puzzle, welches das unterschwellig Gemeinsame verdeutlicht. Insbesondere in dem mit grossformatigen Fotokopien von Film- und Fotografie-Stills respektive Zeichnungen tapezierten Saal, der durch die Einheitlichkeit der Erscheinung die Vergleichbarkeiten bezüglich Choreographie, Komposition und Sprache hervorhebt. Analog die Audio-Ebene, die als eine Art Aufforderung zum Zusammenhören der einzelnen Teile im erwähnten Schalltrichter läuft.

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