Wie Anti-Haltung zu Weltkunst wurde

Gerhard Richters Bilder „ohne Farbe“ im Museum Franz Gertsch in Burgdorf. Bis 8. Mai 2005

Mit seinen grauen, unscharfen Bildern nach Fotografien läutete Gerhard Richter 1962 die Diskussion um die Wahrnehmung von Bildern ein. „Ohne Farbe“ ist denn auch der Titel einer erstaunlichen Richter-Schau in Burgdorf.

Die Kunstwelt haucht den Namen: Gerhard Richter – der Grosse. Der 73-jährige Deutsche gilt sowohl in der Kunsttheorie wie auf dem Kunstmarkt als einer, wenn ich der bedeutendste Künstler der Gegenwart. Superlative sind mit Vorsicht zu geniessen. Aufschlussreicher als sie nachzuplappern ist die Frage, warum es sie gibt. Umsomehr als es bei Gerhard Richter eine mögliche Antwort gibt: Der 1932 in Dresden geborene durchlief in den 1950er-Jahren eine klassische (ostdeutsche) Maler-Ausbildung. Diese klassische Prägung hat er gewandelt, aber nie aufgegeben. Sein Werk ist dadurch sowohl zeitgenössisch wie auch in gewissem Sinn traditionell. Das mögen Sammler sehr. Ein Beuys-Pamphlet an der Wand ist nicht halb so dekorativ wie ein Richter. Dennoch haben die beiden Künstler sehr wohl miteinander zu tun.

Der Reihe nach: 1959 reist Gerhard Richter (der eiserne Vorhang ist noch durchlässig) an die Documenta nach Kassel. Den abstrakten Expressionisten Jackson Pollock und den Leinwand-Schlitzer Lucio Fontana, die er da für sich entdeckt, verweisen ihn auf Ausdruck und Konzept. 1961 (quasi in letzter Minute) zieht Richter mit seiner Frau nach Düsseldorf und studiert daselbst zwei Jahre an der Akademie; zwar nicht bei Joseph Beuys, der da ab 1961 lehrt, doch ist dessen Maxime: „An der Schule wird diskutiert und nicht gemalt“ zweifellos eine Triebfeder, die Richter einen Weg einschlagen lässt, der Diskussion und Malerei verbindet. Und das gelingt ihm, sowohl theoretisch wie malerisch. Er macht das Bild zum Ort der Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Bildes als Malerei.

Bereits 1962 malt Gerhard Richter die ersten grauen, unscharfen Bilder nach schwarz-weiss-Fotografien aus Zeitungen, aus Fotoalben und Kunstbüchern. Sie begründen die Bedeutung, die man dem Künstler heute beimisst. Denn Richter geht sehr bewusst vor: Meine Kunst hat „nichts mit Malerei, nichts mit Komposition, nichts mit Farbe“ zu tun. Sie übersetzt lediglich ein Abbild in ein weiteres Abbild und macht dadurch die Distanz zur Realität zum Thema; als Bild. Wohingegen früher die Malerei die Verbindung von Motiv und Realität intensivieren sollte.
Die Auseinandersetzung mit dem Medium als Methode, die heute zum Pflichtstoff jedes Kunstschülers und jeder Kunstgeschichte-Studentin gehört, ist damals völlig neu. Anders als Andy Warhol wenig später geht es Richter aber immer um das Bild und die Malerei und die Wahrnehmung respektive Spieglung des einen im andern. Er tut dies nicht trocken und nicht abstrakt, sondern kombiniert mit einer sehr persönlichen Lust an den Motiven, die Familiäres ebenso einschliessen wie die Landschaft, die Gegenstandswelt, die Kunst- und die Zeitgeschichte. Theoretisches und Emotionales bleiben dadurch in Wechselwirkung, Distanz und Verführung schliessen sich nicht aus. Gerade dieser Punkt ist vermutlich einer der Schlüssel, warum Richter sowohl von der Theorie, den Museen und dem Markt gleichermassen geliebt wird.

Dem Museum Franz Gertsch in Burgdorf ist es in den drei Jahren seit seiner Eröffnung in unerwartetem Mass gelungen, sich als Museum für das Werk Franz Gertschs, aber auch weit darüber hinaus, zu profilieren. Das beweisen indirekt die wichtigen Leihgaben, unter anderem der Neuen Nationalgalerie Berlin, welche für die Gerhard Richter-Schau „ohne Farbe“ erhielt. Mit 30 Werken kann Burgdorf zwar nicht mit den parallel laufenden Ausstellungen im Louisiana Museum in Humblebaek (DK) und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf konkurrieren, aber von den drei Richter-Präsentationen in der Schweiz in den letzten zwei Jahren (Winterthur/Luzern) ist es die aufschlussreichste. Indem sie mit der Beschränkung auf den wichtigen Verzicht auf Farbe, vor allem im Frühwerk des Künstlers, einen grundsätzlichen Einstieg in Richters Werk ermöglicht.

Burgdorf hat nicht alles erhalten, was es sich wünschte – auch zu meinen, Richter habe sich selbst gross darum gekümmert, hiesse die Realität ignorieren. Die Ausstellung zeigt aber mit Bildern wie den «Waldstücken» und den «Porträts» von 1964, dem illusionistischen «Vorhang» von 1965, der «Olympia» von 1967 massgebliche Frühwerke. Und spannt den Bogen «ohne Farbe» bis hin zu den «Grauen Spiegeln» von 1992, die 2003 im Rahmen der «Hess Collection» im Centre PasquArt in Biel zu sehen waren.

Auf ein Bild ist Direktor Reinhard Spieler besonders stolz: Auf die «Decke» (englisch: «Blanket»), das in der Rakeltechnik der 80er-Jahre ein Zeitungsbild der erhängten RAF-Terroristin Gudrun Ensslin mit einem Schwarz-Weiss-«Vorhang» zudeckt und damit das Kapitel Porträt in der Ausstellung an den äussersten Rand bringt. Ergänzt ist die Schau um spätere Grau-Bilder, die als Summe aller Farben zugleich opak sind, wie durch Lichtreflektionen den Malgestus sichtbar machen.