Yoko Ono migros museum Zürich 2005

Höre auf (d)einen Herzschlag

www.annelisezwez.ch                                 Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 8. Juni 2005

Als Witwe John Lenons ist Yoko Ono weltbekannt. Im migros museum für Gegenwartskunst in Zürich geht es nicht um die Beatles, wenig um Musik, aber zentral um die Vision der Künstlerin.

„Die Körper der Menschen, die uns im Leben vorangegangen sind, bilden einen Hügel; auf diesem gehen wir“, sagte Yoko Ono (72) an der Pressekonferenz im migros museum für Gegenwartskunst im Zürcher Löwenbräu-Areal. Nach Heidi Bucher (1926-1993) Ende letzten Jahres (das BT berichtete) zeigt Direktorin Heike Munder (34) erneut das Schaffen einer Pionier-Frau. Werke aus 50 Jahren(!) vereinigt Yoko Onos Ausstellung „Horizontal memories“.

1955, zwei Jahre nach der Übersiedlung von Tokio nach New York, proklamiert die 22-jährige Studentin der zeitgenössischen Komposition und Poesie ihr erstes, sogenanntes, „Instruction piece“: „Light a match and watch till it goes out“ (Zünde ein Streichholz an und schaue bis es erlöscht). Im 1966 gedrehten Fünfminuten-Video „Film No. 1 (Match)“ ist die Instruktion umgesetzt, als Aufforderung an die Betrachtenden und von der Konzept-Künstlerin als „Malerei“ bezeichnet. Es ist in den 1960ern bereits eingekreist von zahlreichen weiteren Instruktions-Stücken. Dem „Beat-Piece“ zum Beispiel: „Listen to a heart beat“, oder dem „Painting for the wind“: „Schneide ein Loch in einen mit Samen gefüllten Sack und stelle ihn dahin, wo der Wind zu kommt“.

Die Ausstellung in Zürich ist eine Teil-Übernahme des „Astrup Fearnley Museet für Moderne Kunst“ in Oslo. Die kleinere Zürcher Version betont den Bogen von den frühen Arbeiten zu heute, in dem sie die Trauer- und Klage-Jahre nach dem Mord an John Lenon (1980) ausklammert. Das macht insofern Sinn, als die heute 72-jährige Künstlerin viele alte Arbeiten reaktiviert oder reinterpretiert hat respektive neue, Bezug nehmende hinzugefügt. So sind zum Beispiel die beiden viel zitierten Cut-Piece-Performances einander vis-à-vis projiziert. Der eine Video-Loop datiert von 1965, der andere von 2003. In beiden sitzt die Künstlerin, in wenig mehr als schwarzer Unterwäsche, auf einem Stuhl und lässt sich von den Performance-Teilnehmern Stück um Stück ihrer Kleidung abschneiden. „Der Unterschied“, so die Künstlerin in dem von Oslo produzierten Katalog, „liegt darin, dass die erste Performance aus einer Situation des Aufruhrs und des Zorns entstanden ist, die zweite als Ausdruck meiner unglaublichen Liebe zur Welt.“ Tatsächlich ist erstere als Demonstration gegen den Vietnamkrieg zu verstehen, während die zweite die Aufforderung enthält, das „Cut Piece“ jemandem zu senden, den man liebe.

Die Performance von 1965 wurde vielfach feministisch interpretiert, was insofern stimmt, als Yoko Ono sehr früh als Frau in der Kunst in Erscheinung tritt. Eine sexuelle Äusserung zu „Cut Piece“ gibt es von Yoko Ono indes nicht. Damals und heute ist hingegen mit zu denken, dass die Künstlerin in zen-buddhistischer Tradition aufgewachsen ist und ihr das Rituelle – auch das auf Dematerialisation Ausgerichtete – der fernöstlichen Kultur sowohl in ihren Performances wie in ihren Konzepten massgeblich entgegenkam und – kommt.

Am Abend vor der Vernissage gab Yoko Ono im „Schiffsbau“ eine Performance. Wie seit den Fluxus-Zeiten war diese auf Interaktion mit dem Publikum ausgerichtet. Unter anderem übte sie mit den Anwesenden, was auch das Video „Onochord“ (2005) in der Ausstellung fordert, nämlich mit einer der in einer Schüssel angebotenen Mini-Taschenlampen im Dreivierteltakt „I love you“ in die Welt zu blinken. Die Frage, ob das nun Vision sei oder schlicht banal, ist nicht so einfach zu beantworten. Dennoch: Würden alle danach handeln, wäre das der Weltfrieden. Und als Missionarin eines solchen versteht sich Yoko Ono durch ihr ganzes Werk hindurch. In „Cut Piece“ ebenso wie im verblüffend jung wirkenden „Film No. 4 (Bottoms)“ von 1966/68, der 84 nackte, gehende „Hintern“ zeigt. Die Künstlerin spricht damit ebenso die von ihr stets geforderte Aktivität an wie Gemeinschaftliches aller aufrecht Gehenden.

Yoko Onos Schaffen ist indes nicht nur extravertiert, sondern findet der Titel gebenden Foto-Arbeit „Horizontal memories“ (1997/2005) auch eine sehr eindringliche, nach innen gekehrte Seite. Gefundene Fotos aus verschiedenen Zeiten sind unter Glas in den Boden eingelassen, sodass man über sie gehen muss, um voranzukommen: zwei Frauen in angeregtem Gespräch, ein junger Vater mit seinem Kind, eine Lappin mit ihrem Rentier, vier junge Damen mit Doktorhüten, ein Liebespaar, ein lächelnder alter Mann. Kleidung, Haltung und Umgebung verweisen auf die Zeit von 1900 bis heute. Gelebtes Leben und Vergänglichkeit, Geschichte als kollektive Erinnerung, als jener „Hügel“ auch von dem Yoko Ono spricht, könnte kaum eindringlicher festgehalten werden.

Den „Horizontal Memories“ sind die „Vertical Memories“ entgegengestellt – 21 identische Fotos von verschwommenen Gesichtszügen – versehen mit Textplaketten, die auf autobiographische Körpererlebnisse hinweisen, von der eigenen Geburt über sexuelle Übergriffe, die Geburt von Sohn und Tochter bis hin zu einem seltsamen Traum, der (vielleicht) den eigenen, künftigen Tod meint.