3 Projekte der Bieler Fototage 2006

Von Triebsand und anderen Phänomenen

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez Bieler Tagblatt September 2006

Die starken Regenfälle vom letzten Wochende (16./17. Sept.) kamen Alfred Maurer zu Pass; seine in der Schüss platzierten Fotografien zu „Das Alter hat eine eigene Physiognomie“ waren danach fast vollständig mit Triebsand überdeckt, die Bilder verschwunden; einen geradezu philosophischen Akt hat die Natur da vollbracht. Weil ein Foto-Festival wie die Bieler Fototage indes eigene Gesetze hat, drehte der Fotograf und künftige Direktor der Schule für Gestaltung in Biel indes dieser Tage die Zeit zurück, reinigte die Bilder unter Wasser und wartet nun auf den nächsten Regen.

29 Projekte umfassen die 10. Bieler Fototage, die sich unter dem Titel „Die Rückkehr der Physiognomie“ vielgestaltig mit Phänomenen der Identitätsfindung befassen. Während ein erster Rundgang meist ein Registrieren der verschiedenen Positionen, ist, drängt sich bei einem zweiten Besuch das Moment der Qualität stärker in den Vordergrund. Wem gelingt es sowohl thematisch wie bildnerisch zu fesseln, wessen Bilder schreiben sich nachhaltig – und das heisst immer auch emotional – ein. Es sind nicht dieselben für alle Fototage-Fans, das folgende Herauspicken von drei Projekten ist darum subjektiv. Dennoch sei es gewagt:

Beeindruckt hat uns zum Beispiel das in Form einer Dia-Projektion gezeigte „Porträt“ Moçambiques von Sergio Santimano (zu sehen im Museum Schwab). Als Santimano 1956 geboren wurde, waren sowohl sein Herkunftsland Goa (heute indisch) wie Moçambique (heute unabhängig), wo er aufwuchs, portugiesische Kolonien. Santimano ist dementsprechend sowohl indisch wie afrikanisch wie europäisch geprägt und das ist in seinen Bildern sichtbar.

Er lebt heute in Schweden und ist unter anderem für die UNO tätig. Das „Porträt“ Moçambiques, das Barbara Zürcher nach Biel geholt hat, ist Teil eines Dokumentations-auftrages, doch viel wesentlicher ist die emotionale Nähe, die Schönheit und die Lebenskraft, welche die Bilder aus der Provinz Niassa und dem Fischerdorf Ilha ausstrahlen. Es ist eine Art Liebesgeschichte, die nicht zuletzt darin gründet, dass es erst seit Ende des Bürgerkrieges (1992) möglich ist, Moçambique ungehindert zu erkunden. Zum Bieler Thema der „Rückkehr der Physiognomie“ passt das Projekt hervorragend, ist es doch sowohl auf der biographischen Ebene Santimanos wie auf der Geschichte des Landes beruhend eine Wiederentdeckung der eigenen Wurzeln, der eigenen Identität. Santimanos Porträt ist kein Klagelied sondern eine geradezu malerische Hommage an die Würde eines armen Landes.

Auch Jeanne Chevalier (geb. 1944 ) ist mit einem faszinierenden Landschaftsprojekt vertreten (zu sehen im Museum Neuhaus). Die bekannte Bieler Fotografin lebt seit 1990 vorwiegend in der Region Almeria in Spanien. Ihr Projekt ist indes nicht einfach ein Porträt ihrer Wahlheimat, sondern erzählt in Form einer animierten Bildserie von ihrem Leben, ihren Gefühlen – als Frau, als Mutter, als Grossmutter – in dieser kargen Meereslandschaft (Schnitt: Yvan Kohler).

Die Reduzierung auf Schwarz-Weiss-Aufnahmen und die sich in Überblendungen wandelnden Szenen entrücken die Bilder von der Alltagsrealität, betonen die Formen – Felsen werden zu Gesichtern – und geben der Sequenz die Stimmung einer melancholischen Erinnerungswelt. In seiner Wirkung gesteigert wird das Projekt durch die Untermalung mit Musik – einer Komposition von Christian Giger, gespielt von Anton Koudravstsev. Die thematische Relevanz der „Rückkehr der Physiognomie“ kann man im Bedürfnis orten, dem Leben in der Fremde ein ebenso visuelles wie emotionelles „Gesicht“ zu geben. Das Projekt liegt auch in Buchform vor (Edition Clandestin).

In ganz anderer, aber nicht minder nachhaltiger Art prägt sich das „Doppelgänger“-Projekt von Judith Stadler (geb. 1969) ein (ebenfalls im Museum Neuhaus). Gerade dadurch dass die digitalen Manipulationen in den Bildern der „Freundinnen“ nicht offensichtlich sind, macht die Bildserie unheimlich. Man weiss vom Begleittext her, dass es sich bei den farbigen Doppelporträts junger Mädchen um zwei Körper, aber nur ein Gesicht in verschiedener Stellung handelt.

Aber (fast) jeder Versuch das Vorgehen der Fotografin zu durchschauen – zum Beispiel anhand verschiedener Hände – scheitert an der Inszenierung, welche dafür sorgt, dass die Hände der anderen Protagonistin just in der Jacke oder unter den im Sitzen angewinkelten Beinen verschwinden. Auffallend bleiben immer wieder die stechend blauen – oder auch mal grünen – Augen der Mädchen, welche die Doppelgängerinnen geradezu magisch verbinden und unterschwellig die Frage aufwerfen, ob die Braunäugigen wohl bereits ausgemerzt sind. Der gesellschafts-kritische Ansatz dieses auch technisch hervorragenden Projektes ist ein unabdingbarer Akzent der 10. Fototage.