Archaische Gestalten in bunter Gesellschaft  –  BT 5. Juli 2006

Beide arbeiten figürlich, aber je ganz anders. In Magglingen zeigt Adrian Fahrländer singende Skulpturen, im espace libre Maria Ritter eine bunte Inkjetprint-Gesellschaft von Männer und Frauen.

Annelise Zwez

Grösser könnte der Gegensatz nicht sein. In der Nouvel Chapel in Magglingen sind aus Pappelholz herausgesägte Gestalten versammelt, die an mittelalterliche Mönche erinnern, die zu rituellem Gesang zusammen gekommen sind. Im espace libre des Centre PasquArt hingegen blickt einem die multikulturelle Gesellschaft unserer Zeit an in Form von comicnahen, malerisch kolorierten Computer-Zeichnungen. Sowohl die Skulpturen von Adrian Fahrländer (geb. 1955) wie die Prints von Maria Ritter (geb. 1968) entstanden 2005/2006. Die Gleichzeitigkeit ihrer Präsentation im Raum Biel macht in spannender Weise deutlich, welch enorm breites Spektrum zeitgenössische figürliche Kunst umfassen kann.

Dennoch: Der im freiburgischen Chandossel tätige Bildhauer aus dem Aargau ist künstlerisch geprägt von den 1980er-Jahren, als die mit der Motorsäge aus Rohlingen heraus geholte Holzskulpturen im Trend waren. Man denke an Baselitz, an Josef Felix Müller, an Balkenhol und viele mehr. Adrian Fahrländer hat aus dieser Prägung seine eigenen Figurentypen geschaffen und stetig weiter entwickelt. Für die 10-teilige, blau bemalte „canto“-Gruppe sind es Torsi, deren Individualität von den übergrossen, den Mund zum Gesang formenden Köpfen bestimmt ist.

Individuelles wird Pose

Maria Ritter hingegen ist ganz Künstlerin der Gegenwart. Die Bielerin arbeitet aus und mit den Menschen, die uns hunderttausendfach in TV und Printmedien entgegenblicken. An die 10000 Kleinstzeichnungen, die sie aus ge- und erfundenen figürlichen Konstellationen herausfiltert, bilden die Basis für ihre Installation und die Booklets im espace libre. In comicähnlicher Vereinfachung zoomt sie aus den individualisierten Momentaufnahmen typische Posen heran, die wir alle kennen: das strahlende Lachen, das angeregte Gespräch, die Umarmung, aber auch das angstvolle Warten. Es sind Frauen, Männer, Kinder, Stars, Politiker, Sportler, alles. Der künstlerische Prozess ist sichtbar. Den Kiesrändern des Raumes entlang liegen die fotokopierten Miniaturen aus den Skizzenheften als wären es Konfettis. In den Booklets konkretisiert sich, was eingangs in Schrift steht: „Paarweise“, „Männertreu“, „Damenwahl“, „Wahlverwandtschaften“ usw. Es sind Themengruppen aus der Vielfalt des Materials – eher als Panorama inszeniert denn als inhaltliches Konzept.  Auch in den mit Computer-Software kolorierten, frei im Raum hängenden Inkjetprints stand für die Künstlerin nicht Thematisches im Vordergrund, sondern formale Kritieren wie zum Beispiel „was lässt sich vergrössern“.  Dennoch vermittelt Maria Ritter nicht ein beliebiges, sondern ein typisches Gegenwartsbild – ein Bild der urbanen, weltweit vernetzten, multikulturellen Gesellschaft unserer Zeit, die lieber in die Kamera schaut als über Gott und die Welt nachdenkt.

Erstaunlich ist, dass die seit 10 Jahren in Biel wohnhafte Ostschweizerin seit 16 Jahren zeichnet und fotografiert, bisher aber nie an die Öffentlichkeit trat. Das heisst, sie ist quasi das Gegenteil der extravertierten Gesellschaft in ihren Zeichnungen. Es ist der Bieler Maler und „Lokal“-Betreiber Chri Frautschi, der die Künstlerin „entdeckte“, zu einer „edition“ im Rahmen seines „fästing plockare“-Programms animierte (Ausgabe Mai 2006) und auch für den Espace libre vorschlug. Sie freut sich und sagt (bescheiden), jetzt sei die Zeit richtig.

Mächtige Klänge in der Kapelle

Adrian Fahrländer war in jungen Jahren Assistent von Schang Hutter. Das verhehlen seine Skulpturen nicht und sind doch keineswegs schaler Abglanz. Die „canto“-Gruppe, die er in der Nouvel Cabane zeigt, entstand im Konzept als Beitrag zum Kunst am Bau-Wettbewerb für das neue Konservatorium in Freiburg. Nach der Zuerkennung des 1. Preises entstanden 2005 die nun ausgestellten Holzskulpturen, die in der Folge abgegossen wurden und  als Bronzen in den nächsten Wochen in Freiburg platziert werden. Stand für Freiburg der Gedanke des Singens als eine der ursprünglichsten Musikformen der Menschheit im Vordergrund, ist das Assoziations-feld in der kleinen, rostigen, hoch über Biel platzierten „Kapelle“ von Jean Nouvel eine andere. Mitten in den polyphonen Klang altitalienischer a capella- Gesänge platziert, erhält die Gruppe einen geheimnisvoll-beschwörenden  Zusammenhalt. Die kahlen Schädel mit den mächtigen Hinterköpfen, den wie Brillen aus dem Kopf gestülpten Augen und den überlangen (phallischen) Nasen entrücken die Figuren der Realität. Man fühlt sich wie in Umberto Ecos „Im Namen der Rose“ versetzt und schaut fasziniert wie sich im Verweilen in der Kapelle die ähnlichen Züge der Figuren in Verschiedenartigkeit ausfalten, aber auch wie eindrücklich der Künstler die Spannungs- und Trockenrisse  im Holz zur „Zeichnung“ macht und wie die blaue Farbe die Dimension des Spirituellen unterstützt.

Info: Maria Ritter im espace libre: bis 20. Aug. Die 10 Booklets sind an der Kasse des Museums als Box erhältlich. Mi,Do,Fr 14-18, Sa/So 11-18 Uhr. – Adrian Fahrländer in der Nouvel Cabane in Magglingen (unterhalb Forum Post): Bis 3. September. Sa/So 14-18 Uhr.

Infobox

Jean Nouvels Kapellen

Von den vier noch erhaltenen „Kapellen“ der Ausstellung „Un ange passe“ auf der Expo.02-arteplage in Murten werden inzwischen zwei als Galerien genutzt. Die seinerzeit von Ute Winselmann Adatte erworbene startete vor einem Jahr in Magglingen mit einer eindrücklichen Installation von Schang Hutter. Seither wird die Cabane als Kunstort und als Plattform für Begegungen genutzt (Kontakt: ute_von_asuel@gmx.ch). Jene von Muntelier steht als einzige am Originalstandort am Ufer des Murtensees und wird von einer kulturellen Kommission als öffentlichen Ausstellungsort bespielt. Noch bis zum 9. Juli gibt es da eine raumfüllende Zeichnungs-Installation der in Biel wohnhaften und an der Schule für Gestaltung unterrichtenden Beatrice Gysin zu sehen (Sa/So 14 – 17 Uhr).            (azw)