Delachaux Jonathan Neuchâtel 2006

Seit 10 Jahren mit Vassili, Johan und Naïma unterwegs

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Kunstbulletin Juni 2006

Espace PR 36

 

1996 hat Jonathan Delachaux (geb. 1976) Vassili, Johan und Naïma als vermisst gemeldet und die Figuren damit ins Leben gerufen. Seither verfolgt er ihre Spuren, mittels Malerei, Plastik, Musik, Fotografie, Szenographie. Die aktuellsten Kapitel zeigte er kürzlich in Berlin, aktuell in Neuenburg und demnächst wieder in Berlin.

 

Als er sie als Aspekte seiner selbst erfand, waren die braunhaarige Naïma Bourquin, der blauäugige Johan Wacquez und der autistische Vassili Lavandier 13 Jahre alt oder – anders ausgedrückt – sieben Jahre jünger als ihr Schöpfer. Inzwischen war das musikalische Trio in Tokio, in New York, in Berlin, hat mehrere CDs herausgegeben, sich in Diskussionsrunden profiliert, Preise gewonnen und ist sichtlich 10 Jahre älter geworden. Jonathan Delachaux, Musiker und Absolvent der Ecole Supérieure des Arts Visuels in Genf (Klasse Claude Sandoz),  verfolgt ein spannendes Konzept und dies konsequent. Er zeichnet das Leben dreier Figuren mit verschiedenen Charakteren nach, versteckt sich dahinter, und ist doch stets mittendrin, gratwandernd zwischen Realität und Fiktion. Die Konzerte finden statt, doch niemand sieht sie, die CD aber ist greifbar. Die Figuren sind real – als Puppen liebevoll modelliert, frisiert und bekleidet. Doch ihr Leben ist Projektion. Früher hatten sie neben malerischen auch theatralische Auftritte, zum Beispiel im Mamco in Genf, jetzt geben sie sich nur noch via inszenierte Bildhaftigkeit preis.

2005 haben sie sich zum ersten Mal getrennt. Naïma und Johan zogen ins Neuenburger Atelier in Berlin, formten sich da als „Crash Landing“ zum Musik-Quartett und nahmen 12 Stücke auf CD auf. Ihr Stil: Free jazz à la NY mit Punk- und Funk-Ingredienzen. Das Booklet zeigt die Bilder dazu; inszenierte Fotografien der Protagonisten, die in gleich gestaffelten Überlagerungen auf die Leinwand projiziert zu erzählerischer Malerei gerinnen. Derweil blieb Vassili in Genf und schuf sich im Atelier seines Meisters ein Figurentheater. Einem Script von Philippe Dunant folgend, bastelte er „Canard & Super Héros“, die in eine dramatisches Theater  verwickelt werden, schliesslich aber „La pierre de la folie“ retten. Delachaux lässt sein Werk hier, analog der Musik, ins Theater ausufern, wobei ihm der Film als aufzeichnende Medium dient.

Doch auch hier steht schliesslich der Chronist, der Maler, im Zentrum, der Momente aus dem doppelten Theaterleben Vassilis – bis hin zu Frisur, Schminke und Gesichtsausdruck der Figuren inszeniert – fotografisch festhält und in Malerei transponiert. Dabei dienen ihm eine leicht unscharfe Pinselschrift, eine theatralische Lichtführung sowie atmosphärische Überlagerungen als Distanznahme zum illusionistischen Abbild. So, dass auf den zweiten Blick die Puppenfiguren erkennbar werden und damit der fiktional-erzählerische Strang als roter Faden erhalten bleibt. Mit soviel Offenheit freilich, dass eigene Projektionen darin Platz haben.

Delachaux reiht sich mit seinem Plot in eigenständiger Art in die erstaunliche Zahl jener ESAV-Absolventen der 1990er-Jahre, die theatralische Mittel im weitesten Sinn als Basis ihres künstlerischen Ausdrucks einsetzen (Moser&Schwinger, Antille, Walther,  Gabbiani, Nashat u.a.m.l). Die Ausstellung im Epsace Porte Rouges (PR) 36 umfasst Vassilis Figurentheater, den darin entstandenen Film sowie eine stattliche Zahl neuer Bilder.                                                

 

Bis 10. Juni 2006