Im Berner Jura schaut man nach Basel

Zum Werk von Jean-René Moeschler (Moutier)

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 11. Februar 2006

Jean-René Moeschler (geb. 1952) gilt als einer der profiliertesten Künstler des Berner Juras. Im nahen Biel kennt man vor allem seinen Bruder, Gemeinde- und Grossrat Pierre-Yves Moeschler. Für die Kunst aus dem Berner Jura ist die Stadt Biel indes ein steiniges Pflaster (geworden).

Blättert man in der 1997 erschienenen Monographie zum malerischen Werk von Jean-René Moeschler, so fällt dem deutschschweizerischen Blick eines erstaunt auf: Moeschlers expressives, malerisches Werk der 1980er-Jahre wirkt stilistisch deutsch beeinflusst und nicht etwa französisch. Der in einer diversifiziert genutzten alten Fabrik in Moutier arbeitende Künstler bestätigt die Beobachtung: Im Jura schaue man nach links und nach rechts. Insbesondere Basel sei für ihn als junger Künstler wichtig gewesen. Da habe er Werke von Beuys gesehen, 15 Jahre vor Paris dessen Existenz bemerkte. Später seien es dann Künstler wie Kiefer oder Baselitz gewesen, die ihm Mut gemacht hätten.

Schaut man indes auf das Palmares des Künstlers, so dominieren Ausstellungsorte im Jura und in der Romandie, oder dann im Ausland. Biel als Tor zur Deutschschweiz taucht nur einmal profiliert auf; 1994 als in den PasquArt-Räumen des Bieler Kunstvereins eine Ausstellung statt fand. Moeschler hat, wie dies für Jugendliche aus Tavannes heute noch üblich ist, das Gymnasium in Biel besucht. Doch geprägt hat es ihn nicht. Als der Sekundarlehrer naturwissenschaftlicher, später auch künstlerischer Richtung in den frühen 1980ern mit Grossformaten wie „voir – sentir – mouvoir“ in der Kunstszene auftauchte, begann der Jura sich eben als eigenständige Kunstregion zu formieren. Eine Unterscheidung in Berner Jura und Kanton Jura kannte und kennt man in Kulturkreisen nicht. War Biel für die jurassischen Künstler vor der Gründung des Kantons Jura ein wichtiger Weg in die Schweiz und die Maler und Bildhauer Mitglieder der Bieler Sektion der Schweizerischen Künstlergesellschaft „visarte“, so änderte sich dies für die jüngere Generation. Mit der negativen Folge, dass Biel respektive der Kanton Bern sein Hinterland in Sachen Kunst fast vergass und dieses sich kaum um Präsenz bemüht.

Jean-René Moeschler nimmt’s gelassen. Dann und wann beteilige er sich an den Weihnachtsausstellungen, um zu zeigen, dass es ihn noch gebe. Manchmal schmeisse die Jury in aber auch raus; so sei das eben. Ihm sei es eh immer wichtiger gewesen, sein Werk weiter zu entwickeln als sich um Karriere zu bemühen. Das ist nicht untypisch für die Generation der heute 50 bis 60-Jährigen. Allerdings erwirbt sich Moeschler als Künstler des Juras nichtsdestotrotz eine wichtige Stellung. Keine Ausstellung mit jurassischen Künstlern ohne Jean-René Moeschler, sei das in Olten oder in St. Petersburg. Und schon 1988 nimmt ihn die ein internationales Programm vertretende Galerie Numaga in Auvernier, heute in Colombier, in ihr Programm auf.

Zu seiner Stellung trägt nicht nur bei, dass Moeschlers Malerei mit ihrer für die Romandie ungewohnt direkten, ungeschönten, dennoch aber betont peinturehaften Formulierung eine Einzel-Position in der Region vertritt. Wesentlich ist auch, dass Moeschler wohl expressiv arbeitet, aber seine naturwissenschaftliche Ausbildung darob nie vergisst, das heisst, im Prozess der Bildgestaltung versucht er das Eruptive, Körperhafte mit dem analytischen Blick des Bild-Komponisten zu verbinden. Welche Farbe steigert eine andere? Wie viel Gegenständlichkeit braucht es an der Krete zur Abstraktion? Wie halten sich Gesten gegenseitig in Schach?
Mit diesem ansatzweise konzeptuellen Vorgehen, legte er quasi die Fährte für die Entwicklung zu immer neuen Bildkapiteln, die sich im Laufe der Zeit von der freien zur kontrollieren Expressivität wandeln, schliesslich über pflanzliche und ornamentale Einschübe zur Zeichenhaftigkeit mutieren und im Spiel mit Pseudo-Perspektiven räumliche Momente einbringen. In den erstmals kubische und scherenschnitthafte „Waldstücke“ kombinierenden, neuen Grossformaten zeigt sich Moeschler so form- und raumbewusst wie noch nie. Die durch temporäres Falten der Leinwand erzielte Räumlichkeit lässt die Bilder wie urbanistische Studien erscheinen, obwohl sie im Kern immer nur etwas sein wollen: Spannende und kraftvolle Kompositionen mit den Mitteln der Malerei.

Bis 1989 teilte der dreifache Vater sein Leben zwischen Unterrichtstätigkeit und Malerberuf. Seither ist er – abgesehen von Lehraufträgen hier und dort – ausschliesslich als Maler und Gestalter von Kunst am Bau-Aufträgen tätig, wobei dies den engagiert für die Kunst eintretenden immer miteinschliesst. Moeschler war im Turnus Präsident der visarte Jura und ist seit acht Jahren Mitglied der Kunstkommission des Kantons Bern. Dabei ist sein Blick ein realisitischer. Im Jura gebe es wohl Zellen zeitgenössischer Kunst, auch ein Museum in Moutier, sagt er, aber die Ausstrahlung dringe selten über die Region hinaus. Darum finde man die wichtigsten jurassischen Künstler allüberall und zuweilen sogar prominent: Der 2005 verstorbene Remy Zaugg war ein Jurassier, auch das Duo Moser/Schwinger aus St. Imier, zur Zeit im Kunsthaus Zürich, ist im Jura aufgewachsen und dem aus dem Raum Bellelay stammende Boris Rebetez wurde kürzlich der Basler Manor-Preis zugesprochen usw. In den letzten Jahren hat sich die „Grenze“ zwar da und dort etwas gelockert, doch von Öffnung kann (noch) nicht die Rede sein.