Ansprache anlässlich der Enthüllung der Bildfelder  von Mercurius Weisenstein an der Hauptfassade von Schloss Büren a. A.  7. November 2006

Von Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, Lieber Mercurius

Als ich mich mit Mercurius Weisenstein in Büren verabredete und ein paar Minuten zu spät eintraf, wartete der Künstler auf einem der Steinbänke auf dem Marktplatz und schaute – sichtlich vergnügt – auf seine noch verhüllte Arbeit am Schloss, als würde da ein Theaterstück gegeben. Die Frage, ob er mit seiner Arbeit zufrieden sei, brauchte ich daraufhin gar nicht mehr zu stellen. Zwischen den Sätzen, die wir danach austauschten, sagte er es dann aber doch: Wenn er zurückblicke, habe er den Eindruck, diese Arbeit habe auf ihn gewartet. Wenn ich das richtig interpretiere – Mercurius schon seit mehr als 10 Jahren kennend – kamen für ihn in der Arbeit für Schloss Büren mehrere Aspekte seiner bisherigen Tätigkeiten zu einer Synthese.

 

Schon 1995 schrieb ich in einem Text, ihn würden Spuren und Phänomene interessieren, die durch ihre formal-künstlerische Umsetzung, etwas spiegeln, das über ihre Bildlichkeit hinausweise. Just das gilt es jetzt anhand der Zyklen zu den vier Elementen und den vier Jahreszeiten zu untersuchen. Doch vorweg noch etwas anderes: Bei den Bildfeldern für Schloss Büren handelt es sich ganz klar um eine kontextbezogene Arbeit, waren doch schon die ursprünglichen Bilder von Joseph Plepp aus dem frühen 17. Jahrhundert denselben Motiven gewidmet. Doch je intensiver man mit Mercurius Weisenstein spricht, desto mehr vergisst man das und hat den Eindruck, es handle sich um eine freie Arbeit des Künstlers. Anders ausgedrückt, so wie der Künstler hier arbeitete, indem er  Gegebenheiten hinterfragte und neu interpretierte respektive bildnerisch gestaltete, so arbeitet er immer – sei es bei anderen Kunst am Bau-Aufträgen, bei Rekonstruktionen alter Inschriften und Ornamente an ländlichen Gebäuden im Simmen-, im Emmen- und anderen Tälern des Kantons Bern, sei es bei seinen persönlichen Bilduntersuchungen zum Thema Vereinzelung und Kollektiv oder  bei seinen albedonischen Wertpapieren in Form von Etiketten für die Flaschen des raren, vom Künstler selbst gekelterten albedonischen Weines, einer ganz besonderen Berner Spezialität.

Kurzum, Kunst am Bau ist für Mercurius Weisenstein kein notwendiges Übel, um als Künstler zu überleben, sondern eine bereichernde Herausforderung, vielleicht sogar das, was ihn zu seinen besten Arbeiten führt. Das, so bin ich überzeugt, spürt man im Blick auf die Bildfelder, die heute der Öffentlichkeit zur Betrachtung übergeben werden.

Dabei finde ich ein komplexes Moment besonders interessant. Als Joseph Plepp vor bald 400 Jahren beschloss, Pax und Victoria ein Fundament aus den vier Jahres-zeiten und darunter den vier Elementen zu geben, gab es die Landschaftsmalerei, wie sich dann ab dem späteren 18. Jahrhundert entwickelte, noch nicht. Malerei war Allegorie, das heisst mit Bildern wurde auf etwas verwiesen. Im frühen 17. Jahr-hundert kündigte sich indes Aufbruch an, das mittelalterliche Weltbild mit seiner starken religiösen Bindung lockerte sich auf und gab Schritt um Schritt den Weg frei für die Aufklärung, die Wissenschaft vor dogmatischen Glauben stellte. Wenn Plepp die vier Jahreszeiten wählte, so ist diese analytische, das Jahr teilende, die Natur beobachtende Seite mit drin. Gleichzeitig ist in den Motiven aber auch die existentielle Bindung an die Jahreszeiten – an die Kälte des Winters, an die Abhängigkeit von der Fruchtbarkeit enthalten. Auch die vier Elemente, die von der Philosophie lange Zeit als seinsbestimmend definiert wurden – im Sinne, dass der Mensch aus den vier Elementen geschaffen sei – waren für die Menschen damals elementar. Das Feuer kam nicht aus der Steckdose, sondern brannte offen – oder auch schon in Kachelöfen – im Haus, die tägliche Arbeit wurde nicht am Computer verrichtet, sondern draussen auf dem erdigen Feld. Das Wasser kam nicht aus dem Wasserhahn, man musste es am Dorfbrunnen holen. Und die Luft, der Himmel, die Winde –  ja, die waren wohl schon damals mysteriöser als nur einfach der Ort, wo Gott hockte.

Für uns heute sind weder die Jahreszeiten noch die Elemente von gleicher Bedeu-tung. Gewiss, wir hören von verheerenden Feuersbrünsten – doch meist am Fernsehen. Gewiss, wir hören von Überschwemmungen, erleben sie vielleicht sogar – doch der Schaden wird von der Versicherung übernommen. Und das Feuer brauchen wir um Würste zu grillieren. Und im Winter drehen wir die Heizung auf und wenn’s eine schlechte Kartoffelernte gibt, so kaufen wir halt importierte.

Wir merken, so einfach ist es nicht, wenn ein Künstler die Motive eines Jospeh Plepp in zeitgenössisches Empfinden wandeln will. Was ich eben skizziert habe, sind denn auch nicht einfach meine Gedanken, sondern fussen auf Überlegungen, die sich Mercurius Weisenstein machte. Allerdings, so gestand er im Gespräch, den Ärmel habe es ihm erst so richtig hereingenommen nachdem er den Wettbewerb gewonnen habe. Die ursprünglichen – heute zum Teil veränderten – Entwürfe seien viel intuitiver entstanden. Aber es sei unglaublich faszinierend, lesend und forschend mehr und mehr zu merken, dass man auf dem richtigen Dampfer sei.

Was heisst hier „richtiger Dampfer“?

Nehmen wir als Beispiel die Blüten, die den Frühling markieren. Weisenstein zoomt sie heran und zeigt ihre Schönheit, die auf das Geheimnis des Blühens an sich verweist. Daran, ob diese Kirschenblüten befruchtet und Früchte tragen werden, denken wir nicht. Im 17. Jahrhundert war das aber zentral – auch wenn wir Plepps Frühling nicht mehr im Detail kennen, so ist doch klar, dass er den Aufbruch der Natur in Funktion ihres Ertrages sah – denn ein gutes Jahr hiess überleben.

Weisenstein zoomt die Blüten indes nicht nur heran – er verändert sie gegenüber der zugrunde liegenden Fotografie, indem er sie  – mit den Werkzeugen des Photoshops – auf das Wesentliche reduziert. Konkret, er verminderte die Farbnuancen indem er sie in Farbflecken mit klaren Konturen – mal rund, mal eckig –  bündelte und Beiwerk integrierte respektive ausradierte. Von nah betrachtet sind die Blüten – für die anderen Motive gilt dies noch ausgeprägter – abstrakte Puzzles aus Formen mit einer bewusst beschränkten Zahl von Farben, die nicht zuletzt auf Pax und Victoria Rücksicht nehmen, um Plepps allegorische Figuren ins Gesamtbild der Fassade zu integrieren.

 

Denken Sie nun nur nicht, für diesen Transfer müsse man mit der Maus einfach auf den richtigen Befehl drücken. Die Tatsache, dass die einzelnen Bildfelder von nah betrachtet abstrakte Puzzles sind – leider sah man das nur auf dem Gerüst so richtig – aus drei, aus zehn, aus zwanzig Meter Distanz aber immer schärfere Konturen erhalten, ja gar plastisch wirken, ist künstlerisches Know-How. Im Gespräch kamen wir darauf, es sei eine Addition von Erfahrung, Versuchen und Irrtumskorrekturen (try + error). Das Wort Erfahrung weist darauf hin, dass der Künstler diese Methode nicht erst für Büren entwickelt hat, sondern schon lange vorantreibt.

Und was ist daran zeitgenössisch? Die Arbeit am Computer ist ein Aspekt, aber grundsätzlich hätte man auch mit Pauspapier zum selben Resultat kommen können, nur viel aufwändiger. Inhaltsreicher ist, dass die Syntax so in Beziehung zur Sprache der Werbung tritt, die unser heutiges Bildempfinden prägt, ob wir das nun wollen oder nicht. Das Einzelne wird fokussiert, aufgeladen, heroisiert; möglichst prägnant auf weite Distanz.  Wenn Weisenstein nun in raffinierter Weise eine vergleichbare Syntax anwendet, ohne dabei auf Konsum abzuzielen, so holt er uns bei unserem heute gewohnten Schauen ab, das heisst er bildet die Blüten nicht naturalistisch ab, sondern zeigt ein Bild, das wir mit „Blüten“ assoziieren, dessen Ästhetik uns schmeichelt und positiv stimmt und sich dergestalt auf das vermittelte Gefühl von Frühling, von Natur überträgt. Dennoch bleibt das Moment der Allegorie, die über das Materielle hinaus eine immaterielle Ebene mitmeint. Zu Plepps Zeiten eingebunden in die Religion, heute eher in ein vages Gefühl von Universum, von Rückbindung an etwas nicht Greifbares. Eines dürfen wir dabei nicht ausser Acht lassen: Weisensteins Blüten, Ähren, Trauben und Raureif-Äste, seine Darstellungen von Erde, Feuer, Wasser, Luft sind keine Inkjet-Prints, sondern gemalt, auf dem Gerüst und von Hand. Das heisst der Künstler bringt die Bildfindung in der Wandmalerei wieder zurück auf die Ebene des Kunsthandwerks, der Pigmente und anderer Malsubstanzen und tritt damit wieder in Kontakt mit den Elementen und darin mit uns.

Wir könnten nun jedes einzelne Motiv betrachten und analysieren – zum Beispiel wahrnehmen dass das Motiv der Luft von einer Flugzeugaufnahme stammt, etwas, das es zu Plepps Zeiten nicht gab. Summa summarum kämen immer wieder zu vergleichbaren Erkenntnissen, die zeigen, wie Mercurius Weisenstein die Motive Plepps konsequent in eine zeitgenössische Sprache verwandelt hat, wie er unsere, so ganz anderen Beziehungen zu den Jahreszeiten und zu den Elementen hintergründig, kritisch – und nicht ohne Ironie – spiegelt.

Ich lasse das Abschreiten der Motive bei Seite und wende mich zu guter letzt dem Intriganten zu, dem, der letztlich und hinterrücks immer am meisten zu Reden gibt: dem Affen, der sich von Plepp zu Weisenstein vom Äffchen zum Gorilla gemausert hat. In der bisherigen Interpretation kam meistens zum Ausdruck, Plepp habe sich da einen Scherz geleistet, ein Art Aufmucken gegen die Obrigkeit. Wie Recherchen seitens der Denkmalpflege und des Künstlers jetzt zutage förderten,  ist das wohl nur bedingt richtig. Zwar ist der zwiespältige Begriff des „Nachäffens“ ein alter und es ist gut möglich, dass Marktfahrer schon im 17. Jahrhundert Affen mitführten und sie  als drollige Nachäffer zeigten. Der Affe äfft den Menschen nach – er steht also irgendwie für den Menschen. Dieser „Affenmensch“ ist bei Plepp an die Kette gelegt. Nicht so sehr anders als in Darstellungen des frühen 17. Jahrhunderts, die den Affen im Zentrum der Künste zeigen (die Künste umfassten damals auch alle Techniken), gleichzeitig aber ist dieser Affe mit der Anima mundi durch eine Kette verbunden – die anima mundi ist eine weibliche Gestalt, die allegorisch für alles Lebendige steht. Alles Lebendige umfasst auch das Bildprogramm Plepps – die Jahreszeiten und die Elemente, durch welche der Mensch geformt ist. Diese anima mundi ihrerseits ist durch einen Strang mit Gott verbunden. Was heisst das? Doch einfach, dass so wie der Affe den Menschen nachäfft, der Mensch seinerseits Gottes Schöpfung nachahmt und alles mit allem in Verbindung steht. Wie weit Plepp solche Darstellungen kannte, ist ungewiss, aber es ist anzunehmen. Andererseits ist das Quäntchen Lächerlichkeit, das Plepps so unlogisch angekettetes Äffchen immer ausdrückte, vielleicht just das Schnippchen, das der Künstler der unverrückbaren Bindung des Menschen an die Dogmen der Religion schlagen wollte. So quasi als Zeichen der kommenden Aufklärung.

Mercurius Weisenstein hat den Affen von seiner Kette befreit und er verwandelte das Zirkusäffchen in einen Gorilla, formal nach der gleichen Methode wie die übrigen Motive; darum wirkt er auf Distanz auch so plastisch. Für ihn sei das Weglassen der Kette ein notwendiges Zeichen für die Unabhängigkeit des Menschen von der Fessel der Religion, ein Zeichen der Freiheit des Denkens auch. Und wenn er das Äffchen zum Gorilla gemacht habe, so darum, weil man heute mindestens ein Gorilla sein müsse, um sich Gehör zu verschaffen. Der Gorilla tut das im Kontext der Jahreszeiten und der Elemente – also im Kontext von Mensch und Tier und Natur, deren Rechte und Pflichten es in einem übergeordneten Ganzen zu erhalten und zu bewahren gilt. Und daran mag der Gorilla die ihm so nah verwandten Menschen, die vom Marktplatz her das Schloss betrachten, erinnern, ohne Fessel, stattdessen in Selbstverantwortung. Weisensteins Affe hat damit heute eine andere Aufgabe als das Äffchen Plepps seinerzeit, eine zeitgenössische Funktion!

Ich danke fürs Zuhören.