Six feet under im Kunstmuseum Bern 2006_2007

Den Tod im Leben sichtbar machen

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Mittelland-Zeitung vom 2. November 2006

„Six feet under“ im Kunstmuseum Bern ist eine „Autopsie unseres Umgangs mit Toten“ – keine leichte Kost, aber ein spannendes Thema

Es spricht für sich: Für „Six feet under“ fand das Kunstmuseum Bern keine Bank und keine Versicherung als Sponsor. Der Tod ist kein Thema oder wenn schon ein unangenehmes. Doch der Tod ist ebenso ein Tabu wie ein Magnet!

Der Tod in der Kunst. Was kommt einem in den Sinn? Holbeins liegender Christus, Ankers Kinderbegräbnis oder Hodlers „Valentine“ auf dem Sterbebett? Alle drei Ikonen sind Teil der „Autopsie unseres Umgangs mit Toten“ in Bern. Doch der Schwerpunkt liegt bei der Gegenwart und dies – als wichtiges Moment – global. Die Wiege liegt in Ghana, wo sich der Sarg zur Design-Skulptur entwickelt hat und bei Begräbnissen umtanzt wird. Kontakte zur Berner Ethnologin Regula Tschumi, welche die Rituale in Ghana seit Jahren verfolgt, haben den Startschuss gegeben. Dank ihr hat Paa Joe für Bern neue, bunte Särge mit Wurzeln in der ghanaischen Kultur geschaffen – Häuser, Schiffe, Krebse oder gar Sandaletten. Im Treppenhaus-Saal platziert sind sie eine Art Signet, in den Seitensälen und im Soussol nicht einseitig einen Ort der Tränen und der Trauer, sondern ein – durchaus auch schräges – Panoptikum visualisierter Empfindungen, Rituale und Gedenkformen zu erwarten.

„Leitgedanke war mir der Wunsch“, so Kurator Bernhard Fibicher, „ dem Tod in unserer Gesellschaft wieder ein Bild zu geben, seine Präsenz in der Kunst aufzuzeigen.“ Das Bild, das er zeichnet, ist kein moralisches, kein religiöses, kein politisches, sondern eine Auslegeordnung, die Wechselbäder der Gefühle auslöst. So erhält denn auch jeder Besucher einen Warnzettel, dass gewisse Darstellungen Feinfühlige provozieren könnten – etwa die Foto von Sun Yuan & Peng Yu, die eine Performance dokumentiert, bei welcher das chinesische Künstlerpaar tot geborene siamesische Zwillinge mit ihrem Blut zu beleben sucht.

Das Wechselbad erzeugt aber vor allem die Vielfalt der Ansätze in den auf Kontrast angelegten Zeitsprüngen. So kommt man vom Trauer und Trost vermittelnden Saal mit Ankers Kinderbegräbnis und Teresa Margolles eindrücklichem „Entierro“ – ein mobiles Beton-Grab für einen Foetus – direkt zu den Glanz-Fotos des Japaners Izima Kaoru, die Models in Prada- und Versace-Kleidern als hochästhetisch inszenierte Todesfälle zeigen. Als Blasphemie empfindet man sie zunächst, doch um den Traum der Japaner vom „schönen Tod“ wissend, erhalten sie bald eine andere Färbung.

Die zeitgenössische Kunst arbeitet weltweit in denselben Medien, dadurch lässt sie sich spielend kombinieren und global rezipieren, doch die damit einhergehende Nivellierung vertuscht zuweilen individuelle und kollektive Kultur-Unterschiede. Es braucht nicht Asien und Europa zu sein – die Schweiz und die USA reichen. So zeigen sowohl Hans Danuser wie Andres Serrano Oberflächen toter Haut in Form von Fotografie. Doch während der Schweizer die geschrumpfte Haut Erdrosselter als meditative, dunkle Landschaft „porträtiert“, zerrt der Amerikaner die Todesursache ans grelle Licht – zum Beispiel Tod durch Verbrennen – und lässt damit kaum Verinnerlichung zu. Beide Künstler nutzen die Pathologie als „Reservoir“. Das Leichenschauhaus dient aber auch der indischen Video-Künstlerin Ardya Rasdjarmrearnsook als Ort. Sie führt mit den Toten ein Seminar durch, fragt sie nach ihrem Leben, ihren Gefühlen, ja gar ihren Plänen; leise, anteilnehmend, den Toten verbunden im Leben; eindrücklich ist ihre Arbeit.

Es sind tausend Facetten, die auf einem einstürmen – die 120 Werke von 83 Kunstschaffenden spiegeln ebensoviele Weltanschauungen, wechseln von Tränen am Grab der Mutter (Sue Fox) bis zur Inszenierung des eigenen Begräbnisses (Gianni Motti), vom Grabstein für „Absolutely Nobody“ (Berclaz de Sierre) bis zum filmischen Selbstmord-Perpetuum (Ene-Liis Semper). Die Vielfalt verhindert einer Gesamt- Atmosphäre, die Kapitel wie „Künstlertod“, „Hommagen“, „Leichen, Totenköpfe und Skelette“ bündeln kaum. Doch stört das nicht, es spiegelt vielmehr die Bandbreite, die sich von Niklaus Manuels Totentanz um 1500 zu Olaf Breunings „Skeletons“ (2002) zieht und wohl mehr Diskussionen auslösen wird als manch sponsorwürdiger „Blumenmythos“.