Picasso und Rodin Fondation Beyeler Riehen 2006

Der unersättliche Blick auf das weibliche Geschlecht

www.annelisezwez.ch  Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 11. August 2006  und in der Mittelland-Zeitung vom 9. August 2006

Eros war Rodins und Picassos nimmermüde Triebfeder. Ihre Lust auf das ewig Weibliche bestimmt ihr Werk. Ungleich jedoch wie die Ausstellung in Riehen zeigt.

Es war anfangs der 1990er-Jahre als Aids die Welt erschütterte, die Kunst-Welt insbesondere. Die Sexualität war tödlich geworden. Mit der Folge, dass sie aus der Kunst fast verschwand. Niemand mochte Eros mehr feiern. Jetzt kündet die Fondation Beyeler als erste die Rückkehr des Themas an. Mit erotischen Werken von Rodin und Picasso als Auftakt und einem Panorama zu Eros in der klassischen Moderne als grosse Inszenierung im Herbst. Die Lockrufe werden Tausende anziehen.

Wer ist Eros? Auf die Vielfalt möglicher Antworten, gibt die Fondation Beyeler vorerst nur eine: Eros ist ein Mann, der sich am Blick auf das Weibliche verlustiert. Bezogen auf die Kunst bewirkt er bei Rodin allerdings ganz anders als bei Picasso. Rodin ist 1840 geboren und somit vom Geist her ein Mann des 19. Jahrhunderts; Picasso kam 1881 zur Welt und schuf sein Werk im Jahrhundert Sigmund Freuds. Rodin sah im weiblichen Geschlecht den „Origine du monde“, die Geburt, das Leben, den Tod. Diese Überhöhung erlaubte es ihm, seiner Lust freien Lauf zu lassen. Er zeichnete und malte – meist nach Modell – Tausende von aquarellierten Blättern, in denen er der Quelle des Lebens, respektive den Obsessionen seiner sexuellen Begierde, Bild gab. Vom Schöpfermythos des Künstlers beflügelt, zeugte er sich gestaltend seine Geliebten. Anders Picasso – er hatte nicht mehr im selben Mass ein mythisches Gewand nötig. Er spielte genial mit den ihn anregenden Formen des Weiblichen, fragmentierte und rekonstruierte sie, setzte zuweilen Männliches in Beziehung dazu und vergass auch nicht den magischen Blick aufs Publikum.

Die Gegenüberstellung der beiden – intim hier, extravertiert dort – ist der einzige thematische Aspekt der Ausstellung, die ansonsten ziemlich unkritisch präsentiert wird und auch im Katalog keine Gender-Diskussionen wagt. Die Frage nach dem männlichen und dem weiblichen Blick und der entsprechenden Rezeption wird nicht gestellt. Schade.

Rodin ist nicht gleich Picasso. Darum forciert die in blutrot gestrichenen Räumen eingerichtete Ausstellung den direkten Dialog richtigerweise nicht. Rodins Papierarbeiten werden in dichtem Arrangement dem plastischen Schaffen gegenübergestellt, wobei die Konzentration auf Gipsmodelle aus dem Musée Rodin in Paris den Prozess der Gestaltwerdung und darin der Wandel vom Sexuellen zum Metaphorischen, von der Frau zur Götterbotin, sinnvoll betont. Aus Picassos Werk Erotisches auswählen ist wahrlich kein Kunststück und so sind denn Zeichnungen und Bilder aus allen Schaffensphasen zu sehen, wenn auch mit Betonung des Spätwerkes, in dem der alternde Künstler dem Reiz des Erotischen – oft mit einer Prise Ironie – besonders viel Raum gab. Höhepunkt ist aber nicht die bekannte, voyeuristische Graphikserie von 1968, sondern die drei fast nur schwarz-weissen, grossformatigen „Baisers“ (Küsse) vom 24. Respektive 26. Oktober 1969, welche in kongenialer Weise aufzeigen, wie Picasso es in seiner Malerei verstand, formale Erfindungen und emotionale Gestalt eins werden zu lassen.

Rodin und Picasso treffen sich motivisch im Akt, wobei Rodin Erotik und Sexualität in den Papierarbeiten praktisch gleichsetzt, während Picasso mit dem Weiblichen tanzt. Bei beiden ist aber auch – wenngleich nur am Rande – die Gewalt, die den sexuellen Trieben innewohnen kann, präsent. Von Picasso ist ein frühes Blatt von 1900 zu sehen, das den Titel „Viol“ (Vergewaltigung) trägt und von Rodin die Gipsplastik „Le Minotaure“ (1885), die weibliche Unschuld und rohe, männliche Sexualkraft unzweideutig thematisiert.