11. Bieler Fototage 2007

Vergessen, verlassen, verborgen, verboten

Annelise Zwez, vom 9. bis 30. September 2007

Die „Nicht-Orte“ der 11. Bieler Fototage haben vielfältige Gesichter. Sie sind unheimlich, unzugänglich, bedrohlich. Sie sind nackt und gleichen Skeletten. Zuweilen sind sie aber auch kostbar.

Mit der Wahl von Hélène Joye-Cagnard und Catherine Kohler als Co-Direktorinnen der Bieler Fototage sind diese wieder fest in frankophoner Hand. Das ist gut so, denn sowohl in Biel selbst wie in der Romandie wird die Stadt oft zu wenig als frankophone Kulturstadt wahrgenommen. Gut so, weil sich die Kuratorinnen ihre Scharnierfunktion zwischen Ost- und Westschweiz bewusst wahrnehmen und ein wirklich gesamt-schweizerisches Bild zum Thema der „Non-Lieux“ zeichnen; von Björn Allemann aus Chur über Garance Finger aus Delémont bis Sarah Girard aus Genf. Allerdings steht es der bilinguen Stadt Biel schlecht an, wenn schon auf der zweiten Katalogseite „La mer de la fértilité“ von David Gagnebin-de Bons zum „Mehr der Fruchtbarkeit“ wird.

Dass die Fototage 2007 abgesehen vom US-Schweizer Jon Naiman (Philadelphia/Solothurn) nur eine internationale Position, jene von Mikhael Subotzky aus Südafrika, aufweisen, so ist das nicht als Rückzug in Schweizer Grenzen zu werten, sondern eine Folge davon, dass der neuen Direktion nur knapp sechs Monate für die Vorbereitung des Festivals zur Verfügung standen. Chapeau, was sie mit Hilfe des von Hugues Houmard präsidierten, 13-köpfigen Comités in so kurzer Zeit zu realisieren vermochten.

Auffallend ist, dass die 18 eingeladenen Künstlerinnen und Künstler – von den Studierenden an den beiden beteiligten Kunstschulen von Biel&Bern respektive Sierre ganz zu schweigen – überwiegend jung, ja sehr jung sind. Das hängt zum einen zweifellos damit zusammen, dass die Fotografie in den letzten 15 Jahren ihre Position innerhalb der bildenden Kunst stetig ausgeweitet hat. Vielleicht heisst es zum andern aber auch, dass das Thema des Non-Lieu, das nach Verortung und Verlorensein in einer nicht mehr greifbaren Welt fragt, für junge Kunstschaffende wichtig ist. Der 24jährige Benoît Vollmer – die diesjährige Wahl des Photoforums –fotografiert seit zwei Jahren Gebäudekomplexe, die in den 1960er-Jahren mit einer geradezu futuristischen Vision in die Savoyer Alpen geklotzt wurden und nun bereits dem Niedergang entgegensehen. Der heutigen, negativen Reaktion auf die damalige Bauweise stellt der junge Künstler eine Art Wehmut entgegen, die Kritik und Verlust gleichermassen thematisiert und damit den Un-Orten eine Dimension des Subjektiven einhaucht.

Auffallend ist, dass die Schwarz-Weiss-Fotografie, die bis vor wenigen Jahren oft vehement verteidigt wurde, in den diesjährigen Fototagen auf eine einziges Beispiel zusammengeschrumpft ist und auch im Fall von Björn Allemanns winterlichen Rimini-Aufnahmen nicht traditionellen Charakter hat, sondern offensichtlich als gewollte Kälte, als Ausdruck gottloser Verlassenheit eingesetzt wird. Erstaunlich ist ferner, wie wenig die Fotoschaffenden mit dem Mittel der Installation arbeiten – fast alle hängen ihre Aufnahmen in einfachem Rundherum an die Wand. Eine Ausnahme macht unter anderen Thomas Adank (geb. 1979 in Vevey) gibt nur einer Ecke seines Raumes im Photoforum Licht und zeigt da nur gerade drei mittelformatige Fotografien von Tresorräumen im Untergeschoss einer Bank; fast ganz in rot-blaue Farbtöne getaucht. Er wolle keine Typologie von Tresorräumen zeigen, sagt er, sondern das ortspezifische Moment eines nur mit mindestens drei Schlüsseln zugänglichen, Geheimnisse bergenden Ortes evozieren. Und das gelingt ihm. Installativ ist auch die Ausstellung von Eva-Fiore Kovacovsky in der Galerie Quellgasse konzipiert. Die 27jährige Bernerin, die in Holland lebt, zeigt einfache, im Wald spielerisch konstruierte Orte – eine Erd-Treppe, eine Ast-Brücke, eine Baumhöhle – und vergrössert sie massiv, sodass die kleinen Nicht-Orte so gross werden wie die Vorstellung davon. Je nach Motiv stehen sie am Boden oder hängen tief oder hoch an der Wand.

Bereits im Vorfeld der gestrigen Vernissage waren Mikhael Subotzkys Bilder aus südafrikanischen Gefängnissen im Gespräch. Tatsächlich gehören die bereits 2004 entstandenen Aufnahmen des 26-jährigen Weissen aus Kapstadt zu den intensivsten der Fototage. Sie werden als Dia-Projektion im Haus Ring 10 gezeigt. Sie sind die Wahl der Neuen Zürcher Zeitung, die seit einigen Jahren eine Beilage mit einer erweiterten Ausstellung des Bildmaterials in Biel kombiniert. Subotzky gelingt eine Bild-Präzision, welche die Geometrie des Gefängnis-Gedankens quasi in sich trägt. Darin zeigt er mit hohem symbolischem Bewusstsein, aber auch grosser menschlicher Anteilnahme Leben und Gewalt im überfüllten Gefängnis von Pollsmoore.

Es gäbe von Vielem noch zu erzählen. Erwähnt sei zu guter Letzt nicht Vergessenes, sondern auf das grafische Erscheinungsbild der Fototage (Barbara Ehrbar, superbüro, Biel) hingewiesen, das von den die Besucher durch die Stadt lenkenden weissen Aufklebern bis zum originellen Konzeption der Katalogbroschüre überzeugt.