Andreas Tschersich und Freunde in der Alten Krone in Biel
Liebe auf den zweiten Blick
Annelise Zwez Bieler Tagblatt August 2007
Eine kuratierte multimediale Ausstellung in der städtischen Galerie in der Alten Krone in der Bieler Altstadt? Der in Berlin lebende Bieler Künstler Andreas Tschersich macht die Überraschung möglich; auf hohem Niveau.
Die frei mietbaren Ausstellungsräume im Parterre der Alten Krone im Ring sind nicht zuletzt eine Art Anker für Bieler Künstler, die im Ausland leben und sich mit einer Schau daselbst in Erinnerung halten. Dies gilt zum Beispiel für den in Berlin lebenden Andreas Tschersich (*1971). Dass er sich indes mit einer von ihm kuratierten, internationalen, multimedialen Ausstellung präsentiert, ist eine Überraschung; eine der spannenden Art, denn die Künstler, die er unter dem Thema Scènes secondaires in Beziehung setzt, zeigen ausnahmslos interessante Werke und die Inszenierung verdient die Bezeichnung professionell. Es seien Freunde und Künstler, die ihn inspirierten, sagt Andreas Tschersich und verrät damit, dass es teilweise um eine Art Ausweitung vielleicht auch Verdeutlichung seiner eigenen künstlerischen Position geht.
In der Region bekannt geworden ist Andreas Tschersich mit präzisen, bildhaften Fotografien von Un-Orten meist peripheren urbanen Quartieren und Plätzen, die bekannt und zugleich anonym wirken. Mit der Titel-Setzung Scènes secondaires und der Auswahl der Kunstschaffenden aus Schottland, Frankreich, Deutschland und der Schweiz zeigt er nun, dass es ihm mit seiner Thematik keineswegs um Kritik geht, sondern im Gegenteil, um die Aufwertung von Hinterhöfen, quasi um Liebe auf den zweiten Blick. Er selbst zeigt in der Ausstellung ein via Google Earth herangezoomtes Wohnblock-Quartier von Glasgow in Form von Malerei und eine grossformatige Fotografie eines verlassen wirkenden Hinterhofs in Charleroi (einer Industriestadt in Belgien).
Es geht um Nähe und Distanz und um mehr. peripher 489 (Charleroi) ist einer Serie von abgetakelten Bushaltestellen in Böhmischen Dörfern von Jörg Lohse (*1969 in Chemnitz) gegenübergestellt. Wirken letztere durch ihre serielle Anordnung, durch Ähnlichkeit und Andersartigkeit, verdichtet Tschersichs Fotografie analog banale Architektur in ein einziges Bild, das durch sein Format von 260 x 160 cm lebensgross zum Betrachter spricht und ihn dadurch quasi zum Besucher vor Ort und auf jedes Detail aufmerksam macht.
Es entsteht eine Beziehung, unähnlich und doch im Sinne von Ausweitung vergleichbar mit dem hervorragenden Video von Samuel Buckman (*1972 in Dünkirchen). Dieses zeigt, fast wie eine bewegte Fotografie, unscharfe industrielle Anlagen und davor in Nahsicht eine überfahrene Möve, deren einen Flügel vom Meerwind immer wieder aufgefächert wird. Bei Tschersich wie bei Buckman geht es um Leben und Tod, um Aesthetik und Hässlichkeit, um objektiv Gegebenes und subjektiv Empfundenes.
Dasselbe, aber anders, gilt für das grossformatige, gemalte Bild peripher A (Red Road, Glasgow), das ein Hochhaus-Quartier der schottischen Arbeiterstadt aus der Vogelperspektive zeigt. Warum gemalt, fragen wir den Künstler. Ganz einfach, antwortet er, ich wollte der durch die Software bestimmten Ansicht aus dem virtuellen Internet-Raum meine individuelle Sicht der Situation zurückgeben. Das heisst, dem Bild eine Art Schönheit zurückgeben. Interessanterweise sagt Tschersich auch: Malen ist billiger als Screen-Shots (Bildschirmreproduktionen) in professionelle fotografische Form bringen.
Wichtiger ist indes die spannende Erweiterung der Thematik durch ein Video von Peter McCaughey (*1964), einem bekannten Glasgower Künstler. Es zeigt auf spektakuläre Weise die Sprengung ähnlicher Sozialwohnungs-Quartiere aus den 1960er-Jahren kombiniert mit Porträts von Menschen, die da einst wohnten. Auch das Red Road-Quartier, das Tschersich malte, soll demnächst dem Erdboden gleich gemacht werden. Wiederum geht es also um zweite Ebenen, um Aussensichten, die Innensichten miteinschliessen.
Andreas Tschersich will sich nicht auf das Cliché des Vorort-Fotografen respektive Malers reduzieren lassen, darum zeigt er in einer dritten Fotografie Natur und erinnert mit den lichtvollen Malereien unspektakulärer Berg-Ausschnitte (Ric Sonderegger) an eigene, frühere Berg-Fotografien. Weiter in der Ausstellung: Zahnstocher-Szenerien von Gregor Wyder (Biel/Zürich), eine Foto-Skulptur des Bielers Markus Furrer (Recycling) sowie Holz-Zeichnungen von Sari Lievonen (*1967 in Glasgow).