Surréalités im Museum PasquArt in Biel 2007

Eintauchen in surreale Bildwelten

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 18. August 2007

Jahreshöhepunkt im CentrePasquArt: Heute um 17 Uhr wird die Ausstellung «Surréalités – Aspekte des Surrealen in der zeitgenössischen Kunst» eröfffnet. Mit Werken von 35 Kunstschaffenden aus aller Welt und auch aus Biel.

Am besten man lässt alle analytischen Fragen zunächst einmal beiseite und durchwandert die surrealen Bildwelten der diesjährigen Themenausstellung mit allen Sinnen. Spiegelt sich in der Spiegelung von René Magrittes «Double Mirroir» in der Version von Jonathan Monk (UK/Berlin), sucht die Pfeife in Markus Rätz‘ «Nicht-Pfeife», hält verblüfft inne angesichts des in den Raum fallenden Sekretärs von Lotta Hannerz (Stockholm) und lacht, wenn die Türen des «Chuchichäschtli» von Vincent Kohler (CH) wie von Geisterhand auf- und zudröhnen.

Man lasse sich nicht verdriessen, wenn die «Hochzeit» zwischen sieben ausgestopften Mardern und einem Neon-Ring (Therry Mouillé/FR) nicht einmal surreal Sinn machen will, und lächle angesichts von Paul Mc Carthys Versuch, die USA mit einem Penis-Auge im Gesicht eines Piraten zu schockieren. Man braucht nicht viel zu denken, um zu merken, wie viel subtiler da die kurze Animation von «Grossmeister» Gary Hill ist, in der sich zwei amerikanische Ziegen (oder sind es Schafe?) unter dem Titel «State and Church» lautlos durchdringen. Es ist eine lange, spannende Reise von den Galerien über die Parkett-Räume bis in die Salle Poma, gespickt mit Geschichten, Träumen, Visionen, die sich einen Deut um «Wirklichkeit» kümmern, stattdessen die Dinge munter kippen, ausleeren und neu zusammensetzen oder naturhaft vonBild in Vorstellung wandeln. Wobei Träume zuweilen zu Albträumen mutieren.

Die Ausstellung «Surréalités – Aspekte des Surrealen in der zeitgenössischen Kunst» habe, so Direktorin Dolores Denaro, nicht die Nachahmer surrealistischer Tradition im Visier, sondern untersuche, wie Kunstschaffende heute Reales mit Nichtrealem zu Surrealem steigerten.

Eines lässt sich da schnell sagen. Die anarchischen Züge des historischen Surrealismus gibt es heute nicht mehr. Wir haben das Miteinander von Wirklichkeit und Unwirklichkeit respektive deren fantastische Durchdringung mit Parallel-Welten über jahrzehntelange literarische, filmische, und bildnerische Anwendung in unser alltägliches Denken integriert. Das heisst nicht, dass die aktuelle Austellung deswegen langweilig wäre. Sie hat vielleicht nicht die gesellschaftliche Brisanz von «Branding» im letzten Jahr, zeigt aber eindrücklich auf, wie sehr wir heute in und zwischen den Welten tanzen und dieses gleichzeitige Sein im Hier und Dort auch lieben.

Dementsprechend selbstverständlich machen Kunstschaffende das Universum zum Wohnzimmer (Pipilotti Rist), entmaterialisieren den Körper mittels digitaler Techniken (Li Wei), verwandeln Traumbilder mit sinnlicher Behutsamkeit in fragile Schatten-Welten (Victorine Müller). Der Nachteil dieser Offenheit ist, dass das Thema «Surréalités» eigentlich keine inhaltliche Diskussion herausfordert, umso weniger, als Dolores Denaro die Ränder – das heisst die Regionen der Albträume, des Verfolgungswahns, der Schizophrenie, der Kulturclashs, die Zonen, wo Surrealität Schmerz bedeutet, kaum aufgreift.

Selbst Pat Nosers «Cauchemar» – ein beeindruckend gemalter nackter Frauenkörper in den Fängen eines Tintenfischs – ist eher erotisch denn albtraumhaft. Den ambivalentesten Part spielt vielleicht das unter die Haut gehende Video der jungen Britin Alice Anderson, die in «Die Frau, die sich selbst verschwinden sah» alle Zeitlogik über Bord wirft und so zeigen kann, wie ein kleines Mädchen sich selbst als alte Frau erschiesst, um zu erfahren, ob die Geschichte, welche ihr die Mutter erzählte, wahr oder nicht wahr ist.

Monströs sind auch die Fotos von Cindy Sherman (US), doch ist ihre Ekel provozierende Bildsprache so bekannt, dass sie ihren Schrecken verloren hat. Viel eindringlicher wirkt da das Video von Emanuelle Antille (CH), die sich von ihren Eltern in einem wahrhaft surrealen Ritual die Haare büschelweise abschneiden lässt, damit sie der Vater anschliessend in die Haare der Mutter stecken kann.

Die Kritik einer gewissen Harmlosigkeit soll nicht heissen, dass die Ausstellung ihr Ziel verfehlt habe. Sie ist über weite Strecke eine qualitätvolle, Vielfalt einbringende, faszinierende Ausstellung.

Dass es Dolores Denaro und ihrer Assistentin Caroline Nicod gelungen ist, mit einem Budget von gerade einmal 100 000 Franken eine internationale Ausstellung dieser Grössenordnung zu realisieren, ist grossartig, ja man fragt sich, wie es überhaupt möglich war. «Viele Museen haben dem Thema zuliebe auf die Leihgebühr für die Werke verzichtet», meinte Denaro dazu, nicht ganz ohne (berechtigten) Stolz. Es sei aber klar, dass sie kaum Aufträge für neue Werke habe geben können, das hätte das Budget gesprengt.

Eines dieser eigens für Biel entstandenen Werke ist «Mon temps végétatif» der Grenchnerin Victorine Müller, die mit ihrer traumhaften Licht- und Schattenwelt die Salle Poma eindrücklich und wunderschön bespielt.

Bildlegenden:

Pat Noser, „Cauchemar“, Öl auf Leinwand, 2007 (220×190)

Pipilotti Rist, „Deine Raumkapsel“, Audio-Videoinstallation in einer Kiste, 2006

Bilder: azw