Daniela Keiser im Kunstmuseum Solothurn 2007

Die Welt im Kopf im Körper

Annelise Zwez, Bis 21.10.2007

Mit einem multimedialen Auftritt zeigt die Schweizer Künstlerin Daniela Keiser (44) wie Sinnlichkeit und Präzision zu Ausdruck führen.

Die Ausstellung von Daniela Keiser (geb. 1963 in Neuhausen) in den beiden Parterre-Flügeln des Kunstmuseums Solothurn ist formal nicht aus einem Guss. An der Oberfläche wirkt die Vernetzung der Räume und Kapitel gar etwas angestrengt. Man muss denken, man muss Lust haben zu denken, um den faszinierenden roten Faden von der projizierten Alhambra über den plastischen Stuhl-Brunnen bis zur Fotografie eines verletzten Daumens, ja gar die handschriftliche Kopie eines ganzen Romans zu finden.

Ist man der Künstlerin dann aber auf der Spur, wird es immer spannender, denn die Ernsthaftigkeit, mit der sie jedes neue Thema angeht, erweist sich als ungemeine Verdichtung von Erfahrungs-, Lebens- und Denkebenen. Man merkt, dass es einen Motor gibt, dass es Daniela Keiser immer wieder darum geht die Wahrnehmung der Welt zum eigenen Ich in Bezug zu setzen; Welt und Leben nicht als etwas Getrenntes zu sehen, sondern als Vernetztes, ohne dabei in die Falle des Privaten zu geraten.

Da ist zum Beispiel eine Serie von Fotos mit dem Titel „Label“ (2006). Dabei geht es tatsächlich um Mode, um Kleidung, aber diese Jeans, dieser Pullover werden in Nahsicht als ein Stück bekleideten Körpers gezeigt. Das „Label“ ist nicht die Marke, sondern der Mensch. Analog denkend löst sich auch die Irritation, warum die Fotografie eines blutunterlaufenen Zeigfingers den Titel „Logo“ trägt – ganz einfach, so lange das Mal da ist, wird es zum Zeichen. Bezeichnend ist indes, dass die Künstlerin den Daumen nicht in die Luft hält, sondern vor der Innenfläche der anderen Hand ablichtet und damit das „Logo“ auch hier zum Körper in Beziehung setzt.
Nun wird auch klar, dass die Assoziation „Bruce Naumann“ angesichts der zwei kreuzweise gestapelte Stühle zeigenden Brunnenplastik „Im Zeichen“ nicht falsch ist, hat doch der US-Künstler vor bald 40 Jahren als erster Skulptur und Menschenmasse anhand eines Stuhles vernetzt.

Daniela Keisers Themen sind nicht auf den Körper beschränkt. Ein anderer Faktor, der mitspielt, ist jener der Fiktion, des Möglichen, des intuitiven Annehmens subjektiver Empfindungen. Wenn sie sich in kargen Berggebieten der Türkei plötzlich ans Schanfigg im Bünderland erinnert fühlt (dazu gibt es familiäre Beziehungen), so glaubt sie daran und zeigt es in Form einer Fotoserie mit dem Flurnamen benennenden Titel „Dilek Kunkel“. Dass auf einer Foto der Reihe scheinbar zufällig türkische Soldaten mit Raketen-Abschuss-Waffen sichtbar sind, gehört zur unauffälligen Verkomplizierung, die Daniela Keiser liebt.

Wahrnehmung heisst nicht Wissen, sondern sehen, denken, kreisen lassen. Das zeigen zwei unterschiedliche Arbeiten sehr schön. Die eine ist die raumfüllende Boden-Installation „Über Nacht“ mit 3000 Trinkgläsern, die wie ein Rankenornament ausgebreitet sind, nur unterbrochen von 14 Krügen und Karaffen – zum Nachfüllen. Darüber hängt ein Neon-„Himmel“, der Licht und Wärme spendet respektive – so könnte man imaginieren – Energie zum Weiterdenken. Wie Daniela Keiser hier und anderswo alltägliche Dinge auf eine metaphorische Ebene rückt, fasziniert. Noch weitere Kreise zieht die „Stadt“ – eine Wandinstallation mit 113 Fotografien von Kulissen aus verschiedenen europäischen Filmstädten wie Bavaria oder Ciné città; die Welt als Geschichte, die Welt als Fiktion, die Welt als Roman – nicht zufällig präsentiert Daniela Keiser gleich daneben vier Versionen der La Fontaine-Fabel vom Fuchs und vom Raben – von Luther, Lessing und Keiser selbst. Das Eine ist immer auch das anders Mögliche.