Lecomte Tatjana Fotografie muss mehr sein als Abbild

Zu Gast in Biel

 Annelise Zwez Bieler Tagblatt 25.10.2007

Seit Juli ist Tatjana Lecomte (geb. 1971)  Bielerin. Sie wurde von der Kommission für Foto und Film eingeladen, sechs Monate in der Gastwohnung des Kantons zu verbringen.

Fotografie aus der Serie der „Richtstätten“, C-Print 110 x 148 cm, Dachau, 2005

Eine in Bordeaux aufgewachsene französische Künstlerin, die einen Abschluss der Gerrit Rietveld Akademie in Amsterdam in der Tasche hat, in Wien lebt und perfekt deutsch spricht – eine eher seltene Konstellation.

Tatjana Lecomte ist immer dahin gezogen, wo, anfänglich ihre Mutter, später Freunde oder gar Professorinnen, sie mitnahmen oder zum Verbleib anregten. „Jeder neue Ort, jede neue Schule ist ein Experiment“, sagt sie.

So zog sie nach der Matura in München nach Frankreich zurück, um in Lyon zu studieren – geplant war ein Sprachstudium, doch dann wurde es Kunst. Und weil ihr die Ausrichtung vor Ort zu eng war, ging’s weiter nach Graz und später nach Wien.

Da und vor allem dann in Amsterdam wurde aus Malerei Fotografie. „Doch eine Fotografin bin ich nicht“,  meint sie. Es reiche nicht, eine Idee zu haben und dann in der Wirklichkeit nach Bildern dafür zu suchen und diese abzulichten. Man müsse mit der Fotografie arbeiten.

Und jetzt ist sie in Biel, um an einem neuen Ort, auf neue Ideen zu kommen.  Die zweideutige Annonce, die sie letzte Woche in Chri Frautschis „lokal.int“ an der Aarbergerstrasse zeigte, weist allerdings in eine falsche Richtung. Da preist sich nämlich exklusiv für eine Woche eine „Rubens lady“ mit einem Schwall von einschlägigen Abkürzungen an.

Rubens, so Lecomtes Kommentar, sei der einzige, den man sowohl in der Sex- wie in der Kunstszene kenne und mit den Abkürzungen sei es wie in der Kunst. Man müsse die Sprache kennen, um zu verstehen. Der kleine Auftritt habe ihr Spass gemacht, sagt sie, doch eigentlich sei sie nicht in Biel, um die Sprache des Seelandes zu verstehen.

Die Motivation für die „Auszeit“ liegt in einem dichten Zyklus an Arbeiten, die in den vergangenen zwei Jahren entstanden. Es sind Fotosequenzen, die in Alkoven, in B.B. (Bergen Belsen), in Ebensee, in Auschwitz-Birkenau, in Arc et Senans und Sarliers entstanden – Aufnahmen somit, die sich mit den Terrains bekannter und unbekannter Konzentrations- respektive Internierungslager in Deutschland, Österreich und Frankreich aus der Zeit des zweiten Weltkrieges befassen.

Wie, so war die Frage, kann das nicht mehr Sichtbare emotional wieder eingebracht werden. Die vielleicht eindrücklichste Serie ist jene von B.B. Bergen Belsen, das 1945 von den Amerikanern abgefackelt wurde, ist heute Brachland. Indem Lecomte die oberste, grüne Fotoschicht der 120 x 163 cm grossen Abzüge mit Stahlwolle wegkratzte, um die darunter liegende orangefarbige sichtbar zu machen, gelingt es ihr das Feuer von 1945 mit allem, was es beinhaltet, suggestiv ins Bild zurück zu holen.

Die Serie ist auch darum spannend, weil sich unverhofft die Malerin zur Fotografin gesellt. Nur sie kann dieses Feuer so lebendig, so malerisch in die Landschaft legen. Die C-Prints werfen aber auch ein Licht auf die Arbeitsweise Lecomtes, die bewusst und ausschliesslich mit analogen Kameras arbeitet. „Erstens habe ich analoge Fotografie studiert, begreife, was da vor sich geht“ , sagt sie, „und zweitens kann ich gerade deswegen direkt in die Bildentstehung eingreifen, sei es auf dem Negativ, im Labor oder auf den Abzügen. Eine digitale Überlagerung des Brachlandes von B.B mit einem Feuermotiv hätte nie dieselbe Wirkung, ist sie überzeugt. „Man muss die Kratzspuren sehen.“

Eine Auswahl ihrer Bilder zeigt sie auf ihrer Homepage. Doch das Internet zeigt hier klar seine Grenzen. Die kleinen Bilder zeigen zwar die Motive, lassen aber die Bildbearbeitung, die Bildwirkung, die Inszenierung der Bilder im Raum nicht einmal erahnen. Wie viel man auf einer Website zeigen soll und wie viel nicht – das sei ein ungelöstes Problem, meint sie.
Nach zwei intensiven Jahren in Denkfeldern des zweiten Weltkrieges, will sie dieses Kapitel nun abschliessen.

Erste Experimente in Biel weisen neu auf Fotografien, die möglichst nichts erzählen, keinen geschichtlichen oder wie auch immer gearteten Hintergrund haben. Abstrakte Fotografie quasi. Mit ihrer Polaroid-Kamera, einem ihrer Lieblingsstsücke, hat sie unter anderem im Halbdunkel innenraum-Fragmente aufgenommen, die Stille und Leere zeigen; ganz in ein nächtliches Grün getaucht. Noch sei es ein Tasten, sagt sie;  vielleicht werde sie an der Weihnachtsaustellung im Centre PasquArt erst Proben zeigen können.

Link: www.lecomte.mur.at

Tatjana Lecomte
1971 geboren in Bordeaux
1991/92 Academie des Beaux Arts Lyon
1993/95 Meisterklasse für Malerei in Graz
1995-2002 Universität für angewandte Kunst, Wien
1998-2000 Gerrit Rietveld Akademie Amsterdam
Erhielt Stipendien und Preise,  zuletzt (2007) das Staatsstipendium des Bundeskanzleramtes und das Berner Atelier-Stipendium.
Seit 2000 zahlreiche Ausstellungen, zuletzt (2007) u.a. beteiligt an „Austria Today“ in Wien und „kontra.punkte“ in der National Art Gallery in Pristina/Kosovo.