Knuchel Christine Vogel Hannes Galerie Elisabeth Staffelbach

Was ist schön?

Annelise Zwez, Vernissagerede vom 20. Oktober 2007

Sehr geehrte Damen und Herren

Was Sie im folgenden hören, ist keine Vernissagerede. Schon gar nicht von mir. Was ich hier vor mir habe, sind Auszüge aus einem Briefwechsel zwischen Christine Knuchel und Hannes Vogel im Juni bis August dieses Jahres, zur Zeit als es darum ging, einen Titel für die Ausstellung, deren Vernissage Sie heute besuchen, zu finden.

Haben Sie ihn auf der Einladungskarte gelesen? „schön“ heisst er. Und jetzt habe ich beim Schreiben dieser Notizen hier schon die ersten Probleme. Wenn ich in einem Text einen Titel zitieren will, dann muss ich ihn in Anführungszeichen setzen. Aber, wie wir noch hören werden, möchte Christine Knuchel dies keinesfalls. Ihr „schön“ zwischen Anführungszeichen, aber nein!

Sie merken es, in diesem Briefwechsel geht es nicht – oder nicht nur – um Organisatorisches, sondern um Inhalt, um Kernbegriffe, um Kunst, um Vision.

„Mein Vorschlag, die Ausstellung Schön zu nennen, ist eine Provokation“, schreibt Christine Knuchel am 18. Juni von Gontenschwil nach Mathon, vom Aargau ins Bündnerland. Die Briefkopien, die mir Christine Knuchel sandte, sind nicht etwa ausgedruckte Mails, sondern mit Schreibmaschine geschriebene Briefe. Und daher habe ich mich bei jeder Seite gefragt, ob das nun die erste, die zweite oder die dritte Fassung ist, denn im August schreibt sie dann, sinngemäss: So, jetzt habe ich genug, das ist jetzt die 8. Fassung dieses Briefes, weil in der 7ten immer noch ein paar Fehler waren.

Ich kann mich schon noch an Briefe erinnern, die ich aus der Schreibmaschine zog, zerknüllte und in den Papierkorb schmiss, um danach von neuem zu beginnen, womöglich sogar dreifach mit Kohlepapier dazwischen. Lang, lang ist es her. Hier wirft es aber ein Licht auf eine Kunst, die mit Überzeugung in einer anderen Zeitlichkeit tickt als das Leben heute, anno 2007.

Einmal, als ich Christine Knuchel eine Einladung zu einer Ausstellung sandte, in der es um „sticken“ ging, schrieb sie nicht etwa von Hand oder mit der Schreibmaschine, sie sei dann gerade in den Ferien und könne darum leider nicht kommen, sie stickte mir die Antwort, immerhin auf der Nähmaschine… Mit dem Resultat freilich, dass dieser Brief immer noch über meinem Pult hängt, einfach weil er zum Staunen ist.

„Schön ist eine Provokation“, schrieb Christine Knuchel also, und dann schön ist
ein Reizwort, denn Kunst darf nicht einfach schön sein, sie muss tiefgründig und hintersinnig sein. Wer meint, Schönheit sei langweilig, schaut nicht recht hin, oder er/sie verwechselt schön mit etwas anderem, vielleicht mit herzig, schnusig, oder so. Schön ist aber etwas ganz Grosses, Atemberaubendes, Herzergreifendes, Verwandelndes, das echte Schön.“

Nach so grossen Worten, die im Fall von Christine Knuchel aber zugleich fast intimen Charakter haben, sind, als würden sie etwas verraten, was sie sich fast nicht traut zu sagen, damit niemand widerspricht oder die Worte, die ihr so kostbar sind, verletzt, nach diesen Worten kippt sie schnell wieder in den Alltag:
„Im Fall unseres Titels würde dieses Schön vieles bedeuten: Schön, dass wir befreundet sind, schön, dass ich immer ¼ Jahr in Mathon sein kann, um diese Freundschaft zu leben, schön, dass wir zufällig beide Künstler sind, schön, dass wir zusammen ausstellen usw.“

Hannes Vogel ist mit dem Titel grundsätzlich einverstanden, aber er hinterfrägt ihn sogleich auf sein Erscheinungsbild. Soll das schön ein ? haben oder zwischen zwei Gedankenstrichen stehen – schön – oder soll es, was Hannes Vogel die beste Version erscheint schön, – heissen? Immer kleingeschrieben, weil es ja um eine Eigenschaft gehe.

Doch ausser mit der Kleinschreibung löst er mit diesen kleinen Veränderungen bei Christine Knuchel bereits Abwehrstacheln aus. Das Komma würde ein wenig warten bedeuten, antwortet sie, der Gedankenstrich zum Nachdenken auffordern. Wollen wir das? Schreib mir doch die Gründe!

Mir gefiele einfach schön (nun klein geschrieben). Denn ich möchte keine Fragen stellen, sondern feststellen. Mit Gedankenstrichen wäre das schön zwar optisch schön. Aber nur schön finde ich am secsten.

Hallo Christine, tönt es aus dem Bündnerland zurück, mach dir keine Gedanken wegen mir. Der Gedankenstrich fordert zum Nachdenken auf, richtig, ich mache eigentlich nur das, darum das ,– aber lassen wir das. Was ich jetzt schreibe hat nichts mehr mit dem Titel zu tun:
Meine Arbeiten meinen nie nur schön. Wenn ein Betrachter in einer meiner Arbeiten nur Schönheit entdeckt, stört mich das so wenig wie wenn er nur Hässlichkeit wahrnimmt. Für mich ist Schönheit kein künstlerisches Qualitätskriterium. Schönheit muss Schönheit hinterfragen, darum ist für mich schön, nicht hinterfragt, banal.

Uff, plötzlich lauert da ein Missverständnis, Christine Knuchel beschreibt ihr schön im ersten Brief als Grosses, Atemberaubendes, Herzergreifendes, Verwandelndes, somit als etwas, das durch seine Erscheinung vom Visuellen ins Emotionale, vom Sichtbaren ins Unsichtbare kippt. Das ist auch ein Hinterfragen, allerdings nicht im Sinne einer Dekonstruktion, sondern im Gegenteil einer Potenzierung. Aber das ist Hannes Vogel sicher auch klar. Es ist einfach dieser Begriff des „schön“, der … – wie sagte Christine Knuchel doch schon im ersten Brief gleich zu Beginn: schön ist eine Provokation.

Sie kontert Hannes Vogels Brief – lang und ausführlich und sicherlich auch erregt, darum brauchte sie ja auch 8 Fassungen; alles andere hätte mich gewundert.

Unter anderem heisst es da:
„Wahrscheinlich wird Schönheit oft mit Kitsch verwechselt, und wenn das bei Lehrern passiert, spuren die Schüler sofort ein, war in meiner Kunstgewerbeschulezeit so und hatte den Effekt, dass in jede „schöne“ Landschaft noch ein AKW „gepflümelt“ wurde, damit ja nicht der Verdacht von, eben kitschig, oder oberflächlich, bieder, langweilig, nicht genug intellektuell aufkommen sollte.

Und später:
Dabei weckt Schönheit, eben z.B. eine schöne Landschaft (in diesem Fall müsste sie berührend sein), Sehnsucht; der im besten Fall der Wunsch folgen würde, diese Landschaft zu bewahren. (Wohingegen das AKW nur ein blöder Mahnfinger ist, der nichts bewirkt). – Ich glaube, diese Sehnsucht möchte etwas bannen, der Qual vom ewigen Wechsel entfliehen, der lästigen Tatsache, dass immer wieder Trauer und Schmerz kommen, dass man nie aufschnaufen kann; etwas eigentlich Unmögliches bannen. Hat Goethe von einem schönen Augenblick gesagt „verweile doch, du bist so schön“ oder war es jemand anderer? – (Liebe Christine – die Computerwelt, das Internet sind halt doch ein Segen, denn nach kürzestem Googeln kann ich dir bestätigen, der Satz ist von Goethe, Faust 2.)

Von den vielen Vergleichen, die Christine Knuchel heranzieht, erwähne ich nur noch einen. Darin zitiert sie Einstein, der einmal gesagt haben soll, dass seine Formeln nur stimmten, wenn sie schön seien. Sie münzte dies dann auf die Arbeiten von Hannes Vogel um, indem sie Formel durch Gedanken, durch die Zitate, die wir auf den Fotografien von Hannes Vogel sehen, bezog. Richtig. Doch viel mehr noch hockt dieser Einstein in den Arbeiten von Christine Knuchel selbst, deren „Formel“ frei nach  Goethe auf eine Dimension verweisen, die selbst über Einsteins 4. Dimension hinausweist.

„Du siehst“, heisst es in Christines Brief zum Schluss, „ich bin eine geradezu besessene Verteidigerin von dem, was ich als Schönheit ansehe, weil es mich ärgert, dass man dieser positiven Kraft ihre Würde genommen hat. Ich will sie wieder auf den Sockel stellen, der ihr zusteht. Wenn ich noch lang schreibe, wird’s immer heftiger, aber das finde ich eigentlich gut.“

Und jetzt? Nachdenken, hinterfragen oder sich ganz einfach überwältigen lassen?

Ich überlasse es Ihnen.