Willi Ernst, Legat, Biel

Biel erhält künstlerisches Zeitdokument

Annelise Zwez, Bieler Tagblatt, 18. Oktober 2007

Ernst Willi (1900-1980) war nicht nur ein Bieler Photograph (und Philosoph), sondern auch ein begabter Plastiker. Jetzt gehen seine Porträt-Büsten als Geschenk andie Stadt.


Was machen mit einem künstlerischen Nachlass, der sich auf Auktionen nicht verkaufen lässt? Für die Kinder von Künstlern ist da soft ein Problem. Selbst Schenkungen sind längst nicht überall willkommen.

Für Maya Blumer-Willi und Mario Willi, die Nachkommendes Bieler Bildhauers Ernst Willi (1900–1980) haben sich die Sorgen gelichtet; die Bieler Gemeinderäte haben kürzlich dem Ansinnen von Sohn und Tochter, die Gips-(seltener Bronze)-Porträtbüsten und -Reliefs von General Guisan über Maria Schell bis Guido Müller und «Frau Weyeneth» als Geschenk anzunehmen, zugestimmt.

Ernst Willi – nie gehört? Die ältere Bieler Generation erinnert sich ohne Zweifel; Ernst Willi war eine markante  Gestalt, mit seinen 2 Metern Körpergrösse überragte er alle. Er war 1926 von Zürich über Solothurn nach Biel gekommen und führte hier bis 1952 am Zentralplatz respektive der Bahnhofstrasse 12 das Photogeschäft Willi. Aufzeichnungen dazu findet man im «Regionalen Gedächtnis» auf der Homepage des BT. Parallel und danach war Willi als Erschaffer von Porträtbüsten stadt-, zuweilen gar weltbekannter Personen tätig und als solcher weit über die Region hinaus bekannt. Der «Denker» an der Fassade des Eckgebäudes Dufourstrasse/Nidaugasse hält die Erinnerung an sein plastisches Schaffen bis heute wach.

Sucht man jedoch im stadtgeschichtlichen oder dem Schweizer Künstler-Lexikon nach einem Bildhauer namens Ernst Willi, wird man nicht fündig. Ernst Willi – da liegt ein Stück Tragik darin – wurde in Künstlerkreisen nie akzeptiert, nicht einmal die Schweizer Künstlergesellschaft visarte (damals Gsmba) nahm ihn auf. Er war ein Outsider – nicht im Sinne der «artbrut», sondern weil er etwas ganz anderes suchte als die Künstler seiner Zeit, nämlich die «Quadratur des Kreises». Für die späten Jahre ist das gar wörtlich zu nehmen; in den 1960er-Jahren stand Willi mit Berühmtheiten wie dem Physiker Werner Heisenberg, der ihn in Biel besuchte, über dieses ebenso philosophische wie mathematische Problem im Austausch.

Die Frage nach der Quadratur des Kreises sass ihm aber auch bezüglich seines fotografischen respektive plastischen Schaffens im Nacken. Willi hatte nach einer äusserst entbehrungsreichen Kindheit in Zürich das Glück bei Ernst Linck (1874–1963), einem der damals bekanntesten, und vor allem auch im Kunsthaus Zürich tätigen, Fotografen eine
Lehre machen zu können. Was den auch zeichnerisch sehr Begabten interessierte, sei, so schreibt er in seinem«Künstlerleben», schon damals die Frage gewesen, wie die Fotografie die Plastizität der menschlichen Figur einfangen könne. Doch erst 1934 wagt er sich, ermuntert von seiner jungen, zweiten Frau Claire Kirschbaum, daran, den Begriff des Porträts dreidimensional anzugehen. Mit manischer Akribie vertieft er sich in die neue Herausforderung.

Am Beispiel seines kleinen Sohnes Mario gelingt ihm dabei 1942/43 seine Erfindung, das «lebendige» Auge. Mit subtilen, ganz leicht schräg gehaltenen Iris-Einkerbungen erzielt er ein Hell-Dunkel, das dem Auge «Lebendigkeit» verleiht. (In den klassischen Büsten des 19. Jh. sind die Augen in der Regel «blind»). 1945 singt Josephine Baker im Volkshaus in Biel, ein Ereignis.

Der ebenso belesene wie wortgewandte Fotograf verschafft sich mitsamt seinen Kinder Zugang zum Zimmer des Stars, der, so erinnert sich Tochter Maya Blumer, gerade aneinem grasgrünen Strumpf strickte. In Windeseile skizziert Willi die charakteristischen Züge der Sängerin und schafft die entsprechende Büste. Spätestens ab dieser Zeit beginnt die bildhauerische Arbeit die fotografische zu verdrängen. Seine Frau wird seine Managerin, reist nach hier und dort, bis nach Paris, um die Büsten ihres Mannes zu empfehlen. Es kommt zu internationalen Ausstellungen mit erstaunlichem Erfolg.

Aber: In den Schweizer Kunstkreisen rümpft man die Nase. Das ist verständlich. Denn nach dem Krieg steht der Kunst der Aufbruch im Sinn, nicht die Tradition, nicht Porträts, die an Rodin gemahnen, umso weniger als die Schweiz keine klassische Porträt-Tradition im engeren Sinn hat.

Dieses Unzeitgemässe steht den Kunstgeschichtlern noch heute im Weg, wenn sie die Kollektion von Büsten Willis anschauen. Aber vielleicht muss man den Blick ändern. Willi hat, wenn immer er nach Modell arbeiten konnte, Fotos gemacht, in denen er die Büste und das Modell in direkte Vergleichbarkeit stellt, zuweilen köstlich Nase an Nase. Das zeigt, dass er nicht – wie ein Varlin zum Beispiel – die visionäre Interpretation seiner Visà-Vis suchte, sondern eine Erweiterung der Fotografie.

Fast ist man geneigt, an Oscar Wildes Geschichte des lebendig gewordenen Dorian Gray zu denken. Unter diesem noch vertieft zu bedenkenden Aspekt ist der Entscheid der Stadt, das Geschenk anzunehmen richtig. Man wird allerdings gut daran tun, eine kommende Ausstellung nicht traditionell anzugehen, sondern mit den Fotos Willis und/oder mit zeitgenössischer Fotografie, die jadas Porträt liebt, zu kombinieren, vielleicht gar einen jungen Künstler mit der Inszenierung zu betrauen.


Ernst Willi
• 1900 geboren in Zürich
• 1915–1918 Fotografenlehre
• 1926–1952 Fotogeschäft in Biel
• ab 1952 ausschliesslich bildhauerisch tätig
• 1948 Ausstellung im Atheneum in Genf
• 1948 Beteiligung an der Biennale Venedig
• 1949 Ausstellung bei Jeande-Ruaz in Paris

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