Bieler Tagblatt 31.08.2007

  • Sein oder Schein ist die Frage

Gibt es die Illusion oder gerade nicht? Bei Silvia Steiner stellen die ausgebildete Illusionistin Olivia Notaro und die Schein und Sein hinterfragende Christina Niederberger aus.

azw. Brennt das Licht, zeigen sich die barocken Lüster von Christina Niederberger, löscht man es aus, verschwinden sie gleich mit. Schein oder Sein? Bürstet sie das violette Fell gegen den Strich, zaubert ihr kleiner Hase einen röhrenden Hirsch ins Licht. Bis sich die Bürste anders besinnt. Kitsch oder Kunst? Immer gehört ein wenig entlarvende Raffinesse zum Werk von Christina Niederberger, nicht umsonst nennt sie ihre Ausstellung «When Platitudes become form».

Die in England lebende Berner Künstlerin ist bereits eine Bekannte in Biel, stellte sie doch erst vor gut einem Jahr letztes Mal bei Silvia Steiner an der Seevorstadt aus. Das mag gut für die Präsenz der Künstlerin in der Schweiz sein – Silvia Steiner vertritt sie exklusiv – für die Kunstkritik bringt die Ausstellung die Wiederbegegnung mit einem konzeptuell durchdachten, von englischem Humor geprägten und trotzdem sehr malerischen Werk aber nichts Neues.

Hintermalte Tapeten

Zum ersten Mal hingegen zeigt die seit 40 Jahren unermüdliche Galeristin Arbeiten der in Häutligen – einem 200-Seelen-Dorf zwischen Bern und Thun – lebenden Olivia Notaro (geb. 1975). Ihr Schaffen erschliesst sich zum Teil durch ihre für eine bildende Künstlerin ungewöhnliche Ausbildung.
Notaro absolvierte die Textildesignklasse der Fachhochschule in Luzern und bildete sich danach bei einer Illusions-Malerin in England weiter. Ein Stück weit «englisch» angehaucht sind denn auch ihre originellen, die Funktion von Malerei im Raum neu aufmischenden Tapeten. Man vergegenwärtige sich: Die Papiertapete entstand in der Nachfolge textiler Wandverkleidungen, behielt aber in ihrer Ornamentik, ihrer Struktur häufig eine Art «textiles» Erscheinungsbild bei. Während bei uns die Tapete die weissen Wände der Wohnungen erst zögerlich rück- erobert, liebt man in England – und auch in Amerika – die Tapete als repräsentative Wandverkleidung ungebrochen.
Da findet denn Olivia Notaro auch die ganz verschiedenen Tapetenbahnen – oft Prototypen und Einzelstücke – die sie als «Objets trouvés» nutzt, um sie zu hintermalen. Sie unterläuft die Zweidimensionalität der Tapete, indem sie ihr durch Vögel, die sie hinter oder zwischen die repetitiven Muster malt, eine illusionistische Räumlichkeit gibt. Die naturalistisch gemalten Vögel – Eulen, Möven, Spechte, Schwäne – bleiben jedoch bewusst «T-raumvögel», das heisst es geht nicht um Natur, sondern um Illusion, um Design, das durch das Eingreifen der Künstlerin unverhofft in die Kunst kippt.
Bei Silvia Steiner – und früher schon in anderen Ausstellungen – präsentiert Olivia Notaro die Tapetenbahnen auf Rollen, sodass sie in der Höhe angepasst werden können. Am liebsten, so sagt sie, würde sie die Tapeten aber als Bahnen direkt auf die Wand aufziehen, um das illusionistische Moment noch stärker zu betonen.
Es ist nicht zuletzt unter dem Aspekt von Malerei im Raum im Raum eine spannende Position, welche Olivia Notaro da besetzt. Es bleibt indes abzuwarten, ob es der Künstlerin gelingen wird, ihr Konzept auf dem Grat zwischen Design und Kunst in die Zukunft auszuweiten. Durch die erstmalige Kombination von Olivia Notaro und Christina Niederberger in einer Ausstellung ergeben sich als Surplus überraschende Denk-Plattformen, die sich schillernd zwischen Behauptung und deren Infragestellung, zwischen malerischer Realität und visueller Illusion hin und her bewegen.

Info: Eröffnung der Ausstellung: Samstag, 1. September, 17 Uhr. Dauer: bis 29. September. Mi, Do, Fr 14-18, Sa 14-17 Uhr, So 2. Sept., 14-17 Uhr. Apéro: 16. Sept., 11 Uhr.

Szeemanns Erbe

«When Platitudes become form» nennt Niederberger  ihre Ausstellung.
Das ist der Titel einer Kritik zu Harald Szeemanns «When attitudes become form» von 1968 in Bern.
Niederberger macht damit auf die relative Gültigkeit von Sehweisen aufmerksam.
Der Titel ist auch Hommage, denn Szeemanns Abgang in Biel 1967 führte zur Gründung der Galerie Silvia Steiner, die vor exakt 40 Jahren mit Werken von Alfred Hofkunst eröffnet wurde. (azw)